Literatur aus und über Rijeka
Die Handels- und Hafenstadt in der Kvarner Bucht blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück. Einst gehörte sie zu Kakanien (samt Marineakademie), dann wechselweise zu Italien (Fiume) und Jugoslawien, nach dessen Ende zu Kroatien. Je nach Dialekt heißt sie heute Rika, Reka oder Rijeka, im Mittelalter auf Deutsch sogar St. Veit am Pflaum! Was aber nix mit der örtlichen Slivovitz-Erzeugung zu tun hatte, sondern mit dem Wort für Fluss (dt.: Pflaum oder Flaum; ital.: Fiume). So gibt die Rječina der 130.000-Einwohner_innen-Stadt ihren aktuellen Namen.
Spaziert man vom Hafen, an den enormen Markthallen, den vielen Cafés und Wirtshäusern vorbei, hinauf ins Zentrum, überquere man zügig den Korzo, der mit den üblichen verdächtigen Geschäften aussieht wie alle Fuzos in unseren Breiten – mit dem Unterschied, dass sich gleich dahinter, wenn auch gut versteckt, das nach Jan Palach benannte Subkulturzentrum befindet. Daraufhin nähert man sich dem architektonischen Chaos, den ewigen Baustellen, den Plattenbau-Ruinen, den ramponierten Gebäuden aus den 50er und 60er Jahren, dem schiachen Teil von Rijeka. Wachsende urbane und kulturelle Attraktivität versprach man sich von der Ernennung zur Kulturhauptstadt Europas 2020. Viel wurde geplant, wenig umgesetzt, die Gründe dafür sind leidlich bekannt. Die aktuelle Verlängerung um weitere vier Monate wird daran nicht viel ändern.
In seiner verdienstvollen, auf nunmehr 230 Bücher angewachsenen Europa erlesen-Reihe widmet sich der Verlag von Lojze Wieser nun auch der historisch-literarischen Seite von Rijeka, samt Texten aus allen Epochen vorwiegend des 20. Jahrhunderts, darunter auch welchen von Ödön von Horváth, einem namhaften Sohn der Stadt. So wechselvoll wie die Geschichte lesen sich auch die von einem vierköpfigen Team ausgesuchten Geschichten, Gedichte, Notizen, subjektiven Erinnerungen und Historien dieses lesenswerten Literatursamplers.
Auch aus Augustin-Sicht interessant: Unten im Hafen ankert ein – auf dem Oberdeck nobles – Restaurantschiff, in dessen Unterdeck Besitz- und Obdachlose gratis verköstigt werden. Gut so!
Europa erlesen: Rijeka
Hg.: Gerhard M. Dienes, Ervin Dubrović, Marijana Erstić, Gero Fischer
Wieser Verlag 2020
314 Seiten, 14,95 Euro