Die Musikerinnen Lisa Hofmaninger und Judith Schwarz betreiben ein hochenergetisches Duo mit multiplen Andockstellen für Sounds, Bilder und Gedanken aus allen Himmelsrichtungen.
TEXT: HELMUT NEUNDLINGER
FOTO: JANA MADZIGON
Begonnen hat alles eines Abends im Jahr 2012 im WERK: Just in dieser Brutstätte für Grenzen sprengende Kreativprozesse präsentierten zwei zu dieser Zeit noch an der Linzer Anton-Bruckner-Universität studierende Jazz-Musikerinnen ihre Bandprojekte. Lisa Hofmaninger (Sopransaxofon, Bassklarinette) und Judith Schwarz (Schlagzeug) machten nicht nur das anwesende Publikum neugierig, sondern fanden auch spontan Gefallen aneinander. «Judith hatte sofort die Idee, eine ihrer Kompositionen für einen Gastauftritt von mir neu zu arrangieren», erzählt Lisa Hofmaninger. «Bei einem der nächsten Konzerte war ich Feature-Gast, und dann haben wir uns so richtig kennengelernt.»
Wer den beiden jungen Frauen zuhört, staunt nicht nur über ihre gemeinsame Produktivität, sondern auch über die Art und Weise, wie die Wörter und Gedanken in dem munteren Zwiegespräch hin und her wechseln — eine Fortsetzung des musikalischen Dialogs mit den Mitteln der Sprache. Immer wieder beginnt eine einen Satz, den die andere ansatzlos übernimmt und fertigspricht. «Das war von Anfang an so, dass wir uns so gut ergänzt haben», sagt Schwarz. «Oft passieren kommentarlos Dinge, wo man zusammenhält und das überhaupt nicht infrage gestellt wird, weil es einfach stimmt.»
Alles rausholen.
Dass es musikalisch einfach stimmt, bezeugt auch der fast zehnjährige Weg, den die beiden miteinander gegangen sind. Neben ungehemmter Spiellust eint Hofmaninger und Schwarz ein Drang zum Erforschen und Ausloten neuer Wege und Konstellationen. «Wir haben oft gemeinsam die Sachen ohne die anderen durchgespielt», erzählt Schwarz. «Wir wollten alles rausholen und haben viel geschrieben und probiert. Wir waren die Ersten, die da waren, und die Letzten, die gegangen sind.» Auf diese Weise schälte sich die Form des Duos gleichsam aus den größeren Ensemble-Projekten
heraus. «Als wir 2016 von unseren Erasmus-Studienaufenthalten in Basel und Paris zurückkehrten, sind wir wieder einmal explodiert und haben drei Projekte gleichzeitig gegründet», erzählt Hofmaninger. Der Ansatz mit dem Duo-Format scheiterte im ersten Anlauf grandios. «Beim Spielen haben wir unsere Kolleginnen gehört, die aber gar nicht da waren — das Publikum natürlich nicht», sagt Schwarz. «Da war klar, es fehlt hinten und vorne was. Auf der anderen Seite haben wir uns mit Dingen ausgepowert, die überhaupt keinen Effekt erzeugt haben.»
Anstatt aufzugeben, begannen die beiden, sich mit den ungenützten Räumen auseinanderzusetzen. Zwischen Schlagzeug und Blasinstrumenten setzte eine Reflexion über grundsätzliche Fragen ein. «Wir haben ein Jahr intensiv geprobt, die Aufnahmen analysiert und Imitationsspielchen gemacht. Wir haben geschaut, wer kann wie die Rollen wechseln, und so hat jede die Sprache der anderen gelernt», beschreibt Hofmaninger den Prozess der wechselseitigen Annäherung. Von Andi Schreiber, ihrem Kompositionslehrer an der Linzer Bruckner-Universität, erhielten sie zudem einen wertvollen Hinweis auf die Urgeschichte dieser besonderen Konstellation. Er erzählte ihnen von
Zurna und Davul in der orientalischen Musiktradition, dem Aufeinandertreffen eines Blasinstruments mit einer Rahmentrommel, das sich weit über tausend Jahre zurückverfolgen lässt.
Räume nützen.
Im Rahmen dieses konzentrierten Forschens und Probierens haben Hofmaninger und Schwarz die ungenützten Räume auf vielfältige Weise zum Klingen gebracht: Die Positionen sind so beweglich geworden, dass zwischen den beiden Grundelementen eine ganze Palette an musikalischen Farben und Facetten entstanden ist. «Oft sind es banale Dinge, die aber so wichtig sind», erklärt Schwarz. «Etwa die Frage, was man mit Dynamik machen kann. Wenn wir es schaffen, diesen Fokus zu haben im Raum und auch zwischen uns, dann fiebert das Publikum mit.» Und Hofmaninger ergänzt: «Es ist wie in einem Zwiegespräch, in dem man rundherum alles vergisst. Sobald man sich öffnet, öffnet sich auch das Publikum, und das merkt man bei den Konzerten extrem.»
Dieses konsequente Öffnen zur anderen hin hatte auch für die Weiterentwicklung des Duo-Projekts Folgen. Im Rahmen des Förderprojektes New Austrian Sound of Music reichten die beiden ein Konzept mit dem Titel Sound Collector ein, um den zwischen ihnen etablierten Dialog um dritte Positionen zu erweitern. Da war zum einen der Wunsch, längerfristig mit internationalen Gästen zu arbeiten, als es im herkömmlichen Format der Auslands-Konzertreise möglich ist. «Man ist irgendwo zwei, drei Tage, spielt ein Konzert und muss dann schon wieder weg», erzählt Hofmaninger. «Wir wollten eine Art Residency schaffen, in der wir uns mindestens zwei, drei Wochen mit einem Musiker oder einer Musikerin auseinandersetzen können.»
Außenseitertum.
Der Lockdown im letzten Jahr verunmöglichte den auf Reisen angelegten Ansatz zunächst. Aus der Not entstand jedoch eine Tugend: die intensive Kommunikation mit den Projektpartner_innen via Skype, Zoom und im Anschluss der Prozess des gemeinsamen Komponierens und Aufnehmens über digitale Kanäle. «Wir haben uns überlegt, wie wir eine gemeinsame Inspiration für unsere Arbeit finden können, und da ist die Idee entstanden, bestimmte Themen aufzugreifen, die uns und andere beschäftigen», erzählt Schwarz. Mit dem kurdisch-türkischen Duduk-Spieler Canberk Ulaș etwa fanden die beiden im Thema des Außenseitertums eine Basis. Gemeinsame Aufnahmen erfolgten bereits mit einer rumänischen, einer iranischen und einer brasilianischen Musikerin, weitere Kooperationen mit Musiker_innen aus Spanien, Indien und Südafrika sollen folgen. Eines kann Judith Schwarz jetzt schon sagen: «Die Kooperationspartner bleiben uns wirklich. Das ist so, als ob man eine gemeinsame Band hätte. Man lernt sich einfach ganz anders kennen: Wer ist pünktlich, wer nicht? All diese alltäglichen Aspekte, die es aber auch ausmachen.»
Präsentiert werden die Aufnahmen, die zum Abschluss auf einer CD versammelt werden sollen, auch einzeln in einem ungewöhnlichen Format, das sozusagen die vierte Dimension des gemeinsamen Schöpfungsprozesses darstellt. Der Videokünstler Johannes Kerschbaummayer und der Sounddesigner Arthur Fussy gestalten auf Basis der Stücke Videos, die sowohl das Spielerische als auch die Präzision des musikalischen Kosmos von Hofmaninger/Schwarz und ihren musikalischen Partner_innen aufnehmen und widerspiegeln. Im Fall des Stücks Outsider etwa, der Kooperation mit Canberk Ulaș, entfaltet sich eine wüstenartige Landschaft aus Metallspänen, durch die mittels einer Animation ständig eine Art von Grenze gezogen wird. Es gibt ein Drinnen und ein Draußen, eine ständige latente Konfrontation und ein Ringen um territoriale Abgrenzung, die das Thema auf eigenartige Weise einfangen.
Arger Kosmos.
An welchem Punkt dieses komplexe Projekt landen wird, bleibt offen. Sounddesigner Arthur Fussy sprach den beiden Musiker_innen gegenüber wertschätzend von einem «oagen Kosmos», der da allmählich entstehen würde. Weiterreisen werden Hofmaninger/Schwarz als Duo auf jeden Fall. Dafür ist noch viel zu viel ungestillte Neugier, Spiellust und Forscherdrang übrig.