Wien, 22. Mai 2008
Liebe Tante Evi!
Ich schreib dir ein Brief. Ich schreib ihn hier im Park. Und die Mama is auch da. Und die hilft mir beim Schreiben. Zu Haus traun mir uns nimma. Im Park trau ich mich, weil da sind die Männer nicht so schiach. Du ich hab so Angst um den Papa. Weil gestern sind ganz fremde Männer bei uns eingebrochen. In da Früh. Es war noch ganz finsta und mir haben noch geschlafen. Der Papa hat auch noch geschlafen. Und der Onkel auch. Auf einmal hats furchtbar kracht und die Tür is zerbrochen. Und Männer sin hereingrennt. Die hab ich nicht kennt. Wir haben auch nicht sehn können, wer das is. Sie haben so schwarze Masken aufgehabt und Pistolen. Wie die Räuber im Fernsehen. Wo ich immer gleich schlafen gehen muss. So was darf ich mir noch nicht anschauen. Hat der Papa gsagt. Aber gestern warn die auf einmal in unserer Wohnung.
Und sie haben den Papa aus dem Bett geholt. Er war ganz nackert. Weils so heiß war. Aber anziehn hat er sich nicht dürfen. Und der Onkel auch nicht. Und der hat an der Wand stehen müssen. Und sie haben ihm die Pistole hinten auf den Hals gehalten. Weil sie ihm gleich derschießen, wenn er sich rührt. Und ich hab mich so gefürchtet. Dass sie den Papa tot machen. Und den Onkel. Und sie haben alles auseinander genommen. Und das warn gar keine Räuber. Die warn von der Polizei. Und sie haben die Zuckerdose ausgeleert. Und sie habn dem Rigo sein Spielzeug weggenommen. Du weißt schon. Das ist mein kleiner Hund. Und der hat sich auch so gefürchtet. Und den Computer und andere Sachen. Und ich hab mich so gefürchtet. Und ich hab gsehn, das nackerte Männer gar nicht schön sind. Und die sind sechs Stunden da geblieben. Und den Papa haben sie mitgenommen. Und ich hab so eine Angst. Und es ist, weil uns die Tiere so Leid tun. Und weil das verboten ist. Tante Evi, bitte pass auf. Wennst mit einer Katze spielen willst oder ihr helfen. Schau immer, ob kein Polizist da is. Versprichst ma das? Ehrenwort, ja?
Deine Katharina
Dieser Brief ist eine Fantasie, aber die Eckdaten, um die sich diese Fantasie rankt, stammen aus Pressekonferenzen und Medienberichten rund um eine Razzia in mehr als zwanzig Privatwohnungen von Tierschützern. Die im Morgengrauen von WEGA-Beamten eingeschlagene Tür, das Stürmen der Privatwohnung, die in den Nacken der unbekleideten Männer gesetzten entsicherten Pistolen, die Beschlagnahmung von Hundespielzeug und eine Reihe anderer überschießender polizeilicher Maßnahmen sind schriftlich bezeugt. Anlass dafür, wieder einmal ein Auge auf Rechtsstaatlichkeit zu werfen.
Der in den Medien viel zitierte WEGA-Einsatz hat wieder besonders deutlich gezeigt, dass bei massiver Gewaltanwendung vor allem Unschuldige bestraft werden. Es ist eine Gesetzmäßigkeit aller Gewaltspiralen, die wir schön langsam begreifen sollten, wenn die Welt nicht zu ihrem eigenen Selbstmordattentäter werden soll. Wenn man als kleines Kind die Demütigung der eigenen Eltern erlebt, wird man den Hass gegen die Verantwortlichen nur sehr schwer los werden. Wenn dieser Hass zum Hass einer großen Gruppe wird, wie soll sich friedliches Zusammenleben auf nationaler und internationaler Ebene entwickeln?
Dass WEGAner nicht bedachtsam handeln dürfen, ist ihr Job. Sie sind eine Spezialtruppe, die für Alarmfälle gebildet und ausgebildet worden ist, wofür das A in ihrem Akronym steht. Sie sind ein Militär gegen innere und unsichtbare Gefahren. Fehleinsätze führen daher immer zu Katastrophen. Und so fragt man sich, wie es zu diesem Fehleinsatz gekommen ist, bei dem Mittel, die der öffentlichen Sicherheit dienen, dazu benutzt wurden, Kleinkinder seelisch zu foltern und Schoßhunde zu bestrafen, die nicht einmal schlimm waren. Bei dem anscheinend wahllos Hausdurchsuchungen vorgenommen und unzählige Gegenstände in der Hoffnung auf Beifang (so der Strafverteidiger Dr. Pochieser) beschlagnahmt wurden.
Die Staatsanwaltschaft verdächtigt österreichische TierrechtsaktivistInnen der Bildung einer kriminellen Organisation gemäß § 278a StGB. Dieses Verbrechen ist mit 5 Jahren unbedingter Freiheitsstrafe bedroht. Wenn der Untersuchungsrichter einen Gutachter beizieht, der überschäumenden Einsatz für Tierrechte als Persönlichkeitsstörung auslegt, dann ist noch vor der Gerichtsverhandlung die Weiche für einen unbestimmten, also unter Umständen lebenslangen Gefängnisaufenthalt nach §21 StGB gestellt.
Hintergründe? Da nicht einmal Dr. Traxler, dem Strafverteidiger von DDr. Balluch Akteneinsicht gewährt wird, kann man nur spekulieren. Was kann es mit dem Verdacht auf Gründung einer kriminellen Untergrundorganisation auf sich haben? In Wikipedia findet sich Information über ALF. Gemeint ist nicht die außerirdische Comic-Figur, sondern ein meinungsverbreitendes Phantom. Das heißt, die Animal Liberation Front ALF ist kein Verein mit Obfrau/Obmann, Kassier, Führungsbüro udgl. ALF hat vielmehr den Charakter einer pseudoreligiösen Bewegung. Jeder, der es für richtig hält, Wirtschaftszweigen, die Tierleid verursachen, Schaden (bis hin zum In-den-Konkurs-Treiben) zuzufügen, gehört automatisch dazu. Was aber verursacht einem Wirtschaftszweig Schaden? Sachbeschädigungen ganz bestimmt nicht. Die Versicherungen kommen für die momentane Einbuße auf, die Nachbeschaffung unbrauchbar gemachter Felle (z. B.) führt zu doppeltem Tierleid, die Umsätze steigen, und damit auch das Bruttosozialprodukt des Staates. Davor also fürchten sich also Wirtschaft und Staat ganz bestimmt nicht. Das Einzige, was einem Wirtschaftszweig vorübergehend schaden kann, ist Konsumentenaufklärung. Dann ist er nämlich gezwungen, seine Produktion umzustellen, was für ihn schwierig ist, weil er damit nicht nur über seine eigene Situation entscheidet, sondern auch über die seiner Lieferanten, Angestellten und Kunden. Sie haben also Grund, sich vor Websites wie http://tierrechtsbilder.de zu fürchten.
Der Täter ist also keine Person oder Organisation, sondern eine Einstellung. Wenn es aber keine Organisation gibt, muss man eine erfinden. Wenn die Exekutive beauftragt wird, einen Täter zu verhaften, aber nicht weiß, wer das ist und wo sie ihn findet, muss sie wie ein Reusenfischer das Netz auswerfen, in der Hoffnung, dass das Gebiet, in dem sie fischt, überhaupt ein Fischgrund ist. Wenn in Zukunft eine Moschee beschädigt wird, wird man zwei Dutzend Christen verhaften, in der Hoffnung, dabei einen Fundi zu erwischen und ihm Brandstiftung oder Religionsstörung nachzuweisen. Um den Einbruch in eine Spielzeugwarenhandlung aufzuklären, stürmt man die Wohnungen von zwanzig Schachspielern und holt sie mit gezogener Waffe aus dem Bett. Einer wird’s schon gewesen sein. Ach ja, die zwanzig müssen natürlich schon auch (wegen ihrer Schachgeheimnisse) verschlüsselte E-Mails getauscht und registrierten ordentlichen Schachklubs angehört haben. Schachklubs sind potentiell gefährliche Organisationen, man denke nur an die extreme politische Einstellung von Bobby Fisher.
Genau diese beiden Argumente waren die Rechtsgrundlage für die Haftbefehle gegen die Tierschützer. Das Empfangen und/oder Versenden verschlüsselter E-Mails und die Zugehörigkeit zu einer verdächtigen Interessensgemeinschaft. Das Erstere bedeutet Verdunkelungsgefahr, das Letztere Tatbegehungsgefahr, denn vor allem im Ausland ist es wiederholt zu schweren Sachbeschädigungen durch aufgebrachte Tierrechtler gekommen. Die letzten (angeblich wirtschaftsschädigenden) Kampagnen werden von Wikipedia allerdings mit 2004 und 2005 datiert.
Was Sorge macht, ist der Einsatz WEGAner gegen Veganer. Im weltweiten ideologischen Krieg Antiveganer gegen Veganer wird über wesentlich mehr Gewalt gegen Tierschützer als gegen quälende Tierverwerter berichtet. Die WEGANer wurden also zum einseitigen Einsatz befohlen. So etwas sieht nicht nach Recht, sondern nach Politik aus, nach einer Politik, die sich zur Kapitalmarionette macht.
Was Sorge macht, ist die unglaubliche Gewalttätigkeit, mit der im Namen der Republik vorgegangen worden ist. Immer, wenn Gewalt angewandt wird, sind die Leidtragenden in erster Linie Personen, die nichts Böses getan haben. Wenn Verhaftungen vorgenommen werden, werden Kinder traumatisiert, Familien auseinander gerissen, wird unversöhnlicher Hass gegen die Republik erzeugt, der zu neuer Gewalttätigkeit führt. Wenn Gefängnisstrafen verhängt werden, sind die Opfer in erster Linie die Angehörigen, also Menschen, die kein Unrecht begangen haben.
Was Sorge macht, ist der Erklärungsbedarf, in den sich die Staatsanwaltschaft gebracht hat. Die enormen Mengen an beschlagnahmten Festplatten und Adressaufzeichnungen, aber auch völlig neutralen Gegenständen werden jetzt sicher endlos lange und fieberhaft untersucht werden, um irgendwelche Indizien auf Gesetzesbrüche zu finden. Solange gesucht wird, kann die Akteneinsicht verweigert, können der Verteidigung die Hände gebunden werden. Es wäre auch nicht das erste Mal, dass unter dem Erfolgszwang des Justizapparates Beweise manipuliert werden (siehe das Dokumentarvideo zu Operation Spring).
Was Sorge macht, ist der Gerichtsort, der gewählt wurde. Wenn man den Berichten bei der Pressekonferenz vom 26. Mai glauben darf, werden die Exekutivbeamten dort zum Handeln motiviert, in dem man sie in Kopfgeldjägerstimmung versetzt, auch wenn das Kopfgeld nur in Form des Feierns von Erfolgen (Festnahmen) mit Sekt besteht.
Was besonders Sorge macht, ist die Begründung der Verdunkelung durch den Austausch verschlüsselter E-Mails. Wie ist man darauf gekommen? Hat die Justiz inzwischen auf alle mit dem Internet verbundenen PCs Spionageprogramme geschmuggelt? Wenn ja, dann müssen alle verschlüsselten Liebesbrief-E-Mails unter die staatsgefährdend verdächtigen Verschwörungsaktivitäten subsummiert werden. Wer flirtet, ist potentieller Staatsfeind.
Oder hat man auf Steuerkosten Millionen teure Software installiert und versucht jetzt, diese Ausgaben zu rechtfertigen, indem man Fahndungserfolge konstruiert nochmals erinnert man sich an Operation Spring. Wenn das von einer technischen Einrichtung gelieferte Material sich als unbrauchbar erweist, erklärt man es eben für brauchbar.
Es könnte allerdings auch sein, dass dieses Argument der Einschüchterung der Internetbenutzer schlechthin dienen soll. Die dezentrale Struktur des Internets macht Kontrolle fast unmöglich. Also sorgt man dafür, dass Interessensgemeinschaften vor der Benutzung zögern, sich jedenfalls in Zukunft davor scheuen, ihre E-Mails zu verschlüsseln, um so auch jener Bespitzelungssoftware zugänglich zu werden, die elektronische Post auf Schlüsselwörter hin scannt.
Sorge macht auch, dass Operation Spring noch nicht aus dem Gedächtnis der Öffentlichkeit verschwunden ist. Der Justizapparat wird alles daran setzen, die objektive Dokumentation einer Panne, die das Vertrauen in den Rechtsstaat erschüttert, zu verhindern. Legale Mittel dazu gibt es genug.
Hoffnung kann man nur auf ein vernünftiges Präzedenzurteil setzen, das dazu beiträgt, die Justiz von politischem Hass zu befreien, wie er hier ganz offensichtlich eine Hauptrolle spielt.