Der Augustin wird den Fußball, der Fußball wird die Welt nicht ändern. Oder doch?
Der Augustin lädt zum Fußball-Cup. Zehn Hobby-Teams, soziologisch das Spektrum zwischen Dichtern und Obdachlosen ausfüllend (also eigentlich ein enges Spektrum), wetteifern um den Augustin-Pokal. In der internen Debatte über den Charakter des Fußballfestes feierte das abgehakt geglaubte Zerwürfnis zwischen Realos und Fundis fröhliche Urständ.Michael Ballack, deutscher Fußballgott (derzeit aber ohne Kapitänschleife) sagte kürzlich in einem Interview: «Ich spiele einfach gerne Fußball. Ich gehe nach wie vor jeden Tag mit Freude und Spaß zur Arbeit. Das merke ich, wenn ich Urlaub habe. Irgendwann fängt es wieder an zu kribbeln.» Wer nicht zwischen den Zeilen lesen kann, dem entgeht eine Bedeutung dieses Statements. Die Betonung, dass er immer noch Spaß am Fußball habe, könnte sich unser Star ja ersparen, wenn es eine Selbstverständlichkeit wäre, dass Fußballspielen in der Welt der Ballacks Spaß macht. Mit der Kommerzialisierung ist die reine Freude am Spiel aus dem Fußballsport verschwunden, weswegen die dezidiert antikommerzielle Ausrichtung der subkulturellen bzw. außerinstitutionellen Fußballszene, der sich Projekte wie der Augustin-Cup oder auch die Mannschaft des Augustin selbst zugehörig fühlen, den Spaß zurückbringen sollte auf das Feld. Die Freud am «jogo bonito», wie die BrasilianerInnen sagen, und ansonsten nada.
Allein, die reine Lust aufs Spiel stellt sich nicht ein, selbst bei Turnieren, die von Leuten organisiert werden, die dem kommerzialisierten Fußballbetrieb ein solidarisches Ballestern von unten entgegensetzen wollen. Naturgemäß gedeiht der Schmäh in Wien überall, wo gekickt wird, wie das sprichwörtliche Unkraut im Garten, aber dieser Schmäh kann nicht die Wunden heilen, die dem Fußball durch die Übernahme der Normen der Leistungsgesellschaft entstehen. Die Wunden sind jedem geläufig, der eine der letzten Fair-Play-Turniere, der Wettbewerbe der Obdachlosenteams oder den Augustin-Cup des Vorjahres aufmerksam beobachtete.
Es sind erstens die tatsächlichen Wunden: physische Verletzungen von letztlich unzureichend trainierten Körpern, weil vor allem bei den Finalspielen der angeblich olympische Gedanke, dass nur das Dabeisein wichtig sei, Sieg oder Niederlage dagegen völlig irrelevant, sich verflüchtigt.
Zweitens die Aufwertung des Ehrgeizes, über dessen Rolle freilich Uneinigkeit herrscht. Ehrgeiz ist etwas Seltsames, las ich kürzlich in einem psychologischen Text. In jeder Kultur, jedem Unternehmen äußere er sich anders. Einigen Menschen ist er zuwider, für andere wiederum ist er der mit Abstand wichtigste Faktor für die berufliche Laufbahn. Mir ist er eindeutig zuwider; ich wüsste nicht, wie Ehrgeizige ein Spiel ertrügen, in dem der reine Spaß an diesem wichtiger ist als Erfolg.
Drittens sehe ich, dass den Fußballturnieren (auch der alternativen Sorte) eine Tendenz der Spaltung innewohnt: Es bilden sich, unter Fans und SpielerInnen, Parallelgesellschaften. Die Vergemeinschaftungsprozesse kulminieren in den säuberlich geteilten Cliquen beim abendlichen Fest der Pokalüberreichung (vulgo «Siegesfeier»): Jeder Tisch feiert nicht etwa den Erfolg des Turniers als soziokulturelles Gesamtkunstwerk, sondern der jeweils «eigenen» Mannschaft, sodass die schöne Idee, ein Fußballfest sei ein Generator von Integration, sich zur Utopie vergeistigt.
Die vierte Wunde ist vielleicht die problematischste. Der Magnetismus des Siegerpokals, die Furcht vor der Schmach der letzten Reihe, kollidiert sowohl mit dem egalitären Anspruch der Sozialarbeit nach Augustin-Konzept als auch mit dessen Philosophie der Parteilichkeit für die Schwächsten. Konkret äußert sich die Sieges-Orientierung in der Verbannung von «Nichtleistungsträgern» innerhalb der Mannschaft auf das Reservebankerl durch die Coaches, die damit aber den Bedürfnissen des Gesamtteams durchaus nicht zuwider handeln. Denn welcher Kicker will nicht den Sieg «seines» Vereins?
(Zwiti) Der Vorsprung des Hanappi-Stadions vor dem Burgtheater
In einer Debatte über solche Paradoxa sagte Uwe Mauch, Coach der Augustin-Kicker: Eigentlich müsste man die Kultur des Trainings zum Modell des Matches machen. Beim entspannten Training geht es nicht um Sieg oder Niederlage; hier wird schlicht und ergreifend der Lust am Ballestern gehuldigt.
Die Wunden, von denen hier die Rede ist, vermeidet man nicht bloß durch den Widerstand gegen Kommerzialisierung des Mannschaftssports. Es müssten vielmehr die Strukturen, Regeln, Traditionen und Rituale des Sports in Frage gestellt werden, statt dass sie im Kleinen und auch im vermeintlich Alternativen kopiert werden. Dass es nicht leicht sein wird, d e n leistungsprinzipfeindlichen Fußball zu entwickeln, erwies sich bei den Debatten um die Zukunft des Augustin-Cups.
Mein Vorschlag war, sich an die Erfahrungen des spontanen, anarchistischen, selbstorganisierten Strand-Kicks an den Badeküsten der brasilianischen Städte anzulehnen. Der brasilianische Literaturwissenschaftler José Miguel Wisnik hat diese präkommerzialisierte und präinstitutionalisierte Form des Kickens in «Lettre International» beschrieben: «Mit zwei Torkästen von etwa einem Meter Höhe zog sich das Spiel in endlose Längen, wobei kaum noch jemand an den Spielstand dachte, der weniger wichtig war als die Ballführung und der Kampf um den Ball ein tolles Festival von Dribblings und dem Aufspüren außerordentlicher Pässe. Die Organisationsform dieser Art von Spielkultur war simpel: Wer zum Strand kam und sich einer der Gruppen näherte, die gerade dabei waren, zwei Mannschaften zu bilden, wurde dem Spiel durch ein Auswahlverfahren von Gerade und Ungerade zugeordnet. Wer zu einem Spiel kam, das schon im Gange war, am besten zu zweit, wurde nach dem Grundsatz Einer auf jede Seite im Allgemeinen zugelassen, bis zu einer Grenze, die zahlenmäßig eben noch akzeptabel schien. Dieses Verfahren spontaner Aufnahme schien mir gerade so natürlich wie die Natur, das Meer und die Berge.»
Auch die brasilianischen Stars hätten mit dieser Kultur des Strandkicks angefangen. J. M. Wisnik betrachtet diese Kultur des Spieles als Gegenmodell zum institutionalisierten Fußball: «Ich denke nicht, dass ich übertreibe: Die Wahl eines Fußballvereins bedeutet, sich durch eigenes Zutun erstmalig einem Namen zu unterwerfen, sich einer sprachlichen Ordnung anzuschließen und sich unbewusst mit einem Liebesobjekt zu identifizieren.»
Die Ersetzung des konkurrenzorientierten Cups durch das Fußballfest des «permanent game», inspiriert durch die Form der tropischen Strandpartien, weiterentwickelt unter den in Wien vorherrschenden Rahmenbedingungen, ist leicht gesagt, aber schwer umsetzbar. Wo ich doch selber nicht immer den Reizen des bestehenden Fußballbetriebs widerstehen kann. Auch Wendelin Schmidt-Dengler konnte es nicht. Sonst hätte er nie diese Hommage an den Fußball, wie er ist, formulieren können: «Schande, Rache, Verzweiflung, Schicksal, Zufall, List, Tücke, Großmut, Tugend, Gemeinheit, Gewalt aus diesem Stoff sind die Fußballspiele u n d die großen Tragödien der Weltliteratur. Aber es gibt auch Witz und Komik, gleichgültig, ob freiwillig oder unfreiwillig, Pfiffigkeit und Verschlagenheit, kurzum das Spielfeld ist auch Schauplatz für echte Lustspiele, nur: Wie Shakespeares Hamlet oder Lessings Minna von Barnhelm ausgehen, weiß ich, aber wie das nächste Derby zwischen Rapid und Austria ausgeht, weiß ich nicht. Der ästhetische wie dramaturgische Vorsprung des Hanappi-Stadions vor dem Burgtheater ist kategorial.»
Welche Kultur des Fußballs entspricht den Ansprüchen des Augustin? Wer immer dazu Ideen hat, sollte sich nicht scheuen, uns aus dem Dilemma zu helfen