Weil ma si olle söwa gspianArtistin

Musikarbeiter unterwegs … Mostviertel, Stadt, Land, Weg

Sigrid Horn, Wahlwienerin aus Niederösterreich, macht großartige ­Dialekt-Lieder. Vierzehn davon bilden ihr Debütalbum sog i bin weg. Von Rainer Krispel (Text) und Mario Lang (Foto).

«Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust.» Sie erkennen Goethes Faust, wenn sie ihn zitiert sehen. Ich lese ihn wieder, mit oft vor Lachen brüllendem Genuss, und tränenden Augen, Jahrzehnte, nachdem ein engagierter Klassenvorstand mir die Liebe zu dieser und anderer Literatur (mit) eingepflanzt hat. Auf die Musik bezogen markieren diese Worte, dass ich gerade einerseits das US-Hardcore-Berserkertum der Circle Jerks aus den 1980ern mit Inbrunst mitvokalisiere (Wönderful als Statement zur Regierungs- und Oppositionspolitik) oder mir von den kanadischen Nils mit dem 87er-Debüt das Herz zerfetzen lasse, nicht zuletzt von der Frage, warum deren Sänger/Songwriter Alex Soria sein Leben im Wortsinn vor den Zug geschmissen hat. Andererseits zieht es mich sehnsuchtsvoll zu Musik von gewisser Ernsthaftigkeit, ja, erwachsener «Ruhe», wie die der zuletzt hier beschriebenen Max Holz. Oder eben zu Sigrid Horn und den vierzehn Liedern ihres Debüts sog i bin weg. Von woiza bis föhla ein Album, das einen als Hörer_in fordert, «nackt» produziert (von Horn selbst mit Ernst Molden) nicht gefällig um einen buhlt, sondern ganz unverstellt und selbstbewusst daherkommt, ganz klar sagt, singt und spielt, was es sagen, singen und spielen will. Während mich das vergleichbar textheftige Debüt des jungen Felix Kramer seltsam kalt lässt, fast verärgert in seiner, sorry, Geschwätzigkeit, macht mich diese Musik schutzlos und damit glücklich.

Woiza.

«deck mi zua/i leg mi in dreg/waun ana frogd wo i bin/sog i bin weg» sind die ersten Worte von Sigrid Horn auf dem Album. Schon dämmert programmatisch, dass dies keine Musik für ausgelassene Raves hedonistischer End-Teenager ist, die sich bis zum Sonnenaufgang polytoxisch krass steilschicken, dann tapfer und voll drauf bis zum nächsten Sonnenaufgang weitermachen. Wobei anderseits zombies, dieses wunderschöne Lied – «wir hom di trogn/und i hob mi ned gschbiad/wir hom die trogn/und i hob mi ned griad/wir hom di trogn/und zombies fressn mei hirn» – nicht weit weg von der Beschreibung eines solchen Lebensgefühls des bedingungslosen Zulassens und Unbedingt-alles-Spürenwollens ist. Die gesungenen und geschriebenen Worte sind die eine Stärke und Qualität dieser Lieder, die unnütze Frage transzendierend, was denn für ein Dialekt dies nun genau sei, wie auch die Frage nach deren Ort, ob aus Stadt oder Land singend. Die Musik, am ehesten noch als niederschwellig zugängliches, unmittelbar ergreifendes Kunstlied zu umschreiben, verfugt sich damit zum großen Zauber dieser Platte. Diese als solche ist unterteilt in die düstere erste Seite, mit Liedern wie ­familiensochn, kassandra, maria («i was, de maria hod a puffn») oder huankind mit einem Text von Anna Schrems, und die zweite Seite, die Sigrid Horn selbst so beschreibt: «Der versöhnlichere Teil, Liebe, Freundschaft, die Gesellschaftskritik und das Selbstermächtigende.» Sie singt mit ihrem ausgebildeten Mezzosopran, spielt Klavier und Ukulele, Sarah Metzler spielt Hakenharfe und singt, Bernhard Scheiblbauer spielt ebenfalls Ukulele und Klavier, dazu noch Concertina und Stimme. Im Studio von Walther Soyka wurden möglichst viele first takes gemeinsam gespielt und stehen gelassen.

Ka Föhla.

Beim konzentrierten Aufnehmen wurde Sigrid Horn, die über sich sagt, schon immer Musik gemacht zu haben, bewusst, was alles in ihrer Musik steckt. Schubertlieder und Lieder aus der Romantik, der über die Eltern mitbekommene Austropop, «die dunkleren Sachen wie Ludwig Hirsch», und die vom Vater mitbekommene chilenische Musik, wo Lieder wie selbstverständlich Poesie und Politik kombinieren. Dazu die Erfahrungen mit der ersten Band Wosisig, deren Auflösung 2014 sich neue Türen auftaten: das Eintauchen in die Poetry-Slam-Szene unterstützt von Mieze Medusa – der wir am Yppenplatz begegnen – und Yasmo, die sie bei der Protestsongcontestteilnahme ihrer Band kennengelernt hat. Arbeiten mit geschriebenen Texten, Experimentieren mit Hip-Hop … Die Texte, im Artwork von Veronika Molden gut nachzulesen, spiegeln geballt wider, was da vieles drinnen ist, wie vieles erlebt und gespürt wurde und wird, wobei wir uns aber gleichzeitig bei aller nicht nur gelegentlicher Düsternis keine Sorgen um die Frau nicht hinter, sondern in diesen Liedern machen müssen, Sigrid Horn. Da ist zwar immer ein Teil von ihr in allen Liedern, wie sie sagt, aber eben immer nur ein Teil. Und so kann sie Liebeslieder schreiben, wie wir sie alle schon viel zu lange nicht mehr gehört haben. «(…) und du wasd der ane föhla/woa is beste und is schenste und er sui ned wega gehen/woa is beste und is schenste und er sui ned wega gehen.»

 

Sigrid Horn:

sog i bin weg BaderMoldenRecordings

Album-Präsentation:

2. Oktober

TAG – Theater an der Gumpendorfer Straße