Wenn die Muse sich selbst küsstDichter Innenteil

Über Lina Loos

Zeichnung: Jella Jost

Auch Lina Loos stand ANFÄNGLICH nicht eigenständig als Caroline Obertimpfler, nein nur mit der ehelichen Krücke ihres Mannes. Auch im geschlechtergerechten Formulieren tritt das Phänomen wieder hervor, weil es nie herausgerissen wurde, radikal, Radix, die Wurzel. Nun gut, also das Mit-Denken, das Mit-Sprechen, das Mit-gemeint-Sein «Wozu denn die Endung -in, das führt doch nur zu Verwirrung. Die Frauen sind doch eh immer mitgemeint. Hört man allemal in der Debatte. Was zeigt sich darin an Ignoranz und Unterwerfung. Wir wollen doch alles so schön belassen, wie es einmal war. Das ist einfach und spart Denken. Und man macht einfach weiter, so als wäre eine Frau ein dankbar leckendes Schoßhündchen.

Bürgerliche Ideale und Fin de Siècle

Lisa Fischer, Historikerin, Soziologin, Ausstellungskuratorin, spricht über ihre Biographie über Lina Loos, und an dem Abend der Buchpräsentation mit anschließendem Spielfilm über Lina Loos pilgere ich also in Vorfreude zu «Das Dorf», einem supernetten Veranstaltungslokal im 3. Wiener Bezirk. Viele Details über ihren Arbeitsprozess und über Lina Loos´ Leben in der Zeit des Fin de Siècle im bürgerlichen Wien zwischen Jahrhundertwende und Zweiter Republik, zwischen Peter Altenbergs Kaffeehaus-Zirkel und Egon Friedell, zwischen Rosa Mayreder und Eugenie Schwarzwald, gab Lisa Fischer preis und ich wurde auf das Buch und den anschließenden Film neugierig. Beeindruckt hat mich letztendlich das Spiel von Sarah Born als Lina Loos, ein Glücksgriff, die mit einer deutlich entspannten, lockeren Herangehensweise in alle Szenen überzeugend agiert. Ein gutes Filmgesicht, genug Platz für die Zuseher, um eigenes zu projizieren, kein Zuviel an Gestik, Mimik, das empfand ich für einen Low-Budget-Film eine herausragende Leistung und hoffe ihre Unbeschwertheit und Un-Eitelkeit öfter im Film zu sehen. Im Film Lina geht es um, so lese ich auf der Website, die 19-jährige Schauspielschülerin Carolina Obertimpfler, eine der schönsten Frauen der Stadt und eine jener Zuschreibungen, die ihr unter Loos‘ Bekannten zuteilwird. Lina kann und will diese Behauptungen zunächst nicht einordnen. Im Kreis des Schriftstellers Peter Altenberg begegnet Lina dem bereits bekannten Architekten Adolf Loos. Er stellt ihr spontan einen Antrag und sie nimmt an. Die Ehe entwickelt sich zu einer bedrückenden Erfahrung für Lina. Adolf Loos reist ständig zu Auftraggebern ins Ausland und zeigt wenig Interesse für Linas Ideen und Welt zuhause. Adolf Loos hatte zwar ästhetisch-visionäre Kompetenzen, aber in seiner Beziehung vor allem äußerst strikte Vorstellungen. Lina fühlte sich kontrolliert und öffnet sich selbstermächtigend ihrem Leben. Sie lernt den freiheitsliebenden Maturanten Heinz Lang kennen und lieben, der sie umschwärmt. Als Adolf die Liebesbeziehung entdeckt, fordert er eine Entscheidung. Lina begibt sich für mehrere Monate in die Einsamkeit einer Jagdhütte in den Bergen. Als sie sich nach langen inneren Kämpfen für keinen der beiden Männer entscheidet, schreibt Adolf ohne Linas Wissen einen Brief an Heinz, aufgrund dessen er sich das Leben nimmt. 1904 wird die Ehe geschieden. Und nicht nur Peter Altenberg repräsentierte eine Gesellschaft, die Theater nicht nur auf der Bühne suchte – lese ich in Lisa Fischers Biographie – sondern das Leben selbst in Theater verwandelte. Der Versuch, sich dem Leben, der Realität und auch der Erfüllung von Wünschen und Bedürfnissen zu stellen, mit all den dazugehörigen Konflikten und Schwierigkeiten, wurde durch diese Weltsicht verhindert. Die Sehnsucht nach einer anderen Wirklichkeit erstarrte durch die Fiktion darüber zu Gesellschaftsspielen und sprachlichen Formeln. Altenberg soll dem jungen Heinz gesagt haben: «Was Sie tun sollten? Sich erschießen. Was Sie tun werden? Weiterleben. Ruhig. Weil Sie ebenso feig sind wie ich, so feig wie die ganze Generation, innerlich ausgehöhlt, ein Lügner wie ich. Deshalb werden Sie weiterleben und später einmal vielleicht der dritte oder vierte Liebhaber der Frau werden.» Ein traurige Zeit, gestrickt durch Konventionen.

Ach Madonna!

Nach der Scheidung musste Lina Loos die riesige Wohnung, die ihre Eltern finanzierten, Adolf Loos überlassen, weil Loos der «offizielle» Mieter war und Lina rechtlich keine Chancen hatte. Aber 1948 wird sie, mittlerweile Feuilletonistin, in ihrem Artikel auf die Benachteiligung der Frauen hinweisen: Wir werden darauf bestehen, dass Frauen, die ihre Möbel und ihre Wohnung mitbringen, wenn sie heiraten, eine solche Wohnung auf ihren Namen schreiben lassen, sodass sie bei einer eventuellen Scheidung nicht vor die Tür gesetzt werden können. Es ist offensichtlich, dass Lina für Adolf Geldgeberin, Muse, Ideal und Reinheit zugleich war. Das dies zerbrechen musste, war vorherzusehen. Er wollte sie «modellieren», wollte sie «formen», und das klingt nach «erschaffen». Da sind wir wieder beim Vergleich eines männlichen Machbarkeitswahns mit dem der Götter.

Nach der Trennung heiratete Loos mehrmals, und zwar immer jüngere Frauen, bis ihm schließlich ein Sittlichkeitsprozess gemacht wurde. Ach Madonna! Lina zahlte für ihre Trennung einen hohen Preis, da sie lange für den Tod von Heinz verantwortlich gemacht wurde. Mutig setzte sie sich aber über Normen hinweg. Die Gesellschaft ist irgendwer, ist irgendwo; aber hier stehe ich, wirklich und wahrhaftig, ganz allein verantwortlich für mein Leben, und wenn es der Gesellschaft nicht passt, passt eben die Gesellschaft nicht für mich. Aber Lina entfloh schließlich doch dem Klatsch und Tratsch nach New York. An solchen Stelle denke ich immer: Ach wie schön, wenn so was geht! Geld haben, in den Flieger steigen und ab die Post, für eine Zeit weg. Na ja klar. Hier geht´s um die Bürgerlichen. Darüber wird geschrieben.

 

LACHESIS, KLOTHO, ATROPOS

Lisa Fischers Buch Wenn die Muse sich selbst küsst umreißt ein Panoptikum einer Zeit, die weit weg scheint, längst verflogen. Und doch spinnen sich bedeutende Fäden bis in unsere Gegenwart, schreibt Lisa Fischer, denn in Platons Politea halten die Schicksalsgöttinnen den Lebensfaden in ihren Händen. Die drei Moiren Lachesis, Klotho, Atropos sind Töchter des Zeus und bewegen die Spindel der Notwendigkeit als göttliche Dreiheit. Sie verteilen Lose an die Toten, durch die diese einen neuen Lebensentwurf auf Erden erhalten. Der Faden, den sie spinnen, entsteht aus dem Flachs und verdichtet sich durch ständige Bewegung und stellt die Übergangsform zwischen Rohstoff und Produkt dar. Das Kreative dabei ist die unaufhaltsame Bewegung, das Fließen, der Lebensfluss, und bezeichnet die eigenständig schöpferische Frau. Schon Ariadne hatte den Faden aus der Hand gegeben, um Theseus zu retten. Ein schwerwiegender historischer Umbruch, schreibt Lisa Fischer sehr richtig. Weibliches Wissen geht in männliches Eigentum über. Anstelle einer gemeinsamen Nutzung – was für eine Verschwendung! – wird Ariadne um ihr Wissen betrogen. Und da stehen wir heute genau so da denn je. Gender Mainstreaming wird rauf und runtergepredigt, aber wo bleiben die 50/50?

Auch das Film-Team von Lina besteht überwiegend aus Männern. Drei Männer und nur eine Frau haben das Drehbuch geschrieben und Regie geführt. Wieder schauen Männer auf Frauen. Wo bleibt der weibliche Blick auf die Frauen? Gesprochen haben an diesem Abend auch nur die Männer. So werden männliche Produkte und männliche Kreativität weiterhin hervorgehoben und der Wert weiblicher Leistung an diesen Werken minimiert. Hat das irgendwas mit dem Thema des Films zu tun?!

Die Luft zum Atmen wurde dünn

Wie verläuft Lina Loos´ Leben weiter? In der Biographie sind einige Briefe von Lina Loos zu lesen, sie erzählen, meiner Meinung nach, von Idealisierung oder esoterischer, religiöser Verklärung, vielleicht ist es aber auch nur die Formulierung, die eine gewisse emotionale Dramatik nicht missen lässt: Wer feige, wehleidig, selbstsüchtig dem Leben ausweicht, reift nicht. Mitlieben! Mitleiden! Mitfühlen führen über das Selbst hinaus. […] Je weiser, je gläubiger ein Mensch geworden ist, je näher er dem Seelenkreis gekommen ist, je leichter löst er sich vom irdischen Leben. In den 30er-Jahren und dem aufkommenden Nationalsozialismus zog sich Lina Loos auf sich selbst zurück, was blieb ihr auch übrig, als an sich zu arbeiten, sich weiterzuentwickeln, GERADE WEGEN des Wahnsinns, der auf den Straßen und in ihrem Freundeskreis passierte? Ihre Freunde nahmen sich das Leben oder emigrierten. Die Luft zu atmen wurde dünn. IHRE FREUNDE schickten ihr GELD. Dass jedoch Linas Selbstentwicklung die weiblichste Form kreativen Schaffens sei, wie Lisa Fischer schreibt, weil nicht verdinglicht, un-objektivierbar, un-greifbar, beschönigt meiner Meinung nach eine Tatsache, die viele Künstlerinnen nach wie vor leben müssen, weil ihnen gar nichts anderes übrig bleibt, als die von Männern errichteten Mauern und Stoppschilder zumindest seelisch zu sprengen, damit sie nach innen nicht explodieren müssen. Das ist ein Weg. Aber für politische Veränderungen und GERECHTIGKEIT taugt dieser nicht.

 

INFO

Lisa Fischer: Lina Loos oder Wenn die Muse sich selbst küsst

Böhlau 2007, 213 Seiten, 14,90 Euro

www.dasdorf.at