Die Meditationsgemeinschaft Supreme Master Ching Hai Association möchte durch vegane Ernährung für weltweiten Frieden sorgen. Teile der Organisation: eine vielseitige Anführerin, eine Restaurantkette und ein Fernsehsender, der nur gute Nachrichten verbreitet.
TEXT: JOHANNA TÖSCH
FOTOS: MICHAEL BIGUS
Auf den ersten Blick wirkt das Restaurant in der Wienerberg City wie viele andere Asia-Restaurants. Ruhige Musik im Hintergrund, freundliche Bedienung, schlichte Deko. Schlichte Deko? Nicht ganz, denn bei genauerer Betrachtung fallen die quietschbunten Poster auf, die direkt den 1990ern entsprungen zu sein scheinen und die Gäste mit großen Buchstaben auf die «Vegan Elite Kids» hinweisen. Darauf sind beispielsweise die Kinder-Schauspieler_innen Aidan Gallagher und Sadie Sink zu sehen oder Klimaaktivistin Greta Thunberg. Auch die Personen, die in eigenen Porträts an der Wand hängen, sind zumindest Vegetarier_innen. Hier sehen unter anderen Albert Einstein, Ellie Goulding und Arnold Schwarzenegger den Essenden auf ihre Burger und Nudelgerichte.
Eine Gruppe mit großer Mission.
Was zunächst lediglich wie eine sehr enthusiastische Propagierung des veganen Lifestyles wirkt, entpuppt sich nach und nach als etwas komplexer. Dieses Restaurant ist nämlich nicht nur eines von über 200 Lokalen von einer der weltweit größten veganen Restaurantketten, sondern auch Teil der global agierenden Gemeinschaft «Supreme Master Ching Hai International Association».
SMCHIA, wie der etwas sperrige Name abgekürzt wird, hat ein ambitioniertes Ziel: Weltfrieden schaffen. Erreicht werden soll das zum einen durch den Verzicht auf tierische Produkte. Die vegane Lebensweise sei – so teilt die SMCHIA in einer E-Mail mit – die umwelt-, ressourcen- und klimafreundlichste Form zu leben und trage deshalb «entscheidend zum Frieden bei». Unter anderem ruft die Assoziation deshalb auf ihrer Website täglich zum sogenannten veganen Weltgebet auf. Auch das T-Shirt des Kellners im Loving Hut signalisiert: «Be vegan, make peace.»
Zum anderen setzt die SMCHIA auf die Kraft der Meditation. Und legt Mitgliedern und solchen, die es werden wollen, eine ganz spezielle Methode nahe: die Guanyin-Meditation. Bei dieser soll man sich auf das «innere Licht» und den «inneren Klang» konzentrieren. Diese Praxis geht zurück auf indische Sant-Mat-Meditationen, wo ebenfalls auf diese Weise meditiert wird.
Die Meisterin.
Der Name der Gruppierung sagt es bereits: Die Vietnamesin und «Supreme Master» (Suma) Ching Hai steht im Zentrum der Gemeinschaft. Für viele Anhänger_innen ist sie der wiedergeborene Buddha und Jesus Christus. Damit jedoch nicht genug, ist sie auch in ihrem weltlichen Leben eine ganze Menge. Eine Malerin und Dichterin (deren Werk in Loving-Hut-Restaurants zu finden ist). Eine Modedesignerin mit einem eigenen Onlineshop. Vor allem aber eine gute Geschäftsfrau, die sich auch nicht davor scheut, ihre Bilder, Kleider und Bücher innerhalb ihrer Gemeinschaft zu Geld zu machen.
Im Celestial Shop kann online durch den Erwerb von Schmuckstücken, Textilien oder Bildern der Meisterin die Gemeinschaft unterstützt werden. «Unseren Mitgliedern wird nicht bewusst nahegelegt, Kleidung aus dem Celestial Shop zu kaufen», so die E-Mail von der SMCHIA. Es gebe im Shop passende Artikel für jeden Geldbeutel. «Jeder Geldbeutel» sollte allerdings mindestens 70 Dollar locker machen können – so viel kostet nämlich ein Bild der Meisterin. Poster von Ching Hai gibt es hingegen schon um «nur» 9 Dollar, während für Kleider mindestens 970 Dollar zu bezahlen sind.
Die Sache mit den Spenden.
«Das Geld wird für Hilfsorganisationen gespendet», erklärt Filip Nguyen vom Loving Hut auf die Frage, ob 1.000 Dollar für ein Kleid nicht reichlich teuer sei. Auch Vertreter_innen der Organisation weisen darauf hin, dass Ching Hai die Einnahmen verwende, um ihre karitative Arbeit zu finanzieren. Ob der Erlös und wie viel davon tatsächlich gespendet wird, lässt sich nur schwer nachvollziehen. Zwar hat Ching Hai eine Tabelle veröffentlicht, mit angeblichen humanitären Zuwendungen, die von SMCHIA geleistet wurden. Unklar ist jedoch, wie hoch die tatsächlichen Einnahmen aus dem Shop sind.
Auf der Website der Organisation finden sich Beiträge mit Bildern (die neuesten aus dem Jahr 2018), die die Spendenaktionen dokumentieren sollen. Die Spenden würden an Betroffene von Naturkatastrophen gehen, Volksgruppen, wie die Rohingya-Flüchtlinge in Bangladesch, aber auch an Einzelpersonen, etwa die Preisträger des (von Ching Hai vergebenen) Shining World Award. Besondere mediale Aufmerksamkeit und Kritik erhielt die SMCHIA im Jahre 1996, als Mitglieder 600.000 Dollar an Bill Clinton spendeten, um ihn bei einem Rechtsstreit zu unterstützen.
Die Ching Hai Association sieht sich dennoch als politisch unabhängig und erklärt, nur jene Politiker_innen zu unterstützen, die «Gutes tun für ihr Land und für die Menschen». Etwa Donald Trump. Er habe Großartiges geleistet, um «die Gesundheit der amerikanischen Bürger zu schützen» und sei «gut für sein Land und gut für die Welt», wird in einem Video der Organisation verkündet.
Spirituelles Coaching via Screen.
Einen Einblick in die aktuelle Agenda der SMCHIA gibt der Fernsehbildschirm, der recht prominent über den Tischen im Loving Hut hängt. Gezeigt wird eine Art Nachrichtensender. Er ist in verschiedenen Sprachen von Deutsch über Französisch bis hin zu Vietnamesisch und Chinesisch untertitelt. Das Supreme Master TV hat sich an die Fahnen geheftet, möglichst nur gute Nachrichten aus aller Welt zu verbreiten. Gute Nachrichten und natürlich die Botschaften von Suma Ching Hai. Das Programm ist bunt. Ein kurzer Beitrag über Donald Trump und sein geplantes Netzwerk «Truth Social», ein Video von einem Pandabären und Bilder von Naturkatastrophen mit dem Aufruf, vegan zu werden, flimmern kurz nacheinander über den Screen.
Zwischendurch sind immer wieder Einschaltungen von Ching Hai zu sehen, die sich zu den verschiedensten Themen äußert. Ihr Auftreten ist immer entspannt, bodenständig, unaufgeregt, nahbar – und das macht sie erfolgreich.
Flexible Regeln. SMCHIA hat mittlerweile je nach Schätzungen weltweit zwischen 500.000 und 2 Millionen Anhänger_innen. Ein Grund, warum die Gruppierung so große Resonanz erfährt, ist vermutlich die Unkompliziertheit: Es gibt zwar Regeln, wie etwa eine fleischlose Ernährung oder 2,5 Stunden Meditation am Tag. Doch Ching Hai betont in ihren Videos: Für die Einhaltung dieser Regeln ist jedes Mitglied selbst verantwortlich, es gibt keine Strafen bei Nichteinhaltung. Auch dass sich die Ching-Hai-Weltanschauung aus verschiedenen Religionen bedient, kommt bei vielen Menschen gut an. Die Zehn Gebote aus dem Christentum werden beispielsweise in einer abgespeckten Form als fünf Gebote übernommen, die Guanyin-Methode erinnert an buddhistische und hinduistische Praktiken. Gleichzeitig betont die SMCHIA, dass ihre Meditation auch als Zusatz zu anderen Religionen praktiziert werden kann. Die Mitglieder müssen also ihre jeweiligen Religionen nicht aufgeben.
Die Aufnahme in die Gruppe ist ebenfalls unkompliziert. Die Anwärter_innen bekommen lediglich eine Einführung in die Guanyin-Meditation, und Ching Hai führt die «spirituelle Übertragung» durch. Dafür muss sie praktischerweise nicht anwesend sein. Die Einführung kann laut der Website als «unmittelbare Erleuchtung» wahrgenommen werden. Die Guanyin-Methode ohne Einführung auszuführen hätte hingegen wenig Erfolg – es brauche die «Gnade» von Ching Hai, um erleuchtet zu werden.
Immer wieder betonen Ching Hai und ihre Anhänger_innen, dass SMCHIA keine Religionsgemeinschaft ist. Die Mitglieder werden allein durch ihre Essgewohnheiten und die tägliche Meditation zusammengehalten. Letztere kann mitunter sehr viel Zeit und Energie in Anspruch nehmen. So finden sich in Online-Foren einige Berichte von Angehörigen, die behaupten, ihre Partner_innen oder Familienmitglieder an die Gemeinschaft «verloren» zu haben. Diese hätten immer mehr Zeit für ihre spirituelle Praxis verwendet, Familie und Freund_innen müssten oft zurückstecken.
Grund zur Sorge?
Eine Meisterin, eine sehr spezifische Weltanschauung und Mitglieder, die anscheinend vollkommen von der Gemeinschaft beseelt sind. Könnte man hier schon von einer Sekte sprechen? Ulrike Schiesser von der Bundesstelle für Sektenfragen rät davon ab: «Den Begriff Sekte verwenden wir im Allgemeinen nicht mehr, da dieser sehr negativ konnotiert ist.» Stattdessen würden andere Beschreibungen oft besser passen, die die Eigenschaften der jeweiligen Gruppierung wiedergeben und sie nicht automatisch auf Bilder von Gehirnwäsche und Machtmissbrauch reduzieren. Auf die Frage, warum der Begriff «Sekte» dann noch im Namen der Bundesstelle zu finden sei, antwortet sie mit: «Der Name wurde 1998 bei der Gründung der Stelle festgelegt, und es bräuchte einen Parlamentsbeschluss, um ihn zu ändern … Sekte ist als Begriff ein Kompromiss. Zumindest haben alle eine Vorstellung, worum es geht.» Zurück zur SMCHIA, eines lässt sich jedoch nicht leugnen: Mit Ching Hai gibt es eine eindeutige Führungsperson, deren Meinung für die Mitglieder eine hohe Bedeutung hat.
Für Kritiker_innen ist sie trotzdem schwer zu greifen. Mit ihrem (zumindest nach außen hin) offenen Ansatz sichert sie sich ab. Etwa wenn sie ihre Anhänger_innen darin bekräftigt, sich nicht von anderen leiten zu lassen, sondern ihren eigenen Weg zu finden. «Sei dein eigener Meister», lautet ihre Anweisung in einem gleichnamigen Video. Gleichzeitig verkauft sie Bilder von sich und trägt doch wieder zur Mystifizierung ihrer Person bei.
In Frau Schiessers Stimme liegt Dringlichkeit, wenn sie betont: «Das, was sich die meisten unter dem Begriff Sekte vorstellen, gibt es ohnehin kaum bis gar nicht.» Beispielsweise würden «Abtrünnige» im Allgemeinen nicht mit Zwang in einer Gruppe gehalten. «Für die Gemeinschaft ist es immer besser, wenn Andersdenkende möglichst schnell ausgeschlossen werden, bevor sie die gesamte Gemeinschaft rebellisch machen.» Viel öfter sei es der Fall, dass die Mitglieder in der Gruppe bleiben wollen, weil sie sich dort zugehörig fühlen, einen Irrtum nicht eingestehen wollen oder – im schlimmsten Fall – keine Alternative sehen, wenn z. B. der Kontakt zur Außenwelt abgebrochen ist.
Es deutet nichts darauf hin, dass die SMCHIA Menschen dazu zwingt, in der Gruppe zu bleiben. Doch die Vorgänge im Hintergrund sind komplex. «Sobald sich autoritäre Systeme und Spiritualität verbinden, wird mit den sensibelsten Bedürfnissen von Menschen hantiert», erklärt Schiesser. Die Mitglieder kämen mit all ihren Ängsten und Hoffnungen in die Gruppierung und seien somit besonders vulnerabel. Hinzu komme, dass es in problematischen Glaubensgemeinschaften keine Kontrollfunktion gebe. Die Aussagen der Führungsperson würden somit von niemandem kritisiert, es gebe keine Gegenmeinungen innerhalb der Gruppe.
Der Blick von innen.
Hier ist es jedoch schwierig, eine Trennlinie zu ziehen. Wie stark wird die Meinung der Mitglieder von Ching Hai beeinflusst? Wie weit werden die Mitglieder dazu gedrängt, ihre Produkte zu kaufen, und wie weit machen sie es aus eigener Überzeugung? So oder so – für Suma Ching Hai zahlt sich das Geschäft aus. Ihr Vermögen wird je nach Quelle auf 850.000 bis 5 Millionen Dollar geschätzt.
Filip Nguyen vom Restaurant Loving Hut in der Wienerberg City ist selbst Teil der SMCHIA. Als er noch in Polen studierte, erhielt er von einem Bekannten ein Buch von Ching Hai. «Ich habe es gelesen und dachte mir … das ist mein Leben», erinnert sich Nguyen. Sein Gesicht bekommt einen seligen Ausdruck, wenn er von Ching Hai oder der Meditation redet. «Vorgeschrieben sind 2,5 Stunden Meditation am Tag, aber wir machen mehr», berichtet der Loving-Hut-Mitarbeiter.
Für Außenstehende mag die SMCHIA ja wie eine «Sekte» wirken – Nguyen sieht das jedoch anders: «Das ist keine Sekte, sondern nur für die Meditation.» Erlernt werden kann diese in speziellen Kursen – normalerweise. Momentan würden aufgrund von Corona keine Einheiten stattfinden, erklärt eine Meditationsleiterin per Telefon. Fragen zur Guanyin-Methode möchte sie ebenfalls nicht beantworten.
Ulrike Schiesser ist von dieser mangelnden Auskunftsbereitschaft nicht überrascht. «Wenn die Darstellung nicht im Sinne einer positiven Berichterstattung kontrolliert werden kann, bevorzugt man lieber gar keine Aufmerksamkeit.» Eine grundsätzliche Einschätzung als gefährlich oder ungefährlich will die Bundesstelle für Sektenfragen nicht abgeben, das könne man nur von Fall zu Fall individuell beurteilen. Einige Ungereimtheiten gibt es auf jeden Fall. Beispielsweise möchte die SMCHIA zwar nicht als religiöse Organisation gesehen werden, auf der US-Website OPENGOVUS werden ihre Tochtergesellschaften jedoch in manchen US-Städten als eben solche geführt.
Der Blick von außen.
Wissen die Gäste über Ching Hai und ihre Gemeinschaft Bescheid? Karl und Michael verneinen. Die beiden gehen von Zeit zu Zeit ins Loving Hut, es liegt in der Nähe ihrer Wohnung. Das Supreme Master TV sei ihnen bei ihren Besuchen zwar aufgefallen, erzählt Michael, aber «dass da so etwas Großes dahintersteckt, hätte ich mir nicht gedacht». «Wir dachten, das ist einfach ein Fernsehsender aus Thailand, den sie gerne abspielen», ergänzt Karl.
Auch Andrea zeigt sich über die Hintergründe der Restaurants erstaunt. Sie möchte sich mehr darüber informieren, wird aber wahrscheinlich auch in Zukunft weiterhin dort essen gehen: «Es ist schön, darüber Bescheid zu wissen, aber vorrangig ist für mich an einem Restaurant dann doch das Essen.» Da sie selbst Vegetarierin ist, gefällt Andrea vor allem, dass im Loving Hut alle Gerichte vegan sind.
Die roten Plastikblumen auf dem Tisch und der Kunstefeu an der Wand wirken unschuldig, beinahe schon kitschig. Filip, der Kellner, bedankt sich freundlich für das Trinkgeld. Im Supreme Master TV läuft die Reihe Noteworthy News. Nachrichten, die «den Menschen Hoffnung bringen» sollen.