Akademikerin, 43, arbeitslos
Eine Trostschrift für alle qualifizierten, gering qualifizierten und gar nicht qualifizierten Arbeitslosen über und unter vierzig.Es reicht! Wohl wissend, dass es in Wien tausende gut qualifizierter Frauen gibt, die wie ich, keinen Job finden, ist es an der Zeit, mit dem Märchen von der „Qualifikation“, die angeblich die Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhöht, aufzuräumen. Schon möglich, dass das für Männer gilt, für Frauen gilt es jedenfalls nicht. Und schon gar nicht, wenn sie über 40 sind. Übrigens auch dann nicht, wenn sie unter 40 sind, denn da könnten sie ja noch Kinder kriegen oder Kinder zu betreuen haben und damit den Betrieb ungebührlich belasten.
Es ist fast schon kabarettreif, was man unter den im Titel genannten Bedingungen auf der Arbeitssuche so alles erlebt. Doch zuerst zu dem, was gemeinhin „Qualifikation“ genannt wird: Ich bin promovierte Geisteswissenschafterin („mit Auszeichnung bestanden“ haha!), mit mehrjähriger Berufspraxis in wissenschaftlicher Projektarbeit, Lehrerfahrung an der Universität und journalistischer Erfahrung. Ich spreche drei Sprachen fließend (die zwei weiteren, die ich nur ein bisschen kann, zähl ich hier nicht dazu). Meine als Buch veröffentlichte Doktorarbeit war im Wochenmagazin Profil mehrmals auf der Bestsellerliste. Weiter mit den „Qualifikationen“: Ich hab eine Ausbildung als Krankenschwester, einen Job, mit dem ich aus gesundheitlichen Gründen aufgehört habe, und mehrjährige Berufserfahrung. Natürlich hab ich mich auch zivilgesellschaftlich engagiert und da auch viel unbezahlte Arbeit geleistet.
Nachdem ich begriffen habe, dass eine wissenschaftliche Karriere nicht möglich ist, wenn man nicht von jemandem gepusht wird, such ich nun, dank meiner „Qualifikationen“ schon seit geraumer Zeit einen Job an der Schnittstelle von Wissenschaft, Gesundheitswesen und Sozialem. Schließlich ist „Flexibilität“ gefragt – noch eines meiner Lieblingswörter. Man möchte meinen, dass in Zeiten, wo man heftig über eine Verbesserung des Gesundheitswesens nachdenkt, Leute mit den genannten „Qualifikationen“ auf wärmstes Interesse stoßen müssten. Weit gefehlt! Dafür krieg ich am laufenden Band Angebote, wissenschaftliche Artikel zu schreiben oder Vorträge zu halten, gratis, versteht sich, das ist in der Wissenschaft so üblich. Ich könnte natürlich auch auf Werkvertragsbasis Akten sortieren oder ähnliches. Mein letzter Job war eine 10-Stunden-Woche Karenzvertretung für ein Jahr in einem Archiv. Ich hab den Job genommen, obwohl ich dabei weniger verdient hab, als ich Notstandshilfe gekriegt hätte.
Für den Job leider überqualifiziert
Die Absagen, die ich kriege, enthalten nicht selten die Floskel, dass ich für den Job leider überqualifiziert sei. Dass ich zu alt bin, hab ich selbstverständlich auch schon zu hören gekriegt, wenn auch eher indirekt. Bei einem Jobangebot, bei dem ich mich kürzlich beworben hab – ich glaub es war eine Halbtagsstelle – gab’s 150 Bewerbungen. Oft krieg ich natürlich auch gar keine Antwort auf meine Bewerbungen. Ich hab den Verdacht, dass ich den Chefs mit meinen Qualifikationen nicht ganz geheuer bin. Vielleicht liegt das auch an der Tatsache, dass in meinem Lebenslauf steht, dass ich vor 10 Jahren Mitgründerin einer feministischen Zeitung war. Feministin bin ich selbstverständlich immer noch. Und der Meinung, dass man lebt, um zu arbeiten, bin ich immer noch nicht. Auch wenn ich es mir momentan weder leisten kann, meine Zähne richten zu lassen, noch mir einen Computer zu kaufen (der letzte wurde mir bei einem Einbruch aus der Wohnung gestohlen). Langsam wird es für mich schwierig, Miete und Strom für meine Einzimmerwohnung zu bezahlen, kein Wunder bei ca. 19 Euro€ Notstandshilfe am Tag.
Wenn ich mir sage, dass die Tatsache, dass ich keinen Job finde, strukturelle und nicht persönliche Gründe hat, so hilft das – meistens jedenfalls. Konsumverweigererin war ich schließlich immer schon. Doch es ist schwer, sich von der allgemeinen Panikmache nicht anstecken zu lassen. Schließlich gehör ich auch nicht zu denen, die irgendwann mal was erben werden, weder ein Haus noch eine Eigentumswohnung oder auch nur eine Hundehütte – im Gegensatz zu vielen meiner AkademikerkollegInnen, die jetzt langsam anfangen zu erben. Die Forderung nach „Qualifikation“ oder „Bildungskapital“ als Mittel gegen Arbeitslosigkeit entpuppt sich jedenfalls als Augenauswischerei, ebenso der Slogan von den „gleichen Bildungschancen für alle“. Es mag schon stimmen, dass die eine oder andere besonders hartnäckige Tochter aus der ArbeiterInnenschicht es, so wie ich, bis zu einem Universitätsabschluss schafft. Spätestens dann ist aber Schluss! Wie auch Studien mittlerweile belegen, sind gute Jobs mindestens genauso an die soziale Herkunft gebunden wie an „Qualifikation“, und wenn du nicht aus diesem besseren Stall kommst, oder nicht wenigstens ein Mann bist – Pech gehabt!
Ich gehöre zum Glück zu einer Generation, die in jungen Jahren den Arbeitskräftemangel miterlebt hat und die es sich leisten konnte, den Verkauf der eigenen Arbeitskraft oder der eigenen Lebenszeit – 8 Stunden am Tag, oder mehr – in Frage zu stellen. Die Jungen heute tun mir leid. Ich hoffe sehr, dass sie sich nicht völlig entmutigen lassen und dass ihnen klar ist, dass es neben Arbeitslosigkeit und Jobsuche auch noch ein anderes Leben und andere Werte gibt, wo Geld nicht zählt. Hört nicht auf, euch eine andere Welt vorzustellen und dafür zu kämpfen! Dieser Wahnsinn funktioniert nur, solange alle mitmachen.
(der Name ist der Redaktion bekannt)