Über die bröckelnde Tradition von Hausbesetzungen in Berlin
Berlin war bekannt für eine florierende Hausbesetzungsbranche, doch was ist davon übriggeblieben? Christian Kaserer (Text und Fotos) besuchte drei Besetzungsprojekte.
«Liebig 34 bleibt!», meldet das Transparent, das von der Fassade des Hauses Liebigstraße 34 im Berliner Stadtteil Friedrichshain hängt. Bei dem bunt besprühten Gebäude handelt es sich um eines von mehreren besetzten Häusern in der Hauptstadt des wiedervereinten Deutschlands. Hausbesetzung – das hört man in Wien selten, doch in Berlin gehörte es in den 1980er-Jahren fast schon zur Tagesordnung, und etliche Häuser haben ihren Ursprung in dieser Zeit (siehe Kasten auf Seite 17). Anfang der 1990er-Jahre wurde das leerstehende Objekt okkupiert und 1999 von den etwa 40 darin lebenden Personen in ein Frauen-, Lesben- und Transprojekt (FLT) verwandelt. Das Kollektiv will damit ein politischer Ort der gemeinschaftlichen Entscheidung ohne den Einfluss dominanter Männer sein. Die Frage, wie sie leben wollen, ist für sie nämlich nicht nur eine abstrakt-politische, sondern eine sich auch klar auf das alltägliche Wohnen beziehende. Überdies versucht man mit Liebig 34 ein aktives Nachbarschaftszentrum für Begegnungen zu sein. So bietet der einquartierte anarchistische Infoladen Daneben ein umfangreiches Angebot an alternativen Medien aus aller Welt an, und in der L 34 Bar lernen sich die Bewohner_innen im Kiez ungezwungen kennen. Auch für Kinoabende öffnet Liebig 34 seine Türen, und nicht selten kommt die ganze Nachbarschaft hier zum Brunch zusammen. Funktioniert habe das Zusammenleben der 34er_innen mit den anderen Menschen im Kiez bisher problemlos und ohne Konflikte, doch bleibt die Zukunft des Projekts offen. «Unser Pachtvertrag läuft Ende 2018 aus, und kaufen lässt man uns das Haus nicht. Gehen werden wir allerdings nicht, sondern wir wollen weiterhin für Liebig 34 kämpfen», so Hausbesetzerin Berfin F., die hofft, dass es in den kalten Wintermonaten nicht zu einer polizeilichen Räumung kommt.
Aufwertung – für wen?
Das größte Problem vieler Häuserprojekte, welche noch nicht die Möglichkeit hatten, ihr Objekt zu kaufen, ist die zunehmende Gentrifizierung der Stadt. Immobilienfirmen erwerben dabei oft ganze Straßenzüge auf und beginnen – unter dem Stichwort «Aufwertung» – mit der Sanierung und Modernisierung der oft alten und verfallenden Häuser. Ziel dabei ist es, den Wert der Immobilien zu steigern und kaufkräftigere, sprich reichere, Mieter_innen anzulocken. Auch die Bewohner_innen der Brunnenstraße 7, die bekannt ist für ihre bunt besprühten Fassaden im Innenhof, kennen dieses Problem nur zu gut. «Mit dem Anfang der 1990er besetzten Brunnen 7 haben wir echt Glück gehabt», freut sich der dort wohnende Alex M. «Inzwischen haben wir alle Mietverträge und wir leben kollektiv in Wohngemeinschaften zusammen. Das Haus verwalten wir selbst und wollen es zum offenen Begegnungsort für Berlin-Mitte machen. Gerade unser Brunnenhoffest zieht immer wieder ganz neue Leute an, die von uns noch nie gehört haben und sich gar nicht vorstellen können, wie so ein gemeinschaftliches und selbstbestimmtes Wohnen überhaupt funktionieren soll. Da ist es immer nett, wenn man die vorherrschende Meinung etwas ändern kann. Das ist uns wichtig, denn gerade jetzt steigen die Mieten in Mitte wirklich rasch an. Exzentrischere Läden und Lokale verschwinden und mit ihnen gehen nicht nur viele Bewohner, sondern langsam aber sicher auch das Leben hier. Sogar Galerien müssen wegziehen, weil sie sich die Fixkosten nicht mehr leisten können», so Alex über die Veränderungen in seinem Stadtteil.
Sicherheit durch Pachtvertrag.
Auch das schon in der DDR besetzte K9 will ein Projekt für die Nachbarschaft sein. Die mit einer Größe von über 600 Quadratmetern weitläufige Anlage mit Hof und Remise bietet fast 40 Menschen einen Platz zum Wohnen, versucht aber viel mehr als Wohnraum zu sein. So bietet K9 einer Bar und einer Siebdruckwerkstatt Platz, vergibt darüber hinaus Ateliers für Künstler_innen und stellt sogar eine ganze Etage als Veranstaltungsraum zur Verfügung. «Wir wollen im K9 gerade politischen Veranstaltungen, die es sonst schwer hätten, einen Raum bieten. Unser Projekt ist eben ein politisches Projekt, das versteht sich ja sozusagen von selbst. Wem sollen die Häuser gehören? Denen, die damit spekulieren, oder denen, die darin wohnen?», so die dort mitorganisierende Anja K. (Name von der Redaktion geändert). «Mit einem Kurzfilmfestival sammeln wir beispielsweise Spenden für ein indigenes Projekt in Kolumbien, und über ein Punkkonzert wollen wir Gelder für SOS Méditerranée zusammenbringen. Aber nicht nur solche und auch feministische, ökologische sowie andere gesellschaftspolitische Themen finden bei uns einen Platz. Dinge, die sich im Kiez abspielen, gehen uns alle genauso an, und so treffen sich viele aus der unmittelbaren Nachbarschaft oft zu Infoveranstaltungen bei uns», erklärt Anja weiter. Das Bestehen der Kinzigstraße 9 und seiner Projekte ist gesichert. Ende der
1990er-Jahre hatten die Menschen hier die Möglichkeit, ihr Haus endlich pachten zu können und sich dadurch nicht mehr darüber sorgen zu müssen, ob sie denn am nächsten Tag durch die Polizei hinausgetragen werden würden. Über vielen anderen Hausprojekten schwebt dieses Damoklesschwert indes noch immer.