Musikarbeiter unterwegs … über den Dächern von Wien in der Anti-Höhle
Seit 2012 machen Pyrite gemeinsam Musik. Im Oktober letzten Jahres erschien ihr Debütalbum Cave. Immer noch eine Entdeckung und ein Schatz.
TEXT: RAINER KRISPEL
FOTO: MARIO LANG
Lieblingsmoment in einem Lieblingslied, Over And Over von Neil Young mit Crazy Horse, bei Minute 6:52 der erhabensten, lebensherzdrückendsten Rockmusik äußert der Meister: «Well, time was just a joke.» Oft ein mörderischer, grausamer, absurder Witz, oft aber auch ein zärtlicher, sanfter, wunderbarer. Auf dem Bewohner_innen-Dachhangout eines Hauses in Favoriten, mit Bier und Snacks, in Gesellschaft von vier Musiker_innen der Band Pyrite – Magdalena Landl (Stimme), Clara Schmidl (Bass, Stimme), Lina Schmidl (Bass, Stimme) und Philipp Wesener (Schlagzeug, Stimme) samt dem Baby von Clara und Philipp – vergeht die Zeit gut, sehr gut. Eintauchen in die schöne(n) Geschichte(n) hinter und in einer so schönen Musik. Zu der noch Magdalena Schmied (Violine, Mandoline und Stimme) und Katharina Klein (Gitarre, Stimme) beitragen und gehören. Mit Katharina telefoniere ich ergänzend zwei Tage nach dem Gespräch mit ihren Kolleg_innen, die studierende und alleinerziehende Mutter von «Band-Kindchen Johanna» hat neben ihren musikalischen Beiträgen die sehr schöne Optik des Albums Cave geschaffen. Dabei vertieft sich der Eindruck einer Band, in der die Nähe – Waldviertel, ein Geschwisterpaar, Schulfreundinnen, Kinder – der Menschen, die sie miteinander machen, eine große Rolle spielt, aber wenigstens ebenso sehr die Musik, die aus und mit dieser Nähe entsteht.
Be Angry!
Da nimmt es nicht wunder, dass der Sound von Pyrite dicht gewoben ist, facettenreich, jedes der elf Lieder von Cave seinen eigenen Charakter mitunter erst nach mehrmaligem Hören offenbart. Gibt es hier doch nicht die Songwriterin oder den Songwriter, wie es auch nicht die Texterin oder den Texter gibt, die mit instrumentalen Erfüllungsgehilf_innen der Mono/Ego-Vision nachspüren. Eine im Wortsinn vielstimmige Musik, die Musik einer echten Band. Der Umstand, dass teils deutsch (Cave, Zerstreuung oder Samtstiefel im Wienfluss – für sich ein Songtitel of the decade!), teils englisch, teils vermischt geschrieben und gesungen wird, verstärkt diesen einnehmenden, spannenden Eindruck noch. Be Angry etwa wurde gemeinsam getextet, umso stimmiger die tröstliche Message: «Sei nicht traurig/don’t be afraid/Hab keine Angst, don’t be sad – Be angry!» Ideen und Ansätze einzelner Musiker_innen werden kollektiv zu etwas anderem geformt, eben der Musik und dem Sound – aufgenommen wurde Cave in zwei Sessions 2017 und 2020 bei und mit Chris Janka – von Pyrite. Der Bandname wiederum wurde genommen – es gab Listen, endlose Listen (Listings heißt ein weiteres schönes Stück des Sextetts) –, weil er am wenigsten
Widerstand/Ablehnung erregte, und zu Katzengold lässt sich gut assoziieren, emotional und sinnierend (ab)schweifen. 2012 haben Pyrite, noch mit einer anderen Sängerin, begonnen, in einem Proberaum in der Arena ihre Musik zu entwickeln. Drummer Philipp war bei einer Audition der genau richtige eben nicht nur Takthalter/geber, Sängerin Magdalena, verwandt mit Willi Landl, der unlängst mit Michael Hornek das wunderbare vierte Album
Abstruse Gestalten veröffentlichte, komplettierte die Band 2016.
Zerstreuung.
Im Gespräch und im Telefonat mit Autodidaktin-Gitarristin Katharina bleibt das beliebte Referenz-Spiel außen vor, so wie Cave als Album sich dem «klingt wie … oder erinnert an» verschließt. Es fallen keine Band-Namen, von Folk ist die Rede, von, früher, gar zu süßem Pop, doch, einer fällt: Alalie Lilt, die erste, 2005 aufgelöste Band von Clara Luzia, und der taugt als Unterstreichung des Drangs zum Originären. Der wertgeschätzte Info-Texter von Konkord, wo Cave erschienen ist, packt immerhin Can, Tortoise und Mark E. Smith (!) in seine Zeilen. Wie diese hier dabei vor allem wohl motiviert, vom Bestreben, diese Zaubermusik mehr Hörer_innen zu erschließen. Dabei hat die absurd vergehende Zeit qua Pandemie Pyrite mit dem Oktober-2020-Release «reingeschissen», von wegen Live-Aktivitäten, um den Menschen ihre Musik näherzubringen. Was bei einem Repertoire von doch 30 Stücken sicher noch die eine oder andere Perle ins Gehör zu rücken wüsste. Anders als Lebensmittel wird gute Musik nicht schlecht, im Sinne von verderben. Oder wie Pyrite in Anstalt singen: «Es ist so spät. So weit, so nah.»
Pyrite: Cave (Konkord)
www.pyritebandwien.wordpress.com