Wer blockiert?tun & lassen

Illustration: Thomas Kriebaum

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Frau Anna ist mit großen finanziellen Problemen konfrontiert, die sie und ihre Kinder unter massiven existenziellen und psychischen Druck setzen. Am stärksten sind zurzeit ­Arbeitslose belastet, besonders bei Wohnkosten (40 Prozent) – das ist eine Zunahme um neun Prozentpunkte. Unter den Haushalten, die von ­Arbeitslosigkeit betroffen sind, ist ein Viertel in Zahlungsverzug.
Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Kocher weigert sich, das Arbeitslosengeld insgesamt anzuheben, zumindest an die Teuerung anzupassen, und damit den Werteverlust auszugleichen. Er blockiert eine sozial ausgewogene Reform der Arbeitslosenversicherung. Er blockiert seinen Beitrag zu Frau Annas Entlastung. In einem Großteil der ­Medien wird das so dargestellt: Kocher hat eine vernünftige Reform vorgelegt, die aber aus ideologischen Gründen blockiert wird. Schauen wir uns das genauer an.
Herr Harald kann mit dem kleinen Zuverdienst ­seine Schulden regeln, ohne Schuldenregelung findet er keinen Job wegen der Lohnpfändung. Kocher will ihm den Zuverdienst streichen. Wer blockiert den Neuanfang und die soziale Integration von Herrn Harald? Frau ­Jaqueline wohnt in einer betreuten Wohnung, ihr psychischer Zusammenbruch ist schon einige Monate her. In der Wäscherei hat sie einen kleinen ­Zuverdienst. Dieser hilft ihr, den Tag zu strukturieren, ­soziale Kontakte zu pflegen und selbst aktiv zu bleiben. Kocher will ihr den ­Zuverdienst streichen. Wer blockiert den Weg zu neuer Kraft und Selbstwirksamkeit von Frau Jaqueline?
Für Langzeitarbeitslose ist die Möglichkeit, Geld dazuzuverdienen, sozial- und arbeitsmarktpolitisch wichtig. Das sehen wir in der Schuldenberatung, wo 40 Prozent der Ratsuchenden arbeitslos sind. Für Menschen, die wegen einer schweren psychischen Erkrankung lange arbeitslos sind, ist der Zuverdienst für die persönliche Stärkung existenziell. Langzeitarbeitslose, die dazuverdienen können, bekommen auch rascher wieder einen vollwertigen Job. Das zeigt eine Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts. Eine Variante wäre, den Zuverdienst im ersten Jahr der Arbeitslosigkeit abzuschaffen, ihn aber dann für besonders verletzliche Gruppen und für Langzeitarbeitslose beizubehalten. Das Problem bleibt, dass diese Jobs keine guten, auch sozialversicherungsrechtlich abgesicherten Arbeitsplätze sind. Einige AMS in Österreich versuchen deshalb gleichzeitig Betriebe zu bewegen, daraus reguläre Anstellungen zu machen. Das sollte noch verstärkt werden.
Das bisher vorgestellte degressive, also ­absteigende Leistungsmodell des Ministers ist noch dazu eine Scheinerhöhung. Der Wirtschaftsminister wollte eine Geldsperre in den ersten Wochen der Arbeitslosigkeit. Rechnet man diese 10-Tages-Sperre mit ein, dann verlieren besonders Menschen mit geringem Arbeitslosengeld. Im ersten Monat sinkt das Arbeitslosengeld damit auf unter 50 Prozent Nettoersatzrate, über alle drei Monate gerechnet sind wir dann ehrlicherweise nicht bei 70 Prozent, sondern bei 60 Prozent des vorigen Gehalts. Das ganze Modell liefert falsche ­Anreize, Menschen mal zwischenzeitlich in die Arbeitslosigkeit zu schicken. Eine bloße Degression am Anfang verstärkt die Fehlentwicklung des «Zwischenparkens». Das kostet die Versicherung 500 Millionen Euro jährlich. Da braucht es Modelle wie «Experience Rating», also dass Unternehmen und Branchen, die fürs «Parken» bekannt sind, höhere Beiträge zahlen müssen. Apropos Ideologie. Oder besser: Interessen. Das wollte Minister Kocher nicht.