Lyrik
Lina Kostenkos wunderbare Gedichtesammlung Ich bin all das, was lieb und wert mir ist erschien Anfang des Jahres im Wieser Verlag in Klagenfurt/Celovec; kurz vor dem russischen Einmarsch in ihre Heimat Ukraine. Heute hält sich die 1930 geborene Dichterin in Kyiv auf, umsorgt von ihrer aus Rom angereisten Tochter. «Wir wissen nicht, wie es beiden geht, unter welchen Umständen sie leben», sagt Verleger Lojze Wieser. Kostenko gilt als eine der wichtigsten Vertreterinnen der ukrainischen Lyrik, die bis 1977 mit einem Publikationsverbot belegt war (bis dahin wurden ihre Texte nach dem «Samisdat-Prinzip» verbreitet, als kopierte oder handgeschriebene Blätter). Zu den prägenden Erlebnissen danach gehörte die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, die Kostenko in Gedichten, Prosatexten und Drehbüchern verarbeitete. Es ist ein Zynismus des Schicksals, dass die 90-Jährige, die weniger durch sprachliche Experimente als durch die Kraft der Bilder, die sie mit ihrer Lyrik malt, nun vom Krieg umgeben ist; «Da liegt im Schmerz sie, deine Ukraine / lässt ihre Arme hängen, wie auf allen Wegen. Was nun? Was tun, was neu beginnen? Wo keine Macht, kein Heer, kein Segel mehr.»
Lina Kostenko: Ich bin all das, was lieb und wert mir ist
Gedichte
Aus dem Ukrainischen von Alois Woldan
Wieser 2022
90 Seiten, 18,90 Euro