Wen versorgt die Vorsorgewohnung?tun & lassen

Vorsorgewohnungen sind die Immobilienspekulation der Mittelschicht. Sie tragen zur Aushöhlung sozialer Grundsicherungen bei und treiben die Mieten in die Höhe. Analyse eines jungen Phänomens.

Text: Christian Bunke
Illustration: Much

S-Real Immobilien ist laut eigener Darstellung der «Immobiliendienstleister von Erste Bank, Sparkassen und der s Bausparkasse» und «der erfolgreichste Immobilienmakler Österreichs». Soziales Gewissen hat man scheinbar auch – auf der Homepage wird die Werbetrommel für die Wohnungsloseneinrichtung neunerhaus gerührt.
Aber das ist eher Nebensache und soll wohl dem Feel-Good-Faktor dienen. Das Hauptgeschäft ist der Immobilienhandel, unter anderem mit sogenannten Vorsorgewohnungen. Zum Beispiel «attraktive Vorsorgewohnungen in Florids­dorf ab 85,6 m2» für 350.800 Euro das Stück. Oder «Eigentums-/Vorsorgewohnungen Nähe Kagraner Platz ab 42,77 m2» für 221.000 Euro pro Wohnung. Auch Wiener Objekte sind im Angebot, für weit über 500.000 Euro.

Rundum sorglos.

Was aber ist eine Vorsorgewohnung? Die Immo-Firma Raab & Raab – Capital Care Company klärt auf: «Eine Vorsorgewohnung bezeichnet eine spezielle Form der Eigentumswohnung, deren Hauptzweck es nicht ist, selbst darin zu wohnen. Der Sinn der Vorsorgewohnung liegt darin, durch Mieteinnahmen und Steigerung des Wohnungswerts das eingesetzte Kapital zu vermehren – vom Geldwert zum Sachwert.» Vorsorgewohnungen dienen der Spekulation mit privat geschaffenem Wohnraum. Das liegt im Trend. Im Jahr 2017 lagen 70 Prozent aller Baubewilligungen im frei finanzierten, also nicht mit öffentlichen Geldern geförderten Sektor. Investor_innen und Banken scheffeln Geld, während Mieten steigen.
Raab & Raab stellt Kund_innen ein Rundum-Sorglos-Paket zusammen. Wer in eine Vorsorgewohnung investiert, soll sich um nichts mehr selber kümmern müssen. Gerade Wien wird dabei als «Top Markt» angepriesen: «Österreichs Hauptstadt Wien ist für Vorsorgewohnungen ideal. Auf dem Wiener Markt fehlen schon heute rund 40.000 Wohnungen. Bis 2050 soll die Einwohnerzahl von 1,8 Millionen auf 2,1 Millionen anwachsen. Ein Rückgang ist nicht in Sicht.» Auch um Steuerfragen muss sich die Kundschaft keine Gedanken machen: «Wir achten darauf, dass unsere Kunden steuerlich gut beraten sind.» In Wien boomt der privat finanzierte Baumarkt, die öffentliche Hand hat sich weitgehend zurückgezogen und der Mangel an Wohnraum, beziehungsweise der Handel mit diesem Mangel durch Neubauten, wird zum lukrativen Geschäft. Vorsorgewohnungen sind darüber hinaus steuerbegünstigt: Kreditzinsen sind absetzbar, die Umsatzsteuer können Eigentümer_innen als Vorsteuer zurückholen. Auch die Banken profitieren. Eigentümer_innen können die Vermietung ihrer Wohnungen zum Abstottern der Kreditraten verwenden.
Eine Kritik der Vorsorgewohnung hat die Assistenzprofessorin an der Fakultät für Architektur und Raumplanung der TU Wien, Anita Aigner, im Jahr 2019 für die Stadtforschungszeitschrift dérive verfasst. Seit der Finanzkrise 2008 sei im Immobilienbereich ein «Trend zum Eigentum» bemerkbar, schreibt Aigner: «Der freifinanzierte Sektor bringt auch immer mehr Wohnungen hervor, die eigens für Investor-
Innen errichtet und speziell für private KleinanlegerInnen als Vorsorgewohnungen beworben werden.» Dieser Trend habe inzwischen Rekorde hervorgebracht: «Für 2018 wurde in Wien mit 446 Neubauprojekten (insgesamt 23.886 Eigentums- und Vorsorgewohnungen) die höchste Bauintensität im freifinanzierten Sektor dokumentiert.»

Leistbares Wohnen.

Vorsorge leisten wir ja eigentlich dadurch, dass wir in die österreichischen Sozialsysteme einzahlen. Damit verbunden ist die bange Hoffnung auf eine Pension, die im Alter das finanzielle Überleben sichert, sowie eine halbwegs funktionierende Gesundheitsversorgung mit Pflegesystem. Vorsorgewohnungen zeigen, wie stark sich der Wind gedreht hat. Wer «vorsorgen» will, braucht längst eigenes Kapital, um sich eine Wohnung kaufen zu können, die dann durch den eingebrachten Mietzins die eigene Pension finanzieren soll. Wann aber werden die Mieter_innen der Vorsorgewohnung genug Kapital haben, um eine Vorsorgewohnung zu kaufen? Vielleicht indem sie sich verschulden? Dann werden wieder andere Mieter_innen zahlen müssen, um die Schulden der frisch gebackenen Eigentümer_innen zu bezahlen. Eine Spirale, aus der nichts Gutes entstehen kann.
Alternativen benennt das im November 2019 von der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnen herausgegebene Papier Wohnen für alle. Darin stehen auf knapp über 90 Taschenbuchseiten lauter schlaue Dinge. Zum Beispiel: «Menschen mit niedrigem Einkommen sind auf ein starkes Mietwohnungssegment angewiesen; unter den derzeitigen finanzpolitischen Rahmenbedingungen stellt die Erwirtschaftung von Eigentum für sie keine realisierbare Möglichkeit dar.» Deshalb müsse das öffentlich finanzierte Mietsegment gestärkt werden. Und dafür wird es eine starke Mieter_innen­­bewegung brauchen. 

Anita Aigner, Wohnraum als Investment – Eine Kritik der
Vorsorgewohnung: derive.at/texte/wohnraum-als-investement