Weltgelassene MusikArtistin

Musikarbeiter unterwegs … die Dietrich und Mississipi John Hurt

Ein lebenspralles, souverän fließendes Meisterwerk: Das ist Polychrome, veröffentlicht von Gottfried Gfrerer neun Jahre nach seinem letzten Album. Von Rainer Krispel (Text) und Mario Lang (Foto)

«It´s all water under the bridge now», weiß der Refrain des Openers von Polychrome. Ein Song, dessen erste Strophe mit «got it all, made it all, weighed it all and shaped it all» anfängt und mit «it´s never to easy to know ahead of time» endet. Eine Zeile, vom 1962 in Kärnten geborenen Musiker/Songwriter Gfrerer aufgeschnappt und notiert bei einem Film-Interview von Marlene Dietrich, Antifaschistin «aus Anstand» (deren Mutter sich, lese ich im Internet, geschworen hatte, Hitler zu überleben, was ihr gelang). Gesagt von der Schauspielerin, die elf Jahre ihr Bett kaum verließ, ihren Alkoholismus und zurückgezogenen, selbstgewählt isolierten Lebensstil in Paris trocken reflektierend. Kann mensch ja nie wissen, wie es kommt. Nach zehn weiteren Songs endet das Album mit der gesungenen und gespielten Lebenshilfe (!) «Don´t You Die Until You´re Dead». Dieses Lied wiederum wurde angestoßen von einem Ausspruch der veritablen Blueslegende Mississipi John Hurt, 1892 geboren, dem die «amtliche» Version des Genres, Zeit und Länder transzendierenden, wirkungsmächtigen Blues-Standards von «Stagger Lee» zugeschrieben wird. Schon paraphrasiert der Sänger in mir «Stagger Lee met Billy, and they got down to gambling» frei nach The Clash. Stagger ­throwed eine 7, Billy eine 8, was Billy dann dazu veranlasst, Stagger wissen zu lassen: «I´m gonna have to leave my knife in your back.» Der arme Stagger. But I digress. Stirb nicht, bis du tot bist, das könnten wir uns doch zu Herzen nehmen?!

Made by hand.

Gottfried David ­Gfrerer hat seit seinem 2009er-Album Scoop & Run natürlich nicht nichts getan. Er hat gespielt, meistens als Sideman, aber auch Solo-Gigs. Er hat Resonator-Gitarren restauriert, die er natürlich auch auf Polychrome spielt, jedem Song seine Gitarre. Dem Album, das sie versammelt, einen Titel verliehen, der sich auf eine spezielle Art der Lackierung bezieht, der diesen Gitarren in den 1920/30er Jahren eine Buntheit erlaubte, over the top, kitschig vielleicht, wunderschön all the same. Eine solche Beauty – die gelebt hat, weiterlebt, gespielt wurde und wird – ziert das Artwork eines Albums, das Lebens- und Zeitläufe berührt und thematisiert. Das zum ewigen Monster Krieg etwas zu sagen hat (#741, Abbeville) wie zur ewigen Liebe (The Willow), uns von Ancient Kings erzählt oder von Sweet Emma, The Bell Gall, der Pianistin und Sängerin Emma Barrett aus New Orleans, die in Cincinatti Kid mit Steve McQueen und ihren Glöckchen kurz im Bild ist, «make them sweet balls jingle».

Play on, trade on and raid on.

Gottfried hat sich Zeit gelassen, genau das Album gemacht, dass er machen wollte. Hat sich die Zeit genommen, «die Sehnsucht nach dem Eigenen» wachsen zu lassen, das Songwriting mit der Gitarre «und einem Satz, der hängen bleibt», betrieben. Es sind Songs, deren Geschichten oft nicht fertig erzählt scheinen, die keine Happy Ends oder Pointe haben, einen dennoch reinziehen und einem etwas mitgeben. Gottfried Gfrerer erzählt von Dingen und Menschen – «so ist es, ich werte nicht.» So erzählt er die Geschichte seines Großvaters in Made By Hand, «ein Holzknecht, das war kein lustiges Leben». Es ist eine Folkmusik, eine empathische, menschliche Musik von und über Menschen und (fast) alles, was sie erfahren. Die stilistisch als aus dem Blues und verwandten Quellen schöpfenden Americana zu charakterisieren wäre, aber mit ihrem durch Gfrerers meisterliches Spiel gewobenen Charakter, ihrem Tempo und ihrer Dichte in Form und Inhalt solche Begrifflichkeiten beim Hören obsolet macht. Zeiten und Orte, Schwere und Leichtigkeit sind im Moment, wo sie klingt, so fiktiv und wirklich zugleich, wir hören, spüren sie in einem zeitlosen Heute voller Geschichte. Dazu hat auf dem Weg zu Polychrome «der Gitarrist dem Sänger mehr Raum gegeben», was es sein vollständigstes Album macht, auf dem die zwei wohlgesetzten Instrumentalstücke umso heller scheinen. Gottfried Gfrerer weiß eine Menge über den Blues, über (Resonator-)Gitarren, über hawaiianische Musik – und über vieles andere. So sagte er mir, als wir von Friedl Preisl 2015 zusammengespannt wurden, um Johnny Cash zu covern, jener sei ja auch ein «Schlager-Fuzzi» gewesen. Was zu keiner Schlägerei führte, sondern mir, weil wahr, einen weiteren Zugang aufmachte. Ähnlich wie mir als limitiertem Sänger Gottfried bei unseren gelegentlichen Duo-Auftritten als der komplette Musiker, der er ist, so viel Raum bietet, um das zu tun, was ich kann – Geschichten erzählen, Emotionen kommunizieren oder ausloten. Es ist immer wie ein Geschenk, das mit ihm an der Gitarre tun zu können. Polychrom macht mir als Hörer ein vergleichbar intensives, unmittelbares Geschenk – und nicht nur mir.

 

Gottfried Gfrerer:

Polychrome (Lili Records)

Live: 7. 4., Chelsea,

Gfrerer Krispel (mit Ian Fisher)

gottfriedgfrerer.at