Chilip in Druk Yul (9)
Weiße Streifen und rote Flecken, diskrete Konstante im Stadtbild. Die Streifen meist auf Hüfthöhe, mit einer achtlosen Bewegung des Zeigefingers dahingestreift. Nur manchmal eine Stelle mit musterhafter Anordnung.
Foto: © Namgay Tshering
Mehr System bei den roten Flecken: gezielt in Regenrinnen und Spalten im Asphalt; feinsäuberlich zentriert auf kleinen sechseckigen Pflastersteinen; ungeduldig geschleudert am Rande der Autospur vor Zebrastreifen und Kreuzungen; entlang der Trennstreifen am Taxi-Parkplatz, auf Höhe der Fahrertür; am vorderen Ende der Busstation.
Das selbe Rot auch in aller Munde. Der Ursprung: Doma (Betelnuss). Päckchen mit 5 Portionen sind an jeder Straßenecke für Nu. 20 (rd. 30 Cent) zu haben, und so gibt sich die Stadt dem Dauer-Kauen hin – in Büro, Straße oder Kloster. Ein bisschen wie Kath (Miraa) in Ostafrika, wenn der Vergleich gefällt. Doma wird nicht nur für sich selbst gekaut, sondern liegt auch stets griffbereit in Hand- und Bauchtaschen des Ghos, um es dem Gegenüber anzubieten. Das Kauen ist zutiefst demokratisch, kennt keinen Unterschied von Gehaltsklassen, Geschlecht oder Position – Beamt_innen, Arbeiter_innen, Unternehmer_innen, Arbeitslose, Student_innen, Mönche und Nonnen; nur die Jugend scheint dem Kauen etwas weniger verfallen zu sein.
Die Betelnuss, die den Speichelfluss anregt und rot färbt, wird in weiten Teilen Asiens alltäglich genossen. In Indien als Pan mit vielen unterschiedlichen Geschmäckern vermischt, wird Doma hier in ihr Blatt gewickelt und lediglich mit gelöschtem Kalk versetzt, dessen Überschuss Zaunpfeiler und Pfosten markiert. Doma hält wach und wärmt, erklärt man mir. Ein bisschen wie Kaffee. Nur wirklich gewöhnen will ich mich an den mir unangenehm strengen Geschmack nicht. Trotzdem: Mein Durchhaltevermögen als Erstkauerin kostete einem Freund 100 Ngultrum – lediglich 30 Sekunden hatte er mir zugetraut. Dass ich Zentrum einer Wette war, verstand ich erst, nachdem ich das zu Brei zerkaute, rotgefärbte Gemisch leicht angewidert ausspuckte – in eine Regenrinne, versteht sich. Wenn es kalt wird, vielleicht wieder.
Marisa Kröpfl schreibt aus Druk Yul (Königreich Bhutan) von ihren Eindrücken als Chilip, wie Ausländer_innen im Land des Donnerdrachen genannt werden.