Lokalmatador Nr. 391
Ferdinand Koller ergreift in der BettelLobby für die ärmsten Menschen in dieser Stadt Partei. Von Uwe Mauch (Text) und Mario Lang (Foto)
Es gibt Momente im Leben, die bringen auch einen in sich ruhenden Menschen wie Ferdinand Koller aus dem Gleichgewicht. Der freiwillige Helfer der BettelLobby Wien erzählt von einem rumänischen Ehepaar, das schon seit Jahren versucht, in Wien Fuß zu fassen. Er hatte die beiden einmal gefragt, wonach sie sich am meisten sehnen. Und bekam zur Antwort: «Nach einem Augustin-Ausweis.»
An jedem dritten Montag im Monat radelt Ferdinand Koller ins Amerlinghaus, zum Rechtshilfetreffen der BettelLobby. Koller studierte an der Universität Wien Theologie und arbeitete eine Zeitlang als Religionslehrer, ehe er die pädagogische Leitung im Romano Centro übernahm. Bei der BettelLobby ist er fast von Anfang an dabei. Das übergeordnete Ziel beschreibt er so: «Menschen, die auf das Betteln angewiesen sind, zu helfen.»
Sein Weg von der Theologie zu den Armen von Wien begann in der Ferne, in Manila: «Bei einer Exkursion mit einem einfühlsamen Professor, der sein Lunchpaket mit armen Leuten teilte.» Er hat dann zum Abschluss seines Studiums eine der ersten fundierten Studien über bettelnde Menschen in Österreich verfasst.
Was ihn als Mensch schockiert hat: «Dass ihnen niemand hilft.» Was ihn als Theologe geärgert hat: «Dass es von kirchlicher Seite mit Ausnahme von Pfarrer Pucher in Graz keine Hilfe gab.»
Schnell kam Koller bei seinen Recherchen mit der BettelLobby in Kontakt, die im Vorfeld der Fußball-Europameisterschaft 2008 gegründet wurde, als man in Wien das Bettelverbot ausdehnte. «Nebenbei konnte ich mir auch juristisches Wissen aneignen», sagt der 33-jährige Vorarlberger. «Das hilft heute bei der Rechtsberatung.»
Im Amerlinghaus wird er oft mit polizeilichen Anzeigen wegen gewerbsmäßigen oder aufdringlichen Bettelns konfrontiert: «Die meisten sind unbegründet und sanktionieren ein Verhalten, das eigentlich erlaubt ist.»
Kollers Bilanz: «Nicht immer ist die Lage für die Betroffenen aussichtslos. «Wir konnten bisher 80 Prozent der Fälle, bei denen wir Beschwerde eingelegt haben, gewinnen.»
Bei den Montagstreffen im Amerlinghaus können Interessierte nebenbei auch erfahren, wie es den Betroffenen persönlich geht und warum sie in Wien sind. Der Helfer erinnert sich an eine bulgarische Frau: «Sie hat mir zuerst erzählt, dass sie von der Wiener Polizei mies behandelt wurde, und dann, dass sie in Wien betteln geht, damit ihr Sohn in Bulgarien Jus studieren kann.»
Was ihn, der auch einen Master im Fach Menschenrechte gemacht hat, irritiert: «Das krasse Missverhältnis zwischen der Hetze gegen und unseren Erfahrungen mit den Betroffenen.»
Deren Erfahrungen beschreibt er so: «Das sind Menschen, die wurden nicht als Bettler geboren. Die würden gerne arbeiten, wenn man sie ließe. Ich bin beeindruckt, wie sie sich in ihr Schicksal fügen, wie sie das, was sie auf der Straße auf sich nehmen müssen, wegstecken. Das sind keine armen Hascherln, nein, das sind psychisch durchaus gefestigte Menschen.» Die bösen Blicke von Passant_innen, die ständige Präsenz der Polizei, die Kälte, der Regen, die Hitze: «Das ist alles sehr zach.»
Und was sagt der Theologe zum Vorwurf, die bettelnden Menschen wären Mitglieder eines kriminellen Netzwerks, einer Bettel-Mafia? Er sagt so: «Ausbeutung gibt es nur in Einzelfällen. Vom Betteln in Wien wird kein Mensch reich. Das ist ein beinharter Überlebenskampf.»
Die meisten schämen sich. Es gebe aber auch Frauen, die offen sagen: «Betteln ist immer noch besser als auf den Strich zu gehen oder zu stehlen.»
Woher nimmt er selbst die Energie, sich ohne Rückendeckung einer Institution für die Rechtlosen in der Stadt stark zu machen? Ferdinand Koller antwortet mit einer Art Gegendarstellung: «Wir sollten uns nicht so sicher sein. Es kann ganz schnell gehen, und wir fallen aus scheinbar gesicherten Verhältnissen heraus. Viele von den Bettelnden hatten auch nicht gedacht, dass sie einmal auf der Straße landen würden.»
Soziales Engagement zeichnete übrigens schon seinen Vater aus, einen Unfallchirurgen in Bregenz, der sich als Gutachter für die Rechte der Patient_innen einsetzte und sich damit in der Kolleg_innenschaft im Ländle unbeliebt machte.
Auch die BettelLobby legt sich mit den Mächtigen an. Beim Lobbyieren verfolgt man laut Koller zwei Ziele: «Zum einen wollen wir das öffentliche Bild der bettelnden Menschen korrigieren, das ist bisher ganz gut gelungen. Denn es hat ja vor uns niemand gewusst, wie exzessiv die Polizei Strafen ausspricht. Zum anderen müssen wir weiterhin auf die Problematik des Strafens hinweisen. Denn was uns bisher nicht gelungen ist, ist die Verhinderung beziehungsweise Abschaffung von Bettelverboten.»
Zwar hat der Verfassungsgerichtshof im Jahr 2012 das «Salzburger Bettelverbot» für nichtig erklärt, das hindere jedoch die Wiener Stadtregierung nicht daran, bettelnden Menschen ihren Platz im öffentlichen Raum abzusprechen.
Den oft gehörten Einwänden der Abenlandverteidiger_innen hält Ferdinand Koller entgegen: «Solange Menschen in Europa in miserablen Verhältnissen leben, müssen wir es ihnen ermöglichen, zu Geld zu kommen.» Der von ihm herausgegebene Sammelband «Betteln in Wien» kann beim Lit-Verlag bestellt werden.