Wenn die Leute nicht ins Theater gehen, muss das Theater zu den LeutenArtistin

Bitte liebt Österreich, ein Rückblick

Politik ist Theater, nicht nur da, wo sie sich ganz offensichtlich als Affentheater oder Schmierenkomödie präsentiert. Keine Partei, die nicht RegisseurInnen bezahlen würde, um sich von Ihnen die Dramaturgie ihrer Wahlkämpfe und Kampagnen gestalten zu lassen. Aber wenn Politik sowieso Theater (oder Fernsehshow) ist, wie kann dann Theater noch Eingriff in die Politik sein? Christoph Schlingensief lieferte mit seiner Aktion vor der Wiener Oper eine Antwort.Das gut geschriebenen Stück, das politische Konflikte in schön gedrechselte Worte faßt, die von schön spielenden Personen vorgetragen werden, hofft beim Publikum übers Mitleiden oder übers Nachdenken Effekte zu erzielen. Aber viele der Leute, die man ansprechen möchte, gehen gar nicht ins Theater, das immer noch ein sehr bürgerliches Abendvergnügen ist. Es wäre interessant zu wissen, wie viele derjenigen, die in Haiders Hetze gegen Jelinek, Turrini und Peymann eingestimmt haben, wirklich einmal im Burgtheater waren? Die allerwenigsten Leute setzen freiwillig ihre Urteile und Vorurteile einer Überprüfung, geschweige denn radikaler Kritik aus. Wenn also die Leute nicht ins Theater gehen, muß das Theater zu den Leuten. Seit den sechziger Jahren sind Happenings, Aktions-, Straßen-, unsichtbares Theater, Mittel, mit denen KünstlerInnen sich den öffentlichen Raum als Bühne aneignen und politisch handelnde Menschen, vor allem der linken, außerparlamentarischen Opposition, ihre Anliegen spielerisch zu vermitteln suchen.

In dieser Tradition standen zuletzt viele der Aktivitäten gegen die Schwarz-Blaue Regierung: Hubsi Kramars Auftritt auf dem Opernball als Hitler ebenso wie der Tortenwurf gegen Hilmar Kabas und auch Christoph Schlingensiefs Theaterstück „Bitte liebt Österreich!“.

Eine Woche lang probierte es aus, was passiert, wenn man die RassistInnen beim Wort nimmt, ihre Sprüche im Herzen der Stadt an den von Touristen am meisten besuchten Orten plakatiert und Abschiebungen mitten in der Stadt als Theaterspiel aufführt. Es wurden zwölf Flüchtlinge in einen Container gesperrt, jeden Abend wurde eine/r abgeschoben. Ein grausliches Spektakel, aber lange nicht so grauslich wie die Wirklichkeit. So sind in Deutschland die eigentlich zum Transport von Waren erfundenen Container inzwischen gängige Unterbringungsstätten für Flüchtlinge. Und auch am Flughafen Schwechat stehen solche Container, in denen ankommende Asylsuchende oft wochenlang ausharren müssen, bis entschieden wurde, ob sie einreisen dürfen oder gleich wieder zurückgeschoben werden. Und abgeschoben werden täglich etwa dreißig Menschen, gegen ihren Willen, zwangsweise außerhalb Österreichs verschleppt. Davor werden sie bis zu einem halben Jahr lang in Schubhaft gesperrt. Diesen Skandal, daß man im angeblich so zivilisierten Europa Menschen, auch Minderjährige, die sich ganz und gar nichts zu Schulden haben kommen lassen ein halbes Jahr lang ins Gefängnis sperren kann, nur weil man sie hier nicht will, bildet also den Kern von Schlingensiefs Inszenierung.

Außen dran am Container prangten Plakate mit ausländerfeindlichen und faschistenfreundlichen Zitaten von Jörg Haider, FPÖ-Fähnchen, das Logo der Kronenzeitung und vorne dran ganz groß ein Schild: „Ausländer raus“. Vom „Österreich zuerst!“ Volksbegehren der FPÖ 1993 bis zum den „Stopp der Überfremdung“- Plakaten letztes Jahr ist ja „Ausländer raus!“ die wichtigste politische Botschaft sowohl der FPÖ, als auch der Kronenzeitung, wenn auch nicht ganz so krass ausgesprochen. Man sollte also meinen, daß so ein Schild bei einer Bevölkerung, deren größerer Teil sich selbst als mehr oder weniger rassistisch bezeichnet, kein großes Aufsehen erregen sollte. Im Gegenteil, es wären Reaktionen zu erwarten wie von jener deutschen Reisegruppe, die das Schild für ernst gemeint hält und begeistert begrüßt. Aber nein! Die Leute regen sich auf. An dem ungeheuren Maß, in dem sich insbesondere all die aufregen, die eigentlich noch viel mehr Leute noch viel schneller abschieben wollen, zeigt sich, daß Rassismus und AusländerInnenfeindlichkeit offensichtlich weithin den Status geheimer Laster haben. Man wählt zwar Haider. Aber nur wo niemand zuschaut in der Wahlkabine. Man brüllt „Scheißtschuschen“ und will dabei auf keinen Fall gefilmt werden. Offensichtlich ist vielen RassistInnen und AusländerfeindInnen durchaus bewußt, daß Rassismus eine häßliche, unfeine, verabscheuungswürdige Dummheit ist, für die man sich eigentlich schämen sollte. Rassistisch sind sie trotzdem. Schließlich ist der Haß auf die, denen es noch schlechter geht, das billigste Ventil fürs eigene Lebensunglück. Hier zwei exemplarische Szenen:

Älterer Mann: Der Haider räumt auf mit den Gsindel.

Jüngerer Mann: Aber Haider selbst hat ja gar nichts gegen Ausländer. Er hat sogar selber Sex mit ausländischen Männern. Er mobilisiert nur die niedrigsten Neid- und Haßgefühle in den Menschen, um an die Macht zu kommen. Und Sie fallen darauf herein! Weil Sie zu feig sind, sich mit denen anzulegen, die wirklich von Ihrer Misere profitieren.

Älterer Mann, leicht hysterisch: Und wer ist wirklich schuld? Die Juden! Oder wo glauben Sie, haben die das ganze Geld her?

Jüngerer Mann: Wohnen Sie vielleicht auch in einer 1938 arisierten Wohnung und da haben Sie ein schlechtes Gewissen und hassen deswegen die Juden?

Älterer Mann(geht demonstrativ ausspuckend davon): Juden und Kommunisten und Drecksneger!

Frau: Die Neger, die Drogendealer, die gehören ja weg!

Zweite Frau: Sie glauben auch alles was in der Krone steht!

Erste Frau: Ich fürcht ja um meine Enkelinnen!

Zweite Frau: Wenn nicht die meisten Jobs so uninteressant und unterbezahlt und die meisten Männer so herzlos und grauslich wären, würd doch keine junge Frau das Glück in der Drogen suchen, so schauts aus.

Erste Frau: Für die Drogendealer gehört die Todesstrafe wieder eingeführt!

Mann: Für die Weinbauern und die Tabaktrafikanten und die Schnapsfabrikanten und vor allem für die Manager der Pharmaindustrie? Todesstrafe?

Die erste Frau schlägt einer Frau, die die ganze Szene gefilmt hat, die Kamera aus der Hand.

Erste Frau: Todesstrafe wie in Amerika.

Man kann sich fragen, ob diese Art von Volkstheater einen Sinn hat, ob die Überzeugungsarbeit der wackeren AufklärerInnen nicht vergebliche Liebesmühe ist. Von den ganz fanatischen Haiderfans läßt sich eh niemand bekehren. Aber zum einen entstanden auch andere, klug argumentierte Debatten, zum anderen bot sich da einmal die Möglichkeit, festzustellen, in welch erschreckendem Ausmaß die von der Kronenzeitung geschürten Angst- und Neidgefühle gegenüber Menschen, die rechtlich und allermeist auch materiell viel schlechter gestellt sind als die österreichischen StaatsbürgerInnen, das Denken vieler Menschen bestimmen, wie weitverbreitet der Antisemitismus immer noch ist und wie sehr selbst Leute, die es gut meinen, noch geprägt sind von Weltbildern, in denen Menschen verschiedener Kultur und Herkunft verschieden viel wert sind.

Unzweifelhaft großartig gelungen ist Schlingensief die Rolle, die er FPÖ-Politiker spielen ließ. Da entblöden sich doch einige FPÖ-Mandatare nicht, gegen Schlingensief Anzeige zu erstatten, weil das Schild „Ausländer raus!“ eine Verhetzung der Bevölkerung bedeute. Versuchen sie mit der Anzeige den Spiegel zu zertrümmern, den Schlingensief ihnen vorgehalten hat, weil sie den Anblick des bösartigen Gesichtes ihrer eigenen Politik nicht ertragen? Man kann eigentlich nur hoffen, daß es da zu einem Prozess kommt, in dem dann FPÖler gegen ihre eigene Rhetorik argumentieren werden müssen.

Auch der Regierung bot Schlingensief an, mitzuspielen. Man möge doch VertreterInnen schicken, die mit ihm gemeinsam das skandalöse Schild abnähmen. Doch kein Regierungsvertreter und kein Dramaturg im Event-Management von ÖVP und FPÖ erkannte die einmalige Chance, sich Hand in Hand mit dem wilden Künstler demonstrativ der Weltpresse als Menschenfreunde zu präsentieren. So mußten die Leute von der Donnerstagsdemo den Job der Regierung erledigen und mit der Erstürmung des Containers und der Zerstörung des Schildes dem Theaterstück ein paar Szenen liefern, in denen tatkräftig gegen Rassismus und Schubhaftsystem eingeschritten wird. Zu hoffen, daß die Leute diese Rolle auch in der bitteren Wirklichkeit weiterspielen!

Noch auf einer viel fundamentaleren Ebene thematisierte das Stück „Bitte liebt Österreich!“ Mechanismen, die in rassistischem Verhalten wirksam werden, Mechanismen, mit denen eine Gruppe manche Menschen als unerwünscht, unpassend, anders ausschließt. Zuletzt hat die RTL-Fernsehshow „Big Brother“ auf scheinbar spielerische Weise dem Publikum, das per Telefon Leute aus dem „Big BrotherHaus“ herauswählen konnte, solche Mechanismen antrainiert. Als böse Parodie auf „Big Brother“ stellte Schlingensief die Lebensläufe der Asylsuchenden in seinem Container ins Internet. Man konnte per Telefon täglich darüber abstimmen, wer am Abend abgeschoben werden sollte.

Bedingung für solche Selektionen ist natürlich Information. Weshalb ja auch die Polizeiapparate, die im richtigen Leben diese Selektionen durchführen, ständig auf die Erweiterung ihrer Überwachungs- und Beobachtungsbefugnisse drängen. War der aus George Orwells Roman „1984“ stammende Begriff „Big brother“ früher ein Horrorbegriff mit dem man die lückenlose Überwachung der Menschen durch einen totalitären Staat bezeichnete, machte RTL daraus den Namen für eine lustige Serie. Tag und Nacht von Kameras überwacht zu werden, ist nicht mehr totalitärer Alptraum, sondern fröhliches Fernsehspiel, das eine/n zum Star macht. Dies ist umso bedenklicher, wenn man sich daran erinnert, daß die technischen Möglichkeiten inzwischen viel weiter fortgeschritten sind, als Orwell sich das vorstellen konnte. Inzwischen trägt fast jede/r mit dem Handy einen Apparat mit sich herum, der es möglich macht, den Aufenthaltsort des Handybesitzers genau zu lokalisieren. Auch ist es möglich, die Handys als Miniwanzen zu benützen, über die die Polizei- und Geheimdienstapparate mithören können, was man gerade so redet. Von Satelliten aus ist inzwischen jeder Quadratmeter Erde fotographisch überwachbar. Und ständig erweitern die Polizeibehörden die Kameraüberwachung der öffentlichen Plätze, Straßen und U-Bahnen, so daß man bald Menschen schon lückenlos auf ihren Wegen durch die Städte verfolgen kann.

Schlingensiefs Inszenierung, in der der Container Tag und Nacht per Video überwacht wird (allerdings nur undeutliche Bilder liefert, auf denen die verkleideten Asylsuchenden nicht richtig zu erkennen sind) und die Videobilder ins Internet gestellt werden, als „Material“ für die Selektion, macht die bedrohliche Bedeutung dieser schleichenden „Bigbrotherisierung“ des Alltags bewußt.

Außer für die Abschiebung zu votieren, bot Schlingensief dem Publikum noch die Möglichkeit eine/n Asylsuchende/n durch Heirat zu retten. Was ja die einzige Möglichkeit für eine/n Einzelnen ist, den Staat dazu zu zwingen, einer unerwünschten Person die Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Während täglich tausende AbschiebekanditatInnen auswählten, waren es insgesamt zwölf Leute, die sich für eine Heirat anboten. Trauriges Verhältnis. Noch trauriger allerdings, daß gar niemandem eine Einmischung in Schlingensiefs Mitspieltheater eingefallen ist, die überhaupt die Wahl zwischen „die Flüchtlinge hassen“ und „den Flüchtlingen helfen“ überwunden hätte. Aber daran mangelt es ja auch in der Wirklichkeit am allermeisten.

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