Sachbuch
Sie kennen diese unsäglichen Plakate: «Holen wir unser Wien zurück». Woher denn, fragt Erwin Riess’ Dozent auf Seite 33 in diesem AUGUSTIN, es ist doch gar nicht ausgebüxt?! Wenn es Wien (oder Berlin oder Bukarest oder Abu Dhabi) von jemandem zurückzuholen gilt, dann vom Immobilienkapital. Nicht unbedingt, wie ein anderes Plakat der gleichen Serie suggeriert, von «ausländischen Kriminellen», sondern durchaus von ureinwohnenden Betonvergolder_innen. Ob man die als kriminell empfindet, ist ökonomietheoretische Ansichtssache. Fakt ist: Dass sie so viel besitzen, macht andere Menschen (wohn)arm. Der Schweizer Architekt und Stadtplaner, ehemaliger Professor für Städtebau in Graz, Ernst Hubeli, hat der guten alten Wohnungsfrage ein Büchlein gewidmet: Die neue Krise der Städte passt in jede Hosentasche und füllt den Kopf mit Denkmaterial, das eine_n locker durch die Quarantäne bringt. Zehn Thesen zum Wohnen und dem Zusammenhang, in dem es mit Besitz, Bodenpolitik, Lohnfragen und Familienvorstellungen steht, folgen die zwei Abschnitte «Enteignung» und «Aneignung». Hilfreich für die wiederkehrende Debatte über das Pfui-Wort Enteignung ist da zum Beispiel das Kapitelchen Wer enteignet eigentlich wen?. Zwar geht beim Wohnparadies Wien auch mit dem abgeklärten Stadtprofi Hubeli die romantische Verklärung durch, trotzdem ist dieses wohnphilosophische und stadtpolitische Bändchen ein profundes Manifest für den Kampf um die Grundlagen.
Ernst Hubeli: Die neue Krise der Städte. Zur Wohnungsfrage im 21. Jahrhundert
Rotpunktverlag 2020
190 Seiten, 15,50 Euro