„Weil du die Leut so lieb gewinnst“Artistin

Über die Schwierigkeiten, im Altenheim eine böse Rolle zu spielen ...

Georg_Friedrich.jpgLeidenschaftlich, verletzlich und ausbaufähig, wenn er eine große Rolle kriegt, wie als Glücksspielsüchtiger im Kinofilm Spiele Leben. Immer mit einer gewissen Vielfältigkeit, aber gleichzeitig eigenständiger Distanz unterwegs, spielt Georg Friedrich derzeit in Welcome Home einen Kieberer, der sich in Ghana an sein Aufnahmegerät klammert, und in Import, Export einen Pfleger, der fröhlich seine Alten ärgert.

Legen Sie ihre Charaktere bewusst so ambivalent an? Ist das eine Strategie? So wie in Import, Export den Pfleger, der die Leute provoziert, aber auf der anderen Seite vertraut mit ihnen ist.



Beim Ulrich (Seidl) wird einfach viel improvisiert, du weißt zwar deine Rolle, du weißt, wer der ist und was der tut. Ich habe ein paar Tage auf der Geriatrie gearbeitet, Leute gewickelt und ihnen den Arsch ausgewischt. Das war schlimm am Anfang, aber man gewöhnt sich dran. Du kannst halt nur aus dem Bauch heraus arbeiten und anscheinend bin ich persönlich so ambivalent. An und für sich wollten wir, dass dieser Pfleger ein absolutes Arschloch ist, und ich habe das probiert, aber das kannst nicht machen, das geht nicht. Weil du die Leute doch so lieb gewinnst. Es ist schwierig bei diesen alten Leuten, wenn du jetzt böse oder garstig bist zu denen. Dabei sind das keine professionellen Schauspieler, die können das nicht unterscheiden. Jetzt kannst gar nicht so wirklich … Mit einem Kollegen ist das anders, der weiß, das ist eine Szene und eine Rolle und nachher ist wieder alles vorbei und man nimmt sich in die Arme und sagt Tschuldigung. Die Alten haben ja nicht gewusst, dass wir Schauspieler sind. Die haben immer geglaubt, wir sind Pfleger, weil wir eben auch vorher dort gearbeitet haben.

Aber die Kamera haben sie ja gesehen?

Ja, aber die nehmen sie nicht wahr. Wir sagten schon, die filmen jetzt mit, aber der Ulrich hat ihnen nie gesagt, dass ich kein Pfleger bin. Die haben uns immer als ihre Pfleger gesehen, vor allem die Maria Hofstätter, die viel Zeit dort verbrachte und alle per Namen kannte. Die war im Gegensatz zu mir noch viel näher dran.

In Spiele Leben ist ja die Ambivalenz des Spielers gegenüber seiner Freundin deutlich zu erkennen. Dieses alles gleichzeitig und sofort wollen oder gar nix, die Ungeduld, die hohe Erwartung, die Enttäuschung.

Das war im Buch schon so angelegt. Klar arbeiteten wir dran und ich brachte mich ein. Da war viel Platz. Es gab eine ganz tolle Mischung aus vollkommener Improvisation, Szenen, bei denen bestimmte Vorgaben zu erfüllen waren, und bestimmten Sätzen oder Textzeilen, die dem Antonin (Svoboda) total wichtig waren. Und Szenen mit gelerntem Text. Deswegen war der Film interessant für mich. Die Frau war halt eine Krankenschwester mit Krankenschwestersyndrom, klar habe ich die irgendwie gern gehabt, als Rolle, aber die habe ich ja ständig belogen. Das ist ja ein Ding von Spielern, dass die ständig lügen müssen, weil sie dazu nicht stehen können. Die lügen sich selber in die Tasche und können es, wenn sie einen Rückfall haben, dem Partner halt nicht sagen oder den Freunden. Die stehen immer sehr alleine da mit ihren Problemen. Die haben niemand, dem sie ihre Situation ehrlich schildern können. Ich war zur Vorbereitung bei den anonymen Spielern. Ich sagte denen nicht, dass ich Schauspieler bin, ich habe gesagt, ich bin Spieler. Die kannten mich nicht vom Film, denn das sind nicht so die Kinogeher.

Und jetzt mit dem geradlinigen Kieberer in Andreas Grubers Welcome Home? Wie ist es Ihnen dabei gegangen, einen Fremdenpolizisten zu spielen? Ich fand, Sie haben sich sehr zurückgehalten.

Na, du kannst ja auch nicht immer hinhauen (lacht). Ich habe den Kieberer nicht als bewussten Rassisten gespielt. Wenn ein Kieberer Rassist ist, ist ihm das ja nicht einmal bewusst. Der sagt, die Hautfarbe ist ihm wurscht, und dafür, dass alle Bimbos Drogendealer sind, kann er nichts. So sind die drauf. Ich bin ja prinzipiell kein Freund des Polizisten. Ich habe ein paar kennen gelernt, die oberflächlich gesehen ganz nett waren, aber wenn du dir dann überlegst, was die eigentlich tun. Und dass sie sozusagen strukturell Arschlöcher sein müssen, sogar zu Leuten, die ihnen sympathisch sind. Da sitzt dir einer gegenüber, der was angestellt hat und der dir sympathisch ist, dem du aber das Messer in den Rücken stechen musst …

Dass ein Kieberer manchmal überfordert ist, sieht man ja ziemlich gut im Film.



Bei uns haben sie neulich zwei Schwarzafrikaner verhaftet. Die Leute schauten dann alle beim Fenster raus. Ich auch. Die Polizei passt ja dann sehr auf, wenn sie kontrolliert wird Den einen haben sie erwischt und in einen Hauseingang reingezerrt, wo es nachher wirklich laut war. Ich möchte nicht wissen, was da passiert ist. Für die meisten Leute ist ein Schwarzer, der unter 30 ist, Jogginghosen anzieht und U-Bahn fährt, ein Drogendealer. Es wird den Leuten wirklich viel zu wenig nahe gebracht, aus welchen Gründen Flüchtlinge zu uns kommen. Die Wiener haben keine Ahnung über die repressiven Verhältnisse in den Ländern. Die Betroffenen haben es nicht schön, wenn sie zu uns kommen. Sie haben kein Geld, werden wegen ihrer Kleidung verspottet, dürfen aber nicht arbeiten.

Wegen dem Wiener Schmäh in Ihren Rollen: Wo haben Sie Ihre Kindheit verbracht und wie war die?



Meine Kindheit im 23. Bezirk in Rodaun, schon fast bei Perchtoldsdorf, war eigentlich sehr behütet. Damals hat es die Klassenunterschiede schon viel mehr gegeben. Damals gab es wirklich zwei Klassen: die Zünd-Upp-Fahrer, die Proleten und die Vespa-Fahrer, die Snobs.

Was haben Sie gehabt?

Eine silbergraue Vespa. Aber da hatte ich noch keinen Führerschein. 136 Kubik schlitzgesteuert. Ich war in Kalksburg in der Eliten-Bubenschule. Ich bin mit dem Sohn vom Klestil in die Klasse gegangen, mit dem Sohn von den Bene-Ordnern, vom Denzel lauter schwerreiche Söhne. Für mich war damals wirklich jemand, der im Gemeindebau wohnt, minder. Das waren Prolos, den Ausdruck gibt es heute kaum mehr. Die sozialen Unterschiede sind heute nicht mehr so erkennbar. Die Jugendlichen heute kleiden sich ähnlich, aus armen und aus reichem Haus. Später kam ich auf die Hauptschule und war mit den Prolos in einer Klasse. Darüber bin ich rückblickend froh, weil ich lernte, dass das ganz normale Menschen sind. Und dass es mit Intelligenz nichts zu tun hat, wo man aufgewachsen ist.

Woher haben Sie dann z. B. diese ganzen Bösewichte für die Barbara Albert her?



In der Pubertät und nachher war ich viel mit sehr schlimmen Leute zusammen. Ich habe gerade noch den Hauptschulabschluss geschafft und ging dann auf eine private Schauspielschule. Matura habe ich keine.

Was macht den Unterschied aus, mit Barbara Albert oder Ulrich Seidl zu arbeiten? Oder was ist ähnlich bei beiden?



Was ich von einem Regisseur brauche, ist ein großes Vertrauen und wenn ich das bekomme, nehme ich mir mehr Freiheit. Ich halte mich dann oft nicht an den Text. Wenn mir etwas dazu aus dem Bauch raus einfällt, realisiere ich das einfach. Wenn es nicht passt, sagt es mir die Barbara eh. Ein prinzipieller Unterschied ist, dass beim Ulrich nur improvisiert wird. Da gibt es vielleicht einen groben Rahmen, aber die Worte, die Aktionen kommen von mir und Ulrich fängt das ein. Bei der Bärbel ist es vielmehr so, dass es eine Geschichte gibt, einen Dialog, einen Text, der zu lernen ist. Natürlich hat man die Freiheit zu sagen, der Satz gefällt mir nicht, ich würde das gerne anders formulieren.

Thomas Maurer meinte neulich, der Augustin habe eine hohe Auflage, aber er werde nicht gelesen und wir Augustin-JournalistInnen seien in dieser Hinsicht alle kleine Jelineks. Was halten Sie vom Augustin?

Ich lese gerne den Augustin (lacht). Ich lese manchmal wirklich was. Das unterhält mich. Ich bemitleide den Verkäufer nicht. Im Gegenteil, ich bewundere, dass er etwas arbeitet. Ein guter Freund verkauft den Augustin in der Lobau: der Tscheche Jirschi, der mit dem schlechten Fuß. Der hat früher in der Gastwirtschaft gearbeitet. Bei irgendeiner schweren Arbeit ist ihm etwas auf den Fuß gefallen. Und dieser blöde Fuß heilt seit fünf Jahren nicht ab, Jirschi kann aber ohne Versicherung nicht ins Krankenhaus gehen. Ich habe oft versucht, dem Jirschi, wenn ich keinen Augustin kaufen wollte, ein Geld zu geben. Das hat er aber nicht genommen. Im Gegenteil: Er war angefressen und sagte, du machst mich zum Bettler.