Weg mit den »Gefängnissen im Gefängnis»tun & lassen

Häftling contra Anstaltsdirektor - Ausgang offen?

Die völlige Abschottung eines Strafgefangenen in Isolierhaft, jeglicher Möglichkeit einer sozialen Kontaktaufnahme beraubt, stellt eine unmenschliche Behandlung im Sinn des Artikels 3 der Europäischen Menschenrechtskommission dar. Langzeithäftling Amyn Radwan Gindia klagt, dass er im Februar und März 2010 unter menschenrechtsverletzenden, folterähnlichen Bedingungen in einer Zelle festgehalten wurde, deren Existenz von den Justizbehörden bestritten wird. Seither führt Herr Gindia einen juridischen Krieg gegen «Gefängnisse im Gefängnis».Vielleicht ist sein Gegner ein paar Nummern zu groß: Ex-Gefängnisleiter Christian Timm. Aber Gindia kämpft nicht nur in eigener Sache, sondern stellvertretend für Häftlinge, die nicht wie er die Kraft und Ausdauer haben, die barbarischsten Seiten des staatlichen Strafens mit Hilfe der kritischen Öffentlichkeit zu bekämpfen. Das, was in der Sprache der Menschenrechtsbehörde «imprisonment within prison» (Gefängnis im Gefängnis) genannt wird, habe in einem zivilisierten Land nichts verloren, meint Gindia, der mittlerweile eine 22-jährige Haftzeit (Stichwort: «Gendarmenmord von Maria Lanzendorf», 1989) hinter sich gebracht hat und rechtskundig wie ein Anwalt geworden ist.

«Naturgemäße Klassenjustiz» und das «Märchen von der Isolationshaft»


Herr Amyn Radwan Gindia ist folglich nicht naiv. Er weiß, dass im Justizsystem in einer schwer hierarchischen Gesellschaft die theoretisch vorgesehene «gleiche Augenhöhe» bei Konflikten zwischen Personen aus gegenteiligen sozialen Schichten real nicht herstellbar ist. Schon gar nicht, wenn das «Match» Gefängnisdirektor versus Häftling angesagt ist. Der vielverschmähte marxistische Terminus «Klassenjustiz» stellt sich einmal mehr als treffend heraus. Umso beachtlicher die Zivilcourage des Herrn Gindia. Das von ihm angestrengte Verfahren gegen Christian Timm wurde «naturgemäß» eingestellt.

 

Hofrat Timm, damals verantwortlich für das Vorgehen gegen Gindia, ist inzwischen nicht mehr Leiter der Justizanstalt Stein. Das klingt wie eine erfreuliche Nachricht. Aber Timm ist nicht degradiert worden, sondern nach oben gefallen. Die aktuelle Stufe seiner Karriereleiter nennt sich «stellvertretender Leiter der Vollzugsdirektion im Bundesministerium für Justiz». Das ist die Behörde, welche Zustände in den Strafanstalten verhindern soll, wie sie von Gindia und anderen wahrgenommen werden. Herr Timm ist der Oberaufseher über alle 27 heimischen Justizanstalten.

Der unermüdliche Amyn Radwan Gindia – derzeit sitzt er in der Justizanstalt Garsten – ist in ständigem Kontakt mit dem Augustin, den er seit drei Jahren mit der fortlaufenden Dokumentation seiner Causa versorgt. Das frischeste Dokument, das er uns zuspielte, löste in ihm ein Gefühl des Triumphs aus. Es handelt sich um ein Schreiben der Volksanwaltschaft, die das von der Anstaltsleitung Stein bestrittene Vorhandensein der speziellen Isolationszelle bestätigt. Die vom Häftling eingebrachte Strafanzeige gegen Timm war nicht zuletzt deshalb zurückgezogen worden, weil die Staatsanwaltschaft Gindias Aussagen über die Absonderungszelle als Märchen deklarierte. Der «Fund» der Volksanwaltschaft ist für Gindia ein Grund für die Wiederaufnahme des Verfahrens.

Gewalt, Isolation und juristische Fragwürdigkeit


Dass die Umstände der temporären Absonderung in diesem Fall besonders skandalös waren, wissen Augustin-Leser_innen seit der Ausgabe vom 12. Jänner 2011, in der Amyn Radwan Gindia den detaillierten Ablauf seiner Behandlung schilderte, die leicht auch zu seinem Tode hätte führen können. 2009 erkrankte der «Lebenslange» an einer Streptokokken-Infektion, die bereits die Herzklappe zerfressen hatte. Wegen Lebensgefahr wurde er ins Spital St. Pölten zur Notoperation gebracht. Und wegen angeblicher Fluchtbereitschaft – ein Steiner Mithäftling hatte in denunziatorischer Absicht mitgeteilt, Gindia spiele die Krankheit nur vor und plane in Wirklichkeit einen bewaffneten Ausbruch – isolierte man ihn nach dem Retourtransport nach Stein in der ominösen Zelle, die es angeblich nur in der Einbildung des Häftlings gab. Noch in St. Pölten war der Patient, weil er als ausbruchsfähig galt, obwohl er in kürzester Zeit sechzehn Kilo abgenommen hatte, so an ein Bett gefesselt worden, dass er sich sechs Tage lang nicht bewegen konnte.

 

Herr Gindia (sein Vater ist Ägypter, was übrigens diverse Vollzugsbeamte zu rassistischen Bemerkungen veranlasst haben soll) berichtete dem Augustin damals: «Zurück in Stein, kam ich in eine besonders gesicherte Zelle, in der man kein Fenster öffnen kann. Es gibt nur kaltes Wasser. Hafterleichterungen wie Radio und andere Ablenkungen fehlen. Eigentlich erfuhr ich eine Absonderung nach § 103 des Strafvollzugsgesetzes, aber die hätte ja von einem Gericht verhängt werden müssen. Ich wurde wochenlang total isoliert. Ich durfte weder meinen Anwalt anrufen noch meine Familie verständigen, dass ich überhaupt noch lebe. Erst nach mehreren Wochen wurde der erste Besuch gestattet. Wenn die Schwester mit einer Spritze kam, musste sie quasi blind die Nadel ansetzen, weil zu diesem Zweck nur die 25 mal 15 Zentimeter große Kostklappe geöffnet wird. Die Schwester musste die Spritze mehr werfen als ansetzen. Ihr könnt euch denken, wie meine Adern ausschauen …»

Herr Gindia freut sich über Feedback, einerlei, ob kritisch oder solidarisch.

Briefe bitte an: Anym Radwan Gindia, dzt. Justizanstalt Garsten, Am Platzl 1, 4451 Garsten.