«Wem dient das?»vorstadt

Lokalmatador Nr. 359:

Alexander Maly berät und hilft Menschen, die alleine nicht aus der Schuldenfalle rausfinden. Von Uwe Mauch (Text) und Mario Lang (Foto).

Dubioses. Steht auf dem Rücken des Ordners. Der Leiter der Schuldnerberatung zieht den Ordner aus dem Regal – und eröffnet in der Tat Dubioses: Am 1. April 1996 gewährt eine Wiener Großbank einen Kredit über umgerechnet 10.000 Euro. Obwohl damals schon absehbar war, dass der junge Mann ohne Aussicht auf eigenes Einkommen diese Schuld nie und nimmer zurückzahlen kann.

Zwanzig Jahre später, aus dem jungen Mann ist inzwischen ein älterer Mann geworden, weiterhin ohne Aussicht auf eigenes Einkommen, tippt ein Wiener Anwalt im Auftrag der Bank allen Ernstes das aktuelle Klagssaldo in seinen Computer. Dann liest er den Brief noch einmal in Ruhe durch, alles hat für ihn seine Ordnung, das Schreiben wird in ein Kuvert gesteckt und eingeschrieben abgeschickt. Die Klagssumme beträgt nun: 628.574,23 Euro.

Alexander Maly weiß, wie man Schulden macht. Der diplomierte Sozialarbeiter hat die Schuldnerberatung in Wien aufgebaut (heute ist sie eine Geschäftsgruppe im Fonds Soziales Wien). In bald dreißig Jahren hat er hunderte Menschen vor einem größeren privaten Unglück bewahrt, er hat auch das lesenswerte Buch «Tatort Banken» über die unredlichen Geschäfte der hiesigen Kreditinstitute geschrieben. Er ist Kummer gewohnt, doch beim Anblick des Anwaltschreibens schüttelt er den Kopf.

«Wem dient das?» Fragt Maly ernst. Dem Schuldner sicher nicht. Wenn er nach all den eingeschriebenen Forderungen, die er nur zum Teil gelesen und verstanden hat, etwas empfindet, kann es eigentlich nur mehr Beklemmung sein. Er könnte diese 628.574,23 nicht einmal zurückzahlen, wären sie ein Centbetrag. Den Steuerzahler_innen dient das auch nicht. Vor allem dann nicht, wenn die Bank nicht die realen 10.000, sondern die irrealen 628.574,23 Euro als Miese abschreibt.

Es klopft wieder an seine Tür. Es sind Menschen, nicht nackte Zahlen, mit denen der Berater zu tun hat. Sie treten traurig, angespannt, geduckt in sein Büro. Viele suchen Trost für ihre missliche Lage. Doch Schuldnerberatung ist nicht Seelsorge. Was die Verausgabten bekommen, ist aber ebenso hilfreich: klare Anweisungen, wie sie sich aus dem Würgegriff der Inkassobüros befreien können.

Der Weg ihres finanziellen Niedergangs folgt einem amtsbekannten Muster: Sie haben zu lange über ihre Verhältnisse gelebt, ihr Bankkonto bis zum Geht-nicht-mehr überzogen, die Forderungen der Banken und deren Eintreiber_innen nicht richtig gedeutet und schon bald den Point of no Return überschritten. «Und dann wurden sie vom Schneeballeffekt der Schuldenlawine überrollt», weiß der Experte. Als brutale Faustregel gilt: «Werden Schulden nicht bezahlt, verdoppeln sie sich alle fünf Jahre.»

Zu den Zinsen kommen die Kosten für jede Mahnung sowie die Gebühren der Inkassobüros und des Gerichts hinzu. Die Forderungen bringen auch den Arbeitsplatz in Gefahr. Denn nach geltendem Recht muss der_die Arbeitgeber_in nicht nur das Geld eintreiben (in Form von Lohnpfändungen), er muss auch das Inkasso organisieren. Die Freude darüber hält sich in den Personalbüros in Grenzen.

«Oft verzetteln sich die Leute auch», weiß der Schuldenberater. Einmal wird einer forsch formulierten Forderung eines Geldeintreibers hier nachgegeben und einmal dort, ohne dadurch den Schuldenberg nachhaltig zu verkleinern. «Wenn dann das Geld fehlt, um die Miete zu zahlen, ist es bis zur Delogierung nicht mehr weit.»

Alles erlebt. Alexander Maly ist in Wien Schuldnerberater der ersten Stunde. Der Sohn eines Linzer VOeST-Arbeiters, dem der große Sprung vom Techniker hinter der Bühne zum Sänger auf der Bühne der Wiener Staatsoper gelungen war, arbeitete nach der Ausbildung zum Sozialarbeiter zunächst als Streetworker, ebenfalls als einer der ersten in Wien.

Als die Berater_innen der Arbeiterkammer Alarm schlugen, weil immer mehr Menschen in Wien vor dem privaten Bankrott standen, war es an Maly, der damals den Berufsverband der Sozialarbeiter_innen leitete, ein Konzept für eine städtische Beratungsstelle zu erstellen. Diese wurde 1989 eröffnet, an einer Schnittstelle zwischen dem Jugend- und dem Sozialamt.

Verschuldung ist seither immer ein Thema in Wien: Knapp 10.000 Menschen kommen pro Jahr in das schnörkellose Bürogebäude nahe der U-Bahn-Station beim Gasometer. Sie werden von knapp 40 Mitarbeiter_innen betreut. «Die Zahl der Neuverschuldeten ist in den vergangenen zehn Jahren relativ konstant geblieben», erklärt der Leiter der Einrichtung. «Wir registrieren im Schnitt 600 Neuanmeldungen pro Monat.» Die stärksten Monate sind jene von Jänner bis April. «Wenn die Raten für die Weihnachtseinkäufe fällig werden und die Auszahlung des Urlaubsgelds noch in weiter Ferne liegt.»

Die Hälfte der finanziell Verausgabten ist gewillt bzw. fähig, ihre Situation zu verändern. «Von denen können wir achtzig Prozent in die Schuldenfreiheit führen», berichtet Alexander Maly. Ein Fabelwert in der Sozialarbeit (die Erfolgsquote in der Suchthilfe liegt beispielsweise bei fünf Prozent). Womit der Schuldnerberberater am Ende auch die Frage nach den Erfolgsmomenten in seinem Beruf beantwortet hat.

Infos:  www.schuldnerberatung-wien.at.

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