Wenn der Räumungswagen vor der Tür stehttun & lassen

Unter der Grazer KPÖ-Stadträtin Elke Kahr wurde im Gemeindebau nicht mehr delogiert

Pro Tag finden in Wien sechs Zwangsräumungen statt. Doch während die Zahl der Delogierungen generell rückläufig ist, steigt sie im Gemeindebau von Jahr zu Jahr an. Das müsste nicht so sein, wie das Beispiel Graz gezeigt hat. Von Christof Mackinger.

«Mir ist wichtig, dass man alles dafür tut, um zu verhindern, dass jemand sein Zuhause verliert. Eine Delogierung ist ein ganz tiefer Einschnitt.» Elke Kahr verstummt kurz, das Thema berührt die Grazer Stadträtin im AUGUSTIN-Gespräch sichtlich. «Wenn man das nie gesehen hat, kann man sich nicht vorstellen, wie das ist, wenn in der Früh der Räumungswagen vor der Tür steht und Menschen auf die Straße gesetzt werden.»

Und doch passiert es täglich. Exakt 2049 Haushalte wurden 2017 in der Bundeshauptstadt delogiert. Das sind sechs Zwangsräumungen pro Tag. Immerhin nehmen die Zahlen seit Jahren leicht ab. Nicht jedoch bei den Mieter_innen von Wiener Wohnen: Die Hausverwaltung der Stadt Wien verfügt über etwa 220.000 Gemeindewohnungen, in denen eine geschätzte halbe Million Mieter_innen leben. Jährlich werden hier über 3800 Delogierungsanträge zugestellt, und im vergangenen Jahr wurden genau 786 auch vollzogen; das bedeutet für mehr als tausend Menschen den Rauswurf aus der Wohnung.

Meist trifft es Menschen unter 30 Jahren. Manche von ihnen werden wegen illegaler Untervermietung oder sogenanntem «unleidlichen Verhalten» auf die Straße gesetzt. Aber das sind Einzelfälle, bestätigt Markus Leitgeb, Sprecher von Wiener Wohnen. «Mietzinsrückstand macht den Großteil der Räumungsklagen aus.» Der Volkshilfe zufolge werden 95 % der Delogierungen wegen Geldmangels oder dem schlecht kalkulierten Haushaltsbudget der Mieter_innen durchgeführt – kurz gesagt: wegen akuter Armut.

Grazer Erfolgskonzept.

Genau hier kommt Elke Kahrs Plädoyer zum Tragen. Die KPÖ-Politikerin war von 2003 bis 2017 Wohnungsstadträtin in Graz. Unter ihrer Zuständigkeit ist es gelungen, Zwangsräumungen wegen Mietrückständen in städtischen Wohnungen gänzlich zu eliminieren. In Graz war dies nicht zuletzt auf die Vernetzung in der «Sozialen Wohnplattform» zurückzuführen, erzählt Elke Kahr: «Dort sind regelmäßig Vertreter der Genossenschaften, der Caritas, der Wohnungssicherungsstelle, die Chefin des Sozialamtes und die Hausverwaltung der Stadt Graz zusammen gekommen, um Fälle zu besprechen, die komplizierter waren».

Ein ähnliche Stelle gibt es mittlerweile auch für Wiener Gemeindemieter_innen. Anfang 2017 hat Wiener Wohnen, Europas größte kommunale Hausverwaltung, eine Plattform mit dem Titel Soziale Wohnungssicherung geschaffen. Insgesamt neun Sozialarbeiter_innen kontaktieren Mieter_innen mit Zahlungsverzug und bieten Hilfe an. Manchen sei schon geholfen, wenn man mit ihnen gemeinsam die bevorstehende Ratenzahlung bespricht, erzählt Markus Leitgeb. Und: «Viele Betroffene wissen gar nicht, welche Beihilfen ihnen zustehen.» Leitgeb verweist etwa auf die Wohnbeihilfe der MA 50, die Hilfe in besonderen Lebenslagen der MA 40 und diverse Unterstützungsleistungen des Fonds Soziales Wien. «Das A und O bleibt aber, dass sich die Betroffenen so schnell wie möglich bei uns melden, wenn sie merken, dass es sich mit der Miete für das Monat nicht ausgeht», so Leitgeb.

Fehler im System.

Anfang des Jahres noch gab Wiener Wohnen per Presseaussendung bekannt, dass durch die Unterstützung der Sozialarbeiter_innen von der Sozialen Wohnungssicherung im Jahr 2017 689 Familien vor der Delogierung bewahrt werden konnten. Vergleicht man die Zahlen mit jenen aus dem Jahr 2016 zeigt sich aber, dass die jährlichen Zwangsräumungen im Gemeindebau trotzdem um vier Prozent angestiegen sind.

Für den Zuwachs dürften mehrere Faktoren verantwortlich sein. Zum einen liegt er im Trend steigender Delogierungsanträge. So lag die Zahl der Anträge im Jahr 2017 mit 3812 um satte 18 % über jener aus dem Jahr davor mit 3279. Dass bei Wiener Wohnen aufgrund von Zahlungsrückständen nach wie vor geräumt wird, offenbart aber auch einen Geburtsfehler im System selbst. Die Plattform Soziale Wohnungssicherung richtet sich explizit an Personen, die sich trotz eines bereits festgelegten Räumungstermins nicht aus eigenen Stücken bei Wiener Wohnen melden. Gerade im Falle von Mietrückständen zählt aber schnelles Handeln, wie Elke Kahr anhand des Grazer Beispiels ausführt: «Schon bei zwei versäumten Mietzahlungen haben wir den Leuten einen Brief zukommen lassen und sie aufgefordert, zu uns ins Büro zu kommen.» Noch waren keine hohen Mietschulden entstanden und keine externen Rechtsanwaltskanzleien involviert, die meist zusätzliche Kosten verursachen. «So konnte der Rückstand meistens durch die Unterstützung der Caritas, des Sozialamtes oder durch eine Zuzahlung von mir selbst beglichen werden», sagt Kahr, und verweist damit auf ein weiteres Manko: Ein Stadtregierungsmitglied, das sein Gehalt auf die Höhe von rund 2000 Euro beschränkt, um mit dem Rest Menschen in Notlagen unter die Arme zu greifen, gibt es in Wien nicht.

Unter Blau wird wieder delogiert.

Seit Anfang 2017 wird übrigens auch Graz von einer schwarz-blauen Koalition regiert. Das Wohnungsressort verantwortet seither Mario Eustacchio. Das Amt des Vizebürgermeisters hat der FPÖ-Mann gleich mitübernommen – obwohl die KPÖ aus den letzten Wahlen abermals als zweitstärkste Partei hervorgegangen ist. Billig gibt es Eustacchio seither nicht. Im Gegensatz zu seiner Vorgängerin kassiert er das volle Gehalt für beide Ämter und auch der Dienstwagen, auf den Kahr noch verzichtet hatte, ist mittlerweile wieder in Betrieb. Dafür hat Eustacchio die «Soziale Wohnplattform» abgeschafft. Unter dem freiheitlichen Stadtrat werden seither auch in Graz wieder Menschen aufgrund von Armut aus ihren Gemeindewohnungen geworfen.

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