Wenn Marjah eine Stadt ist, ist Grammatneusiedl New YorkAllgemein

Ein humanitärer Krieg muss gut vorbereitet sein. Wenn wir auf die Welt kommen, wissen wir lange nichts. Zum ersten Wissen zählt, dass Krieg und Humanität nicht zusammen passen. Das wussten wir, bevor wir die Worte dafür aussprechen konnten wie die Erwachsenen. Dieses Wissen wird man uns austreiben wollen. Denn es lässt uns erkennen, dass der kreuzzughafte Krieg, den wir, also die westlichen Leute, derzeit führen, zwar die Burka in Verruf bringt, dass aber viele Frauen, die bisher in diesem kollateralschadenfrohen Drohnengewitter starben, keine Burka trugen. Die Kinder kannten keine Burka, trotzdem starben sie. Ich wusste schon am Ufer des Seerosenteichs, also bevor ich in die Schule kam: Krieg pfui. Immer pfui. Wer einen Krieg im Zeichen der «Humanität» führt, muss zuerst den Kampf um die öffentliche Meinung gewinnen. Heutzutage sind die Gewinnchancen größer. Weil dem Heer und seinen Ministern die Gegen-Player in Form von unabhängigen Medien zunehmend abhanden kommen. Kennen Sie das Märchen von der Stadt Marjah im Süden Afghanistans? Sollten Sie. Sagt einiges aus über die reale Situation der Publizistik auch der österreichischen.Auf einem Planeten namens Hier&Heute brachen die größten Banken zusammen. Es geschah, dass der Inhalt ganz bestimmter Spalten in den großen Zeitungen sich erstmals mit dem deckte, was wirklich geschah. Es waren die Spalten, in denen die großen Verleger erklärten, man dürfe die Krise der Finanzwirtschaft nicht auf die Realwirtschaft projizieren. Finanz ist fiktiv, real ist wirklich. Die Zeitungsverlage gehören der Realwirtschaft an, der Beweis dafür ist, dass man schwarz wird, wenn man die frische Zeitung angreift. Die Banken krachten, die Staaten blechten, den großen Zeitungen ging es nicht so schlecht dabei. Soviel zum Wunder der partiellen Übereinstimmung von Sein und Publiziertem. Als aber die großen Zeitungen argumentieren mussten, weshalb sie halbe Belegschaften als überflüssig nach Hause schickten, war es schon wieder aus mit der Übereinstimmung von Nachricht und Leben. Es sieht so aus, als ob die großen Zeitungsverlage die Wirtschaftskrise zu einem guten Stück für ihre Zwecke instrumentalisieren, höre ich einen Medienforscher reden. Die Gelegenheit scheint günstig, Personalkosten zu reduzieren, um so die Rendite der Verlagshäuser zu erhöhen. Die Geschäftsführer großer Verlage interessieren sich mehr für Gewinnmaximierung als für das journalistische Produkt. Dieses Denken bleibt nicht folgenlos für den Zeitungsjournalismus. Mit dem professionellen Personal verschwindet die Pluralität der Berichterstattung. Die Zeitungen werden inhaltlich einander immer ähnlicher. Die reduzierten Redaktionen haben nicht mehr die Kapazität, um selbständig zu recherchieren. Die Angestellten werden schneller abgebaut, als dank Internet die Zeit abgebaut wird, die man braucht, um die selbe Menge Information zu recherchieren. Zunehmend stammen die journalistischen Beiträge konkurrierender Medien aus derselben Agentur, aus derselben PR-Quelle. Es schlägt die Stunde von The Associated Press.

In den Redaktionen verbreitet sich die Angst. Die Verbleibenden fürchten, unter die nächste Einsparungswelle zu geraten. Die Angst führt zu Anpassungsübungen. Journalistinnen und Journalisten mit ursprünglich kritischem Anspruch nehmen ihre Vorsätze, in ihrer Arbeit möglichst autonom zu bleiben, zurück. Eine Medienlandschaft, die wie die österreichische zum guten Teil von einer einzigen Finanzgruppe kontrolliert wird, nämlich von den Raiffeisen-Oligarchen, bräuchte souveräne Schreiberinnen und Schreiber besonders dringend. Je mehr sie verschwinden, desto mehr wird ein unabhängiger Journalismus als Faktor des zivilgesellschaftlichen Gegengewichts zu den eskalierenden Entdemokratisierungsprozessen zur Illusion. Gleich komme ich zu Marjah, der Geisterstadt im Süden Afghanistans. Ein Abstecher in eine wirkliche Stadt ist angesagt. Wir unterbrechen die Fahrt nach Afghanistan auf der Südautobahn, Ausfahrt Wiener Neustadt. Die Kurier-Redakteurinnen haben Angst, über das, was im Landesgericht Wiener Neustadt passiert, objektiv zu berichten. Im Lauf eines möglicherweise ein Jahr dauernden Musterprozesses nach dem «Mafia-Paragraphen» 278a will der Staat eine «kriminelle Organisation» erfinden. Dreizehn Aktivistinnen und Aktivisten der Tierrechtsbewegung sind auserkoren, diese Rolle zu übernehmen. Dagegen wehren sie sich aber. Sie sind uneinsichtig. Vielleicht ist, was man ihnen vorwirft, doch nur ziviler Ungehorsam? Ist das aber nicht nur kein Verbrechen, sondern sogar Bürgerpflicht? Die Kurier-Redakteurinnen können solche Fragen nicht stellen, denn die Zeitung, von deren Gehalt sie leben, gehört der Raiffeisenbank. Ihr oberster Oligarch, Christian Konrad, mächtigste Figur Österreichs mit dem Image des Hausmeisters der ländlichen Lagerhäuser, in denen es immer noch Sensen und Gummistiefeln und Akazien-Pflöcke für die Errichtung der dekorativen Weinpergola im Privatgarten zu kaufen gibt, hasst die Tierrechtsbewegung. Denn die Tierrechtsbewegung ist gegen die Jagd. Und er, Herr Konrad, ist der Oberste des Landesjagdvebandes. Nie wieder wird er eine Demo von Tierschützern gegen seine Jagdleidenschaft dulden.

Gemeinsam mit dem Waffenproduzenten Wolfgang Fürlinger, Inhaber des Unternehmens Steyr-Mannlicher, hat Konrads Jägerlobby eine halbe Million Euro investiert, um Wiener Neustadt zur Hauptstadt der Jägerei zu machen. Fürlinger und Konrad haben die bestehende Wiener Neustädter Schießanlage zum größten österreichischen Schießzentrum ausgebaut. Es ist dreizehn Hektar groß, wenn Sie Bauer oder Bäuerin sind, wird ihnen diese Angabe auf Anhieb etwas sagen. 30.000 Jäger gibt es in Niederösterreich. Im neuen Schießzentrum wird für ihre ordentliche Ausbildung gesorgt, sagt Konrad. Recherchierten die Kurier-Redakteurinnen, welchen Zusammenhang es zwischen den drei Fakten gibt, die ich gleich nennen werde sie wären ihre Jobs los. Die drei Fakten. Punkt eins. Die Jägerlobby hat ihr Zentrum in Wiener Neustadt. Punkt zwei. Das Landesgericht Wiener Neustadt ist, mit aller gebotenen Vorsicht ausgedrückt, weder ein veganes Hotel, noch ein Saustall artgerechter Schweinehaltung, und weder ein Guantanamo für Jäger noch ein Gulag für Raiffeisenbankster, falls Sie ahnen, was gebotene Vorsicht vermeiden kann. Punkt drei. Den angeklagten jungen Engagierten wird in Wiener Neustadt der Prozess gemacht, obwohl das dortige Landesgericht geografisch für keinen der Gefangenen zuständig ist.

Der Kurier wird nie über solche Konsistenzen und Interaktionen spekulieren. Es ist sofort aufgefallen, dass der Kurier, wenn er über den Musterprozess berichtet, wie ein Sprachrohr des betreffenden Wiener Neustädter Staatsanwalts funktioniert. Ein Staatsanwalt, der in den letzten Wochen der Amtsperiode des freiheitlichen Justizministers Böhmdorfer ernannt wurde. Mit welchem Trick sich Wiener Neustadt die Zuständigkeit erkämpfte, das wäre Stoff für ein Dramolett, wer gibt der Elfriede Jelinek den Zund? Die Kurierleser würden sich über diese Geschichte ebenfalls ergötzen, aber im Kurier werden sie diese nie lesen. Nie. Nur soviel: Es musste einer aus dem Bezirk in die Liste der nach § 278a Angeklagten hineinreklamiert werden. Unter den Gefangenen wohnte aber niemand im Bezirk Wiener Neustadt. Nun kommt die Stunde des Matthias P. Der wundert sich, dass er einer kriminellen Organisation angehört. Mit Tierschutz hatte er nie zu tun. Ein Computerfehler, entschuldigt sich die Justizministerin. Matthias P. wird aus der Liste wieder entfernt, aber er hat seine Schuldigkeit bereits getan: Dem Landesgericht Wiener Neustadt kann doch wegen eines läppischen Computerfehlers nicht die Ehre genommen werden, Schauplatz der Premiere des Mafiagesetzes zu sein.

So schöne und bewusstseinserweiternde Geschichten liefert das Leben unentwegt. So schöne Geschichten bleiben ungeschrieben, wenn Eigentümerinteressen berührt werden. So wenige Journalistinnen und Journalisten sind noch am Werk, die sie schreiben könnten. So viel Angst hat sich ihnen breit gemacht. Wirklich unabhängige, weil nicht erpressbare Medien wie der Augustin scheinen eher als Überbleibsel aus einer Zeit relativer Meinungsvielfalt definiert werden zu können; die Vorstellung, dass der Augustin die Kombination von redaktioneller Autonomie, journalistischer Qualität und sozialer Orientierung als berufsethisches Zukunftsszenario vorwegnimmt, ist zu schön, um wahr zu werden.

Marjah, die Stadt nahe der pakistanischen Provinz Belutschistan, ist kein Computerfehler. Google Earth imaginiert nicht irrtümlich eine Stadt, wo es keine Stadt gibt. Google Earth hat Null blühende Fantasie. Der «Fall Marjah» zeigt, wohin der allgemeine Abbau journalistischer Souveränität führt. Worüber von nun an erzählt wird, spielt sich im Februar des Jahres 2010 ab. NEWS berichtet am 9. des Monats von der Großoffensive der US-Truppen und ihrer Verbündeten in der südafghanischen Provinz Helmand: «Die Angriffe richteten sich gegen Marjah, die größte von den Taliban beherrschte Stadt in der Region mit rund 80.000 Einwohnern.» Die Kronenzeitung vom 14. des Monats bearbeitet dieselbe Quelle: «Mit rund 80.000 Einwohnern war Marjah bis dato die größte Stadt in der Hand der Taliban und damit das erste Ziel der am Samstag gestarteten Offensive.» Sie zitiert dann US-Brigadegeneral Lawrence Nicholson: «Wir werden Marjah den Taliban wegnehmen.» Das könne zu einer grundlegenden Veränderung in ganz Afghanistan führen. Auch für den britischen Brigadegeneral James Cowan sei der Fall Marjahs ein Wendepunkt: die Operation werde den «Anfang vom Ende des Aufstands markieren.»

Die Presse vom 21. des Monats über die NATO-Mega-Offensive: «Vor allem die Rebellenhochburg Marjah ist heftig umkämpft.» Doch die regulären afghanischen Polizisten hätten schon das Stadtzentrum gesichert. Der Standard lässt den Westen am 25. des Monats triumphieren: «Über der einstigen Taliban-Hochburg Marjah weht die afghanische Flagge. Knapp zwei Wochen nach Beginn der von der NATO gestützten Großoffensive Mushtarak gegen die Islamisten in der südafghanischen Provinz Helmand haben das Militär und die afghanischen Behörden offiziell die Kontrolle über die größte Stadt der umkämpften Region übernommen. Bei einer Zeremonie mit Vertretern der afghanischen Armee und der Internationalen Schutztruppe ISAF hissten Regierungsvertreter am Donnerstag die Nationalflagge über der Bezirkshauptstadt Marjah.»

Viele dieser Nachrichten sind mit Fotomaterial untermauert. Die Fotos der eingebetteten Kriegsfotografen zeigen ausschließlich allein stehende bäuerliche Lehmhütten. Auf einem vom Standard verwendeten Agenturfoto flattert tatsächlich die Nationalflagge im Wind, der von den Mohnfeldern kommt.. Sie ist auf einer Lehmhütte gehisst worden. Nirgends ein Anzeichen von Urbanität. «Nun wird es Sicherheit, Arbeit und Regierungsführung geben», zitiert das Blatt der liberalen Gebildeten einen Politiker aus der «Stadt Marjah». Einige österreichische Medien muten der «Hauptstadt Helmands» sogar 125.000 Einwohner zu. Der ORF suggeriert einen Kampf von Häuserblock zu Häuserblock, bis endlich 600 afghanische Polizisten «ins Stadtzentrum vordrangen.»

Einsame Stimmen der Skepsis sind nicht aus den Redaktionen zu vernehmen. Sie werden von außen an das Standard-Onlineforum herangetragen: «Hier also, im Zentrum der Stadt, weht die siegreiche Flagge. Weiß wer ein link, wo man mehr sieht als eine Mauer und herumeilende Soldaten? Diese eine Mauer scheint das Highlight aller TV Aufnahmen in 50 Km Umkreis zu sein und ist seit einer Woche auf allen Aufnahmen zu sehen. Sicherheitshalber verschwommen auf diesem Foto in der Landschaft. In allen 35 weiteren Fotos ist nicht eines, das auch nur annähernd eine Stadt zeigt, und selbst ein Dorf ist nur mit sehr viel gutem Willen bei Foto 15 auszumachen. Naja, vermutlich ist das eine ganz gefährliche und geheime Mission, von der niemand was sehen darf.»

Der unbekannte User oder die unbekannte Userin erweist sich als solitärer Heroe der Logik und der Rationalität. Die Chefredaktion fühlt sich ertappt und denunziert den Kritiker des manipulativen Journalismus als Apologet einer «Verschwörungstheorie» eine scheinbar intellektuelle Stigmatisierung nonkonformistischen Wahrnehmens, die ein Durchdenken der vorgebrachten Einwände von vornherein ausschließt. Der Standard verspricht jedoch, die Aufforderung, nicht auf Eigenrecherchen zu verzichten, aufzugreifen. Oh Wunder, er kommt zu Resultaten, die exakt denen der «Verschwörungstheoretiker» entsprechen. Er zitiert den deutschen UNO-Entwicklungshelfer Thomas Ruttig: Marjah sei «bestimmt keine Stadt», sondern bloß eine Ansammlung von Lehmhütten. Als einzige Quelle, die die Standard-Darstellung «größte Stadt der Region» stützt, wird das «Institute for the Study of War» genannt. Diese Institution, die im Internet unter der vielsagenden Adresse www.understandingwar.org präsent ist, zählt jedoch zum Think Tank des US-Militarismus. Das verschweigt der Standard. Er will es nicht wissen. Vielleicht weiß er es nicht. Es hätte gereicht, das «About us» der Website anzuklicken: We are committed to improving the nations ability to execute military operations and respond to emerging threats in order to achieve U.S. strategic objectives. Das Institut fühlt sich der Verbesserung der militärischen Handlungsfähigkeit verpflichtet, um die Nation im Auftrag ihrer strategischen Zielstellungen zu einer Antwort auf die Bedrohungen der Zukunft zu befähigen. Eine Selbstzuschreibung, die weder vertrauenserweckend noch wissenschaftlich klingt.

Als mildernder Umstand für den österreichischen «Qualitätsjournalismus» kann nur die Tatsache zugelassen werden, dass die ganze Welt die Sprachregelung der US-Counter-Insurgency-Doctrine unkritisch übernimmt. Laut «Alternet», einer unabhängigen Internetplattform aus den USA, haben wir eines der klarsten Beispiele von Wahrheitsverdrehungen im Interesse des US-Militärs vor uns. Ohne die Erfindung einer Stadt und deren triumphale Eroberung hätte Präsident Obama die bisher größte und teuerste Offensive gegen die Taliban kaum rechtfertigen können. Die Frage ist nur, ob auch Obama so angelogen wurde wie die gesamte Weltöffentlichkeit. Eine «Stadt» musste her, schreibt Alternet, um die NATO-Offensive als historischen Wendepunkt im Afghanistan-Krieg zu hypen.

Marjah ist nichts als «a few clusters of farmers‘ homes amid a large agricultural area», zitiert Alternet einen Sprecher der International Security Assistance Force (ISAF) ein paar bäuerliche Weiler, würden wir sagen. Richard B Scott, der in dieser Region bis 2005 als Kanalisierungs- und Bewässerungsexperte der US Agency for International Development tätig war, sagte: «Hier gibt es nichts, das nur annähernd an Urbanität erinnert.» Marjah scheine in der amtlichen Liste der Verwaltungseinheiten nicht einmal als selbständiges Dorf auf.

Alternet recherchiert die Entstehungsgeschichte des Marjah-Fakes. Die Fiktion der «80.000-Einwohner-Stadt» hat ihre Premiere bei einem Briefing im Camp Leatherneck, einer US-Marine-Basis im Süden der Provinz Helmand, am 2 Februar dieses Jahres. Bis zu 1000 aufständische Taliban hätten sich in der Stadt Marjah verschanzt, in der 80.000 Menschen leben, publiziert The Associated Press. Nirgends ist ein Karl Kraus zur Stelle, um den Krieg gegen die Wahrheit sofort zu entlarven. «That language evoked an image of house-to-house urban street fighting», lese ich auf Alternet. Eine Sprachregelung wird entlarvt, die die Bilder der Schlacht um Stalingrad wachruft. Militärsprecher waren von oben verpflichtet worden, nie das Wort «Dorf» in den Mund zu nehmen, wenn von Marjah die Rede war. Ein US-Reporter erweist sich als ein wenig undiszipliniert und schreibt von «drei Märkten» in der Stadt, die eine Ausdehnung von rund 200 Quadratkilometern habe. Was die Fläche einer Stadt wie Washington DC überträfe.

General Stanley McChrystal, Kommandeur der ISAF, tritt offen für die Preparierung der öffentlichen Meinung im Vorfeld der Offensive gegen die Taliban-«Hochburg» ein. «This is all a war of perceptions», wird er zitiert. Ein Krieg um das Wahrnehmungsmonopol. Die Washington Post berichtet am 22. Februar 2010, dass hinter der Entscheidung, die Offensive gegen Marjah zu lancieren, von Anfang an der Plan stand, der amerikanischen Öffentlichkeit endlich die militärische Effektivität der US-Streitkräfte in Afghanistan vorzuführen. Für dieses Ziel musste ein triumphaler Sieg inszeniert werden. Marjah musste aufgeblasen werden. Man muss es schon mächtig aufblasen, um die Dimension von Grammatneusiedl zu erreichen. Das reicht aber zur Legitimierung der Militäroffensive nicht aus. Man muss eine Art von Klagenfurt erfinden. Erschöpfte, aber glückliche Streetfighter machen Picknick am Lindwurm; denn jetzt sind nur noch die restlichen Talibannester in den Bärentälern der Provinz auszuräuchern.

Und in der Hauptstadt der Nachbarprovinz: Kandahar. Das ist unanzweifelbar eine große Stadt. Die zweitgrößte Afghanistans. Das nächste Ziel der NATO-Offensive, wie man lesen kann. Mit 350.000 Einwohnern, verbürgt. Von hier brach Ende 1994 die Taliban-Bewegung zu ihrem Siegeszug aus. Wir werden sehen, wie unabhängig sich der österreichische Journalismus von der zu erwartenden Rechtfertigungskampagne des Pentagon machen kann. Eine militärische «Befreiung» der Stadt kann nur zu einer Tragödie für die Stadtbevölkerung führen. Diesbezüglich werden wir eher unseren Erfahrungen trauen als den vom Standard empfohlenen Kriegsverstehern vom «Institute for the Study of War».

Es erübrigt sich, von den ausgedünnten und zugrunde gesparten Redaktionen der Blätter des Wiener Bildungsbürgertums Antworten auf vom Oberkommando nicht vorgesehene Fragen zu erwarten. Etwa auf die Frage, ob die amerikanische Offensive in Südafghanistan weniger auf die Einführung westlicher Humanitätsstandards in dieser Gegend ziele als vielmehr auf die Herstellung einer amerikanischen Weltmacht-Präsenz gegenüber der VR China. Die Chinesen sind dabei, die an Helmand und Kandahar anschließende pakistanische Provinz Belutschistan ökonomisch zu infiltrieren. Die Chinesen dürfen keinen Schritt über den Helmand-Fluß setzen: Ist es das, was Obama will? Wissen die deutschen Soldaten, die dänischen, die afghanischen, wofür sie da instrumentalisiert werden?

Conclusio: Rettet den unabhängigen Journalismus! Augustiniert die österreichische Publizistik! Befreit Klagenfurt! Besetzt den Schießplatz, macht den größten Flohmarkt Niederösterreichs auf diesem Areal! Und holt die Jungs aus Afghanistan heraus!