Wegen Solidarität in den „Untergang“Heroes

Traumschiff, Zug und Straße Stationen des Christian Meischl

heroChristian.jpg

In den letzten Monaten bekam Christian Meischl öfters zu hören, er sei wieder aufgeblüht. Die Talsohle, das Betteln in der Mariahilfer Straße, hat der ehemalige Kellner eines Haubenrestaurants durchschritten. Nun steht auf seinem Plan, wieder eine Wohnung zu finden und sich als Betroffener aktiv für die Armutsbekämpfung einzusetzen.

Herr Maurer, ich bin so nervös. Ich hatte noch nie einen Theaterauftritt und draußen warten 300 bis 400 Leute, ich habe den Urbremsstreifen in der Hose, ich weiß nicht, was ich tun soll? Der Maurer schaut mich an, legt seine Hand auf meine Schulter und sagt nur zwei Worte: „Nix scheißen!“ Diesen Tipp des Kabarettisten Thomas Maurer nimmt sich der Zeitungsverkäufer und das neueste Mitglied der Betriebstheatertruppe des Augustins Christian Meischl nun zu Herzen er bekam ihn vor seinem ersten Auftritt im Rahmen der langen Nacht des Augustins im Wien Museum. Das improvisationsfreudige Theater ist nun seit gut zwei Monaten ein Teil seiner Welt. Ein anderer wichtiger Bereich wurde für ihn, sich in Sachen Soziales zu engagieren: Ich möchte keinesfalls behaupten, immer sozial eingestellt gewesen zu sein. Ich möchte nicht wissen, wie oft ich über die Mariahilfer Straße gegangen bin, ohne auf Straßenzeitungsverkäufer oder Bettler zu achten. Es hindert einen niemand daran, durch eigene Erfahrungen klug zu werden.“ Christian Meischl ist seit geraumer Zeit wohnungslos er wurde delogiert und schläft seit der Räumung in der VinziRast, einer Notschlafstelle für Obdachlose.

Kellner ohne kessen Arsch

Der Zeitungskolporteur hatte von Kindheit an eine Affinität zu Büchern. Nach der Hauptschule drängte ihn seine Mutter, sich auf ein Inserat hin bei der Nationalbibliothek zu bewerben. Seine der Mutter gegenüber geäußerten Zweifel, „ja genau, auf den Christian werden sie dort warten“, erwiesen sich als ungerechtfertigt. Christian wurde Vertragsbediensteter und arbeitete hauptsächlich im Magazin der Nationalbibliothek. Schlechter Verdienst und keine Aussicht auf eine Lehre veranlassten ihn, der Materie Buch beruflich zu entfliehen: „Nach dem Bundesheer dachte ich mir, fressen und saufen tust gern und eine Goschn hast auch, also warum nicht das Gastgewerbe.“ Über den zweiten Bildungsweg machte Christian die Kellnerlehre und einen Barkurs mit dem Ziel, in der „Topgastronomie zu landen“ die Landung glückte, die erste Destination war ein Haubenlokal in Hietzing. Sein sich steigerndes Bedürfnis, etwas von der Welt zu sehen, glaubte er mit einem Kellnerjob auf der „MS Astoria“ befriedigen zu können. Der durch die Fernsehserie „Das Traumschiff“ bekannte Luxuskreuzer entpuppte sich als hartes Arbeitspflaster. „Ich blieb nicht lange, denn das Grundgehalt war extrem niedrig, verdienen konnte man eigentlich nur über das Trinkgeld, aber in Summe nicht mehr als in einem gut gehenden Wiener Lokal.“ Und von der Welt gab es außer Häfen nichts zu sehen.

Christian wechselte vom Meer auf die Schiene und wurde Speisewagenkellner. „Es war dort eine herrliche Zeit, intensiver Kontakt mit den Kunden und keinen Chef, der einem auf die Finger geschaut hätte.“ Zu Christians und weiteren 500 ArbeitskollegInnen Pech verlängerte die ÖBB den Vertrag mit der für die Speisewägen verantwortlichen Firma nicht sie wurden arbeitslos.

Zunächst blickte der Kellner noch entspannt in die Zukunft, denn er hatte bis zu diesem Zeitpunkt noch nie Schwierigkeiten gehabt, allein, also ohne Hilfe des Arbeitsamtes, eine gute Stelle zu finden. Doch das Tablett wendete sich: „Ich musste mir anhören, ich sei zu alt, mit 28 Jahren! Oder ich sei überqualifiziert und käme daher zu teuer.“ Die Töne im „normalen Beislbereich“, so Christian, schlugen in eine andere Kerbe: „Ich nehme lieber eine Frau mit kessem Arsch, mit der mache ich mehr Geschäft.“

Der ehemalige Topgastronomiekellner trat eine Stelle als Lagerarbeiter an. Und allmählich wurde sein sozialkritischer Geist geweckt: „Das war mein Untergang!“ Christian hatte es satt, länger Überstunden, ohne Aussicht diese auch wieder abbauen zu können, zu machen. In seiner schnell erarbeiteten etwas höheren Position konnte er sich dies erlauben, doch der Arbeitgeber nahm seine gesamtbetrieblichen Bemühungen nicht hin. „Seid’s nicht deppert“, sagte der Gruppenleiter zu seinen Mitarbeitern, „macht es wie ich!“ Ein Brief der Geschäftsführung mit der Floskel, er sei nicht mehr teamfähig, erreichte Christian Meischl. Somit war die Kündigung besiegelt. Zu allem Überdruss folgte auch noch ein Wohnungsbrand, und Christian fand sich „in einer Spirale, wo man nicht mehr so leicht raus kommt“, wieder.

Die Notwendigkeit des Bettelns

„Zuerst bin ich stundenlang die Mariahilfer Straße auf- und abgegangen, bis ich mich getraut habe, mich hinzusetzen.“ Christian Meischl wurde Bettler. Zu diesem Zeitpunkt sah er keine andere Möglichkeit, um an ein bisschen Geld zu kommen. Abgesehen von der psychischen Belastung, wie der totale Verlust des Selbstwertgefühls und der Stress mit der Polizei, wurde er auch noch von der FPÖ instrumentalisiert. „Ich bekam von einem Bekannten die U-Bahn-Zeitung in die Hand gedrückt. Drinnen war ein Inserat der FPÖ gegen die Bettelmafia mit einer Fotostrecke ein Bild zeigte mich beim Betteln.“ Christian wollte das nicht auf sich sitzen lassen und wurde an eine Medienrechtsexpertin vermittelt. Diese räumte ihm bei einer Klage gegen die FPÖ wenige Chancen ein, da er nicht deutlich genug erkennbar war, abgesehen davon wäre der Kostenaufwand der Klage für einen Straßenzeitungsverkäufer zu hoch gewesen. Christian hatte aber die Schmach, denn einige Bekannte sprachen ihn auf dieses Foto an. Auch ein Brief eines anderen Anwalts an die FPÖ blieb bis heute wenig überraschend unbeantwortet.

Darauf angesprochen, wie er als ehemaliger Bettler über den Begriff Bettelmafia denke, antwortet Christian: „Mafia ist ein medienwirksames Schlagwort.“

Betteln sei für ihn eine Notwendigkeit gewesen, nun habe er aber wieder eine Arbeit, und zwar das Verkaufen des Augustin. Wenn es das Wetter erlaubt, steht Christian 35 bis 40 Stunden die Woche in der Mariahilfer Straße Höhe Stiftgasse, um die Straßenzeitung anzubieten. Mit dieser Tätigkeit sei auch sein soziales Ansehen gestiegen. Menschen, die ihn als Bettler gemieden bzw. im Falle der Polizei kontrolliert haben, würden ihm nun mit Freundlichkeit begegnen. Irgendwie skurril, geht es einem oder einer so dreckig, dass nur noch das Betteln bleibt, wird man ignoriert oder gar geschnitten, ist die Lage bloß schlecht, dann darf man mit Hilfe rechnen. Christian erzählt von LobbyistInnen, die er als Straßenzeitungsverkäufer hat. Ein Polizist aus dem Grätzel, der öfters auf ein Plauscherl vorbeischaut und dabei gerne eine Wurstsemmel zusteckt, musste sich schon zu oft von Christians StammkundInnen schelten lassen, ob er denn nichts Besseres zu tun hätte als einen Augustinverkäufer zu sekkieren! Dieser Polizist besucht Christian nur noch in Zivilkleidung.

Sichtbar werden

Bei unserem Gespräch war der Augustinverkäufer noch voll der Impressionen von der von ihm gerade besuchten Tagung der Armutskonferenz mit dem Titel „Sichtbar werden“ in Graz. Sein neues Motto „Nix scheißen“ habe für ihn auch in diesem Bereich seine Gültigkeit. „Ich finde es ganz wichtig, dass alle von Armut betroffene Menschen, ob Arbeits- oder Obdachlose, Migranten oder Alleinerzieherinnen, den Mut aufbringen aufzustehen und zu sagen, wir scheißen uns nichts. Wir legen den Finger auf die Wunde des ,Sozialstaates‘ und zeigen die Missstände.“

Translate »