«I cannot see you but I know you are staring at me.» Gemalte Großbuchstaben, gesetzt im Stil von Seh-Testtafeln, wie sie in Ordinationen hängen, so liest man diesen Satz – eine Arbeit der blinden Malerin Brooke Lanier – auf der Rückseite des «Crip Magazin #2».Die Herausgeberin Eva Egermann beschäftigt sich als Künstlerin schon lange mit Disability Studies und Crip-Theory. Crip, zu deutsch mit «Krüppel» zu übersetzen, ist ein Begriff, den sich Menschen mit Behinderung selbst angeeignet haben und in einer Gesellschaft, die mit stereotypen Vorstellungen vom «Normalen» funktioniert, zur Selbstermächtigung dient. Die erste Ausgabe des «Crip Magazine» erschien 2012, nun gibt es Nummer zwei, die sich auf die Geschichte der Behindertenrechtsbewegung bezieht und mit einer Vielzahl an Beiträgen von Künstler_innen mit Behinderung aufwartet. Gesetzt in der Schrift Dyslexic, die für Menschen mit Legasthenie entwickelt wurde, bietet es eine radikale, ernsthafte und dennoch humorvolle Sammlung von Crip-Materialien – Disability Culture als Gegenkultur. Aufrüttelnd und lustig etwa der Text «Vorteile des Krüppeldaseins» vom Gründer des «Theaters der Aggressionen» Philmarie, in dem aus Ich-Perspektive beschrieben wird, wie man respektlose Menschen zurechtweist, die einem etwa ungefragt über den Kopf streicheln, und in dem die Idee einer «Selbstbestimmt Schlägern Initiative» vorgestellt wird. Denn warum sollen nur nicht-behinderte Leute sich schlagen dürfen? Sehr lehrreich ist das Interview mit der Behindertenrechtsaktivistin Petra Fuchs, in dem es um die emanzipatorische Selbsthilfebewegung in Deutschland geht. Das erklärte Konzept des Projekts, die «Beschränkung der Vorstellungswelt aufzuheben», geht mehr als auf, und man würde sich wünschen, das «Crip-Magazine» in jeder U-Bahn zu finden. Gratis ist das Heft allerdings auch, und es kann auf www.indiekator.com bestellt oder auf cripmagazine.evaegermann.com heruntergeladen werden.