Wenn der Mittelstand einen Wutausbruch hatArtistin

Josef Hader über bürgerliche Arbeitslose und «wilde Mäuse»

Der Mittelschicht fühlen sich alle zugehörig, sagen Umfragen. Was passieren kann, wenn ein klassischer Mittelständler seine Arbeit verliert und mit seiner Wut nicht mehr klarkommt, erzählt Josef Hader in seinem Film «Wilde Maus». Mit Jürgen Plank und Robert Fischer sprach er übers Filmemachen, über Wutbürger_innen und über Solidarität.

Fotos: Carolina Frank

In Ihrem Regiedebüt «Wilde Maus» geht es um einen 50-jährigen Journalisten, der aus Kostengründen eingespart wird. Wie ist der Plot entstanden?

Zuerst war die Idee da, dass jemand arbeitslos wird. Jemand aus einem Milieu, das nicht total proletarisch ist, aber auch nicht Upperclass, sondern eher Mittelstand. Die Figur sollte so eine Wut haben und unfähig sein, die Entlassung zu verarbeiten, dass sie dann Grenzen des Gesetzes überschreitet.

Warum hat Sie diese Story interessiert?

Weil das für viele Menschen immer mehr zum Thema wird und jetzt auch so einen gesettelten Mittelstand erreicht hat. Wobei ich sage, dass dieser Journalist, der arbeitslos wird, im Vergleich zu einem Arbeiter ein kleineres Problem hat. Ein Journalist ist vernetzt, der kann sich irgendwie noch Arbeit suchen, der bekommt auch eine Abfindung. Das ist eine Arbeitslosigkeit, mit der man nicht ins Bodenlose stürzt. Ich wollte mir für meinen ersten Film ein Milieu aussuchen, in dem ich mich auskenne, und deshalb spielt diese Geschichte im Mittelstand.

Die Hauptfigur wird zum Wutbürger?

Dass diese Figur zu einer Art kleiner Wutbürger wird, ist natürlich in der Mittelklasse viel interessanter. Der Mittelstand lebt ja in der Überzeugung: Oben sind die Bösen, das sind die Kapitalisten. Unten sind auch die Bösen, das sind die Spießbürger, Rechtswähler, die Wutbürger. Um Thema für Satire zu sein, war es gut, den Film in diesem grün angehauchten Milieu anzusiedeln und zu schauen: Was passiert, wenn jemand die Grenzen überschreitet und vor lauter Wut über alles hinausgeht, was dieser Mittelstand an Sanktionen vorsieht, wenn man sich für etwas rächen will.

Nichtbürgerliches Bürgertum

Der Mittelstand bröckelt hier immer mehr weg; in vielen Teilen der Welt gibt es, anders als in Europa, gar keinen Mittelstand. Zudem weiß man, dass von der Mitte kaum politische Veränderung ausgehen wird.

Vor allem Letzteres ist für den Film wichtig. Der beschreibt ja eine Art von Bürgertum. Nicht eines von vor zwanzig Jahren, sondern eines, dass davon überzeugt ist, total hip und gar nicht bürgerlich zu sein. Sie lesen Falter, kaufen den Augustin, hören Radio Orange und fühlen sich nicht als Bürger. Sie sind viel zu aufgeschlossen und tolerant. Dies vorzuführen, dass diese Leute – ich auch, ich bin ja Teil dieses Milieus – eine Art Biedermeier leben; weil wir die politische Veränderung dieser Welt zwar mitbekommen, aber vollkommen hilflos sind und sie nicht einschätzen können. Wir machen es letztendlich wie die Figuren im Film und sagen: Ja Wahnsinn, was da alles passiert, und dann trinken wir ein Glaserl Rotwein und gehen schlafen. Oder wir werden aktiv, gehen auf eine Demo oder so. Es gibt aber auch Leute, die wirklich aktiv werden und etwas für Flüchtlinge tun. Die sind, sage ich mal, die Ausnahmen. Die meisten tun eigentlich erstaunlich wenig, ich auch, und reagieren auf das, was gerade in der Welt vorgeht, indifferent und hilflos. Etwa wenn Menschen bei uns anklopfen und sagen: Wir wollen an der mittelständischen Veranstaltung teilnehmen, die hier passiert.

Wie sieht diese hilflose Reaktion aus?

Ja, man sollte ihnen schon helfen, aber zu sehr möchte ich in meiner Blase auch nicht gestört werden – das ist der gesellschaftliche Aspekt, den ich im Film zeigen wollte, das hat sich beim Schreiben so ergeben. Das Gesellschaftliche und Poli­tische steht bei mir nicht am Anfang eines Films oder Kabarettprogramms. Da ist meist zuerst eine inhaltliche Idee da, und das Gesellschaftliche, das Politische erzähle ich über die Zeit, in der die Geschichte angesiedelt ist, einfach mit. Nichts anderes habe ich mit diesem Film gemacht.

Ein Journalist verliert also die Arbeit; der Praterschausteller, gespielt von Georg Friedrich, verliert auch seine Arbeit als Fahrer der Liliputbahn; und seine rumänische Freundin, gespielt von Crina Semciuc, bekommt erst gar keine Arbeit. Der Journalist treibt sich nun tagsüber auf der Straße herum.

Interessant an der Geschichte ist, dass derjenige, der seinen Job im Prater verliert und für den Arbeitslosigkeit wirklich ein soziales Problem ist, relativ schlau reagiert und sagt: Ich find’ mir schon wieder was. Er ist nicht depressiv, er ist unaufgeregt. Der Journalist aber, bei dem Arbeitslosigkeit unter luxuriösen Umständen passiert, reagiert so, als wäre er vollkommen verloren und ohne Rettung. Er geht auf die Straße und ist von einer seltsamen Lähmung befallen, und man könnte sich vorstellen, dass es zu einer Art Obdachlosigkeit führt, wenn er jetzt niemanden kennenlernt. Aber nur, weil er so narzisstisch ist. Weil sein Beruf so verbunden ist mit seinem Selbstwertgefühl, dass er ohne Beruf überhaupt nichts mehr machen kann.

Der Film variiert zwar das Thema Obdachlosigkeit, aber Obdachlosigkeit als ernsthaftes Problem würde wohl eher entstehen, wenn jemand wie der Liliputbahnfahrer mit einem Rachefeldzug ­reagieren würde. Das würde dann wirklich zeigen, unter welchen Bedingungen Menschen obdachlos werden. Wegen Scheidung oder weil ein paar Mieten nicht bezahlt werden, landet man auf der Straße. Das wäre aber ein anderes Thema, und das kann dieser Film nicht leisten.

Eine schöne Gegenbewegung

Solidarität ist auch ein Thema im Film: Der Journalist bekommt Hilfe vom Praterschausteller und umgekehrt, und beide helfen auch der Rumänin.

Das hat sich intuitiv ergeben. Als Drehbuchautor möchtest du Konflikte möglichst stark machen. Und zeigen, dass in der Welt nichts zusammenpasst und dass es immer kracht und furchtbar ist, wenn ein paar Menschen unterschiedliche Dinge zur selben Zeit wollen und andere Interessen haben. Letzten ­Endes haben wir aber doch einen Film gemacht, in dem einander erstaunlich ­viele Menschen ergänzen und helfen können. Ich muss ehrlich sagen: Ich habe das nicht so geplant, aber es ist Gott sei Dank intuitiv passiert. Es ist eine schöne Gegenbewegung zu den Menschen, die sich im Weg stehen und die nicht miteinander können.

Man kann den Film in eine Reihe mit Filmen des britischen Regisseurs Ken Loach stellen, in denen es oft um Menschen geht, die – ähnlich wie der Praterschausteller – im Unterschichtmilieu die Arbeit verlieren. Was sagen Sie zu so einer Verortung?

Das ist ein großes Kompliment. Ich mag die Filme von Loach wahnsinnig gerne, und ich denke mir, der ­Berührungspunkt könnte sein, dass letzten Endes mein Film nicht mit einem ganz kalten Blick auf die Leute hinschaut. Sondern das ist ein Film, der ist manchmal böse ist und sagt, wie hässlich der Mensch sein kann. Aber der Film hat einen warmen Blick auf die Menschen. Das, würde ich sagen, könnte man vergleichen.

Lesen Sie den Augustin?

Ja, ich kaufe ihn nicht nur, sondern lese ihn auch. Meistens kaufe ich ihn, wenn ich in die U-Bahn einsteige, weil ich dann eine bessere Zeitung habe als die Gratisangebote. Ich finde grundsätzlich, dass im Augustin journalistisch super Sachen drinnen sind. Ich habe auch den Vergleich, weil ich oft in anderen Städten unterwegs bin, und ich finde, alle diese Straßenzeitungen sind nicht nur Sozialprojekte, sondern in journalistischer Hinsicht lesenswert.

 

«Wilde Maus»,

ab 17. 2. im Kino

Regie & Buch: Josef ­Ha­­der; mit Josef Hader, Georg Friedrich, Crina Semciuc, Pia Hierzegger, Jörg Hartmann u. v. m.

www.facebook.com/­WildeMaus.derFilm

www.hader.at

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