«Wenn du heiratest, fängt der Wahnsinn erst an»Artistin

Anja Salomonowitz' Film gegen das unmenschliche System des Fremdenrechts

«Die 727 Tage ohne Karamo» ist ein Dokumentarfilm von Anja Salomonowitz, der ein Problem von vielen binationalen Paaren schon im Titel anspricht: Trotz Heirat muss der/die nicht-österreichische Partner_in das Land verlassen. Und auch sonst macht die Gesetzgebung Beziehungen zu Nicht-EU-Angehörigen zum dauernden Hindernislauf. Die Regisseurin spricht im Augustin-Interview über ihren Film.

Auch AUGUSTIN TV sendet dazu: http://okto.tv/augustin

Wie kam es zu der Idee zu «Die 727 Tage ohne Karamo»?

Anja Salomonowitz: Ich werde oft gefragt, ob ich selber betroffen bin – das ist nicht der Fall, ich bin nicht selbst binational verheiratet, aber ich habe solche Geschichten gekannt, und ich muss sagen, dass ich es sehr empörend finde, was da vor sich geht. Eigentlich ist der Film aus einer politischen Empörung heraus entstanden. Wir haben dann angefangen, Menschen zu suchen, die mitmachen könnten, und begonnen, sie zu interviewen.

Ich hatte sehr früh die Idee, einen Film zu machen, in dem viele Menschen vorkommen, um die Masse an Leuten zu zeigen, die das betrifft, aber auch um jeden Einzelnen aus der Verantwortung der Geschichte zu entheben. Damit man versteht, dass ein System dahintersteht, in das man hineingerät, das sehr viele Menschen trifft – und das auch jeden Menschen treffen kann. Die Idee, das mit vielen Menschen zu machen, hat sich im Lauf der Recherchearbeiten bestätigt, weil mir aufgefallen ist, dass die Leute an bestimmten Punkten immer wieder Ähnliches erzählen, weil die Gesetze diese Geschichten eben so strukturieren. Z. B. dass man heiratet und denkt, die Probleme würden aufhören. Das habe ich auch gedacht. Aber das ist so ein Wissen, das aus den 80ern übriggeblieben ist, das stimmt heute gar nicht mehr. Wenn du heiratest, fängt der Wahnsinn erst an.

Und wie kann ich Dokumentarfilme machen, ohne die Menschen, die mitmachen, auszunutzen? Ein kleiner Teil davon ist, indem viele mitmachen, muss jede_r nur ein, zwei, drei Tage drehen.

Es gab eine Zusammenarbeit mit der Organisation «Ehe ohne Grenzen», die sich für Erleichterungen bei binationalen Ehen einsetzt.

«Ehe ohne Grenzen» hat sich ursprünglich zusammengesetzt aus einer Gruppe von Betroffenen und sich inzwischen zu einer NGO entwickelt. Es gibt eine Obfrau, die Angela Magenheimer, sie gibt einmal in der Woche, im Büro von SOS Mitmensch, Beratungen. Ich habe sie ganz am Anfang angesprochen, ob sie mir helfen möchte, diesen Film zu machen. Ich habe ihr auch erzählt, wie ich den Film machen möchte, nämlich dass viele Menschen gemeinsam eine Geschichte erzählen und dass es mir darum geht, einen wirklich politischen Film zu machen. Einen Film über die Menschen, denn natürlich soll der Film die Menschen liebevoll und ernsthaft porträtieren, aber dass es eigentlich darum geht, über das System zu sprechen. Da war die Angela total dabei und hat dann Leute in den Beratungen gefragt, ob sie bereit wären, uns Rechercheinterviews zu geben. So sind wir am Anfang an die Paare herangekommen. Angela hat mir sehr viel geholfen, sie hat uns auch den betreffenden Teil des Fremdenrechts erklärt. Denn es ist wirklich schwierig zu verstehen und nachzuvollziehen.

Die Geschichten, die ich gehört habe, waren dann leider immer noch schlimmer. Es hat sich die Idee, aus der heraus ich den Film machen wollte, immer mehr bestätigt.


Die Ausgangsthese war ja, der Staat oder die Behörden bauen Schikanen für diese Paare auf. Mein Eindruck ist, dass Österreich und auch andere europäische Staaten keine Zuwanderung wollen und auch keine Verbindungen zwischen Einheimischen und Fremden.

Ja. Offiziell wird das Ganze damit gerechtfertigt, dass man Scheinehen vorbeugen will. Was ich sowieso lächerlich und absurd finde, weil Scheinehen nur ein Produkt des Systems sind. Die Zahl der Menschen, die erwischt werden, ist so verschwindend gering, dass der Apparat, der dagegen gestellt wird, um andere zu überwachen, auch in keinem Vergleich dazu steht. Ganz unabhängig davon bin ich persönlich der Meinung, dass Scheinehen ein Mittel zum Zweck sind, um gegen ein unmenschliches System anzukämpfen. Also ich finde sie nicht schlecht, aber das ist meine persönliche Meinung. Es ist sozusagen ein notwendiges Übel. Wenn das System es haben will, dass man heiratet, dann muss man eben heiraten.

Du hast in dem Film wieder ein bestimmtes Farbkonzept verwendet, diesmal mit der Farbe Gelb. Das ist, wie du in einem Statement gesagt hast, eine positive Farbe. Denn die Geschichten, die man hört, sind ziemlich schlimm; es ist ein Kontrast dazu?

Wie kann man einen Dokumentarfilm machen, der anhand der porträtierten Menschen über ein System spricht? Denn das System ist ja unsichtbar. Jetzt habe ich versucht, den Alltag leicht zu abstrahieren, das Ganze in eine Farbwelt einzutauchen, die ungewöhnlich ist, damit man, weil es abstrahiert ist, leichter dahinterschauen kann und eben das System dahinter sehen kann und die Mechanismen, die da werken, damit diese Geschichten überhaupt entstehen können.

Abgesehen davon finde ich es auch lustvoll, «schöne» Dokumentarfilme zu machen. Ich möchte alle Mittel des Spielfilms – Kostüm, Licht etc. – nutzen, um meinem Thema mehr Gewicht zu geben.

Die meisten haben mir gesagt, dass sie es schön gefunden haben und dass es einen eher dranhält, weil es Aufmerksamkeit erzeugt. Es ist ein Versuch in eine Richtung, ein Nachdenken über dokumentarische Möglichkeiten.

Der Film wurde schon einige Male gezeigt. Welche Publikumsreaktionen gab es?

Der Film wurde das erste Mal bei der Berlinale gezeigt. Da war es schon so, dass eine Empörung und eine Wut im Publikum war und dass die Leute danach gefragt haben: «Ist das bei uns auch so?» Weil der Film sehr österreichspezifisch ist. Aber die Wahrheit ist, dass es fast überall in Europa gleich oder ähnlich ist.

Fremdenrecht als be-fremdliches Recht

Liebe kennt keine Grenzen. Die Gesetzgebung nimmt wiederum keine Rücksicht auf die Liebe, sie unterstellt binationalen Paaren sogar, Scheinehen zu führen, um sich den Aufenthalt in Österreich zu «erschleichen». Dabei berechtigt die Ehe mit Österreicher_innen Drittstaatsangehörige nicht einmal zum Aufenthalt in diesem Land. In «Die 727 Tage ohne Karamo» lässt Anja Salomonowitz 21 Paare, bzw. je eine_n Partner_in aus binationalen Ehen zu Wort kommen und über ihre Erfahrungen mit dem Fremdenrecht und die sich daraus ergebenden Probleme erzählen. Aus dem Off erklärt Angela Magenheimer, Obfrau von «Ehe ohne Grenzen», die fremdenrechtlichen Hintergründe. Durch die individuellen Geschichten zieht sich ein roter Faden: Für Nicht-EU-Bürger_innen und ihre österreichischen Ehefrauen und -männer steht die Beziehung von Amts wegen auf wackeligen Füßen, denn die Aufenthaltsbewilligung muss jährlich (später alle drei Jahre) eingebracht werden. Ein Haushaltsmindesteinkommen muss erwirtschaftet werden, Migrant_innen müssen zeitintensive und teure Deutschkurse absolvieren, behördliche Entscheidungen lassen monatelang auf sich warten, zudem ist man/frau willkürlichen Kontrollen ausgesetzt. Etwa bei einer Verschlechterung des Einkommens kann die Abschiebung drohen. Der Kampf um Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung ist ein permanenter Hürdenlauf mit versteckten Fallen.

«Die 727 Tage ohne Karamo. Eine Liebesgeschichte gegen das Gesetz» Österreich 2013

Ab 6. 9. im Kino

www.727days.com

Veranstaltungen:

6. 9., 18:30 Uhr, Votivkino, 1090 Wien

Vorführung und Gespräch in Anwesenheit der Regisseurin, hosted by Ehe ohne Grenzen

9. 9., 18 Uhr, Village Cinemas, 1030 Wien

Vorführung und Podiumsdiskussion mit Florian Klenk (Falter), Anja Salomonowitz, Nurten Yilmaz (SPÖ), Georg Bürstmayr (die Grünen) u. a.

11. 9., 18.30 Uhr, Votivkino, 1090 Wien

Vorführung und Gespräch in Anwesenheit der Regisseurin, Der Grüne Klub im Rathaus, Anmeldung unter: ali.gedik@gruene.at

12 .9., 19 Uhr, Votivkino, 1090 Wien

Vorführung und Gespräch in Anwesenheit der Regisseurin, hosted by Young Caritas

18. 9., 18.30 Uhr, Votivkino, Wien

Vorführung und Podiumsdiskussion mit Anja Salomonowitz, Verein Fibel und Gegen Unmenschlichkeit

14. 11., 19 Uhr, Schikaneder, Wien

Vorführung und Gespräch in Anwesenheit der Regisseurin und einer Protagonistin

Karl-Renner-Institut, Anmeldung unter post@renner-institut.at

Anmeldung (wenn nicht anders angegeben) im jeweiligen Kino.

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