Üppiges Erbe?tun & lassen

Die Debatte um Steuern auf große Vermögen ist nicht zuletzt seit Inflation und Teuerung wieder am Laufen. Geben tut es in Österreich quasi keine, Umfragen zufolge wären eine Mehrheit aber durchaus für Vermögenssteuern.

TEXT: RUTH WEISMANN
ILLUSTRATION: KATI SZILÁGYI

Ja dürfen’s denn des? Die Debatte, ob der Staat quasi extra Geld von Reichen holen darf, ist nicht neu. Derartige Steuern gab und gibt es in vielen Ländern in unterschiedlichen Formen. Es geht dabei entweder um eine allgemeine Netto-Vermögenssteuer auf Geldvermögen, auf Sachwerte wie Immobilien, Autos usw. sowie auf Kapitalvermögen wie Aktien und Sparbücher. Erbschafts- und Schenkungssteuer, ­Finanztransaktionssteuer, Vermögenszuwachssteuer, Zweitwohnsitzsteuer und einige mehr zählt die OECD zu vermögensbezogenen Steuern. Oft wird allgemein aber einfach von Vermögenssteuern gesprochen.
In Österreich gibt es seit den 1990ern keine allgemeine Vermögenssteuer mehr, die Erbschafts- und Schenkungssteuer lief 2008 aus. Die Grundsteuer gibt es noch, deren Volumen ist aber gering. In Großbritannien macht sie rund vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Spanien und die Schweiz etwa haben Erbschafts-, Schenkungs- und Vermögenssteuern. Österreich liegt in OECD-Rankings des vermögensbezogenen Anteils am Steuer- und Abgabenvolumen weit unterm Durchschnitt, die Arbeiterkammer (AK) stellt fest: Gerade mal 1,3 Prozent macht dieser Anteil in Österreich aus, in Großbritannien etwa sind es 13 Prozent.
Umfragen ergeben stets, dass die Mehrheit der in Österreich lebenden Personen Vermögenssteuern und vermögensbezogene Steuern begrüßen würden. Und spätestens seit die zukünftige Millionenerbin Marlene Engelhorn (siehe Interview S. 8) mit der Forderung «Besteuert mich!» an die Öffentlichkeit trat, hat die Diskussion wieder an Fahrt aufgenommen. Im Frühling machte auch Sozialminister Johannes Rauch in einem Interview mit dem Magazin Profil einen Vorstoß und ließ verlauten, dass jetzt der richtige Zeitpunkt sei, um über Vermögenssteuern zu debattieren.

Mittelschicht?

Eine Studie der Johannes-Kepler-Universität Linz (JKU) von 2020 kommt zu dem Schluss, dass das gesamte Netto-Vermögen der privaten Haushalte in Österreich 1.249 Milliarden Euro beträgt. Rund 488 ­Milliarden davon gehören dem reichsten ein Prozent – das entspricht einem Besitzanteil von rund 39 Prozent und im Schnitt 12,5 Millionen Euro pro Haushalt. Die 90-prozentige Bevölkerungsmehrheit kommt gemeinsam nur auf 34,2 Prozent des Gesamtvermögens.
Wie ist das möglich in einem Land, in dem doch eh alle Mittelschicht sind? So nämlich geht die «populäre Erzählung» über Österreich, wie es die Soziologin Julia Hofmann formuliert. «Man hatte lange das Bild, dass Österreich eine Gesellschaft der Mitte sei. Das stimmt für die Vermögensverteilung so aber nicht.» Hofmann forscht bei der Arbeiterkammer (AK) zu sozialer Ungleichheit und Verteilungsfragen, und hat sich viel mit den Zahlen zu Reichtum und Armut beschäftigt. Das Bild der österreichischen Mittelklassegesellschaft habe sich so lange halten können, weil meist nur auf die Einkommen geschaut wurde und es wenig Transparenz über die Vermögensverteilung gebe. Es sei stets schwierig gewesen, an Daten zu kommen, erklärt sie.
Wie kommt die Forschung also zu den oben genannten Zahlen? Nach der Finanzkrise hat die Europäische Zentralbank den Household Finance and Consumption Survey (HFCS) eingeführt, eine Erhebung zu Finanzen und Konsum der privaten Haushalte. Dafür wird eine Stichprobe von 6.000 Personen über ihre Vermögensverhältnisse befragt. Die Daten, die sich daraus ergeben, seien zwar gut, sagt Hofmann, aber: «Es sind eben Daten aus Stichproben, es ist keine Vollerhebung. Aus mehreren Gründen führt das dazu, dass sehr vermögende Personen nicht so stark dabei sind. Eines der Probleme ist, dass Leute weiter oben gar nicht mitmachen möchten, weil sie sagen, das geht den Staat nichts an.»

Einkommen und Vermögen.

Das würde dazu führen, dass das Gesamtvermögen der privaten Haushalte vom HFCS unterschätzt werde. Die JKU-Studie bezieht ihre Zahlen zur Vermögensverteilung aus den Daten des HFCS und dem jährlichen Ranking des Magazins Trend über die 100 reichsten Österreicher:innen. Da zeigt sich, dass Vermögen in Österreich sehr ungleich verteilt ist. Das illustriert auch der vermögensbezogene Gini-Index, ein statistisches Maß zur Darstellung von Ungleichverteilung. Für Österreich lag dieser 2020 geschätzt bei 73,5 Punkten. Ein Wert von 0 bedeutet absolute Gleichheit, ein Wert von 100 Ungleichheit. Bei den Einkommen schneidet Österreich im internationalen Vergleich viel besser ab, der Gini-Index 2020 hat hier 27 Punkte.
Einkommen und Vermögen sind unterschiedliche Konzepte, erklärt die Sozialpolitikexpertin Karin Heitzmann, die das Forschungsinstitut Economics of Inequality an der Wirtschaftsuniversität Wien leitet. Dass Einkommen so anders verteilt ist als Vermögen, habe unterschiedliche Gründe, sagt sie. «Einer ist nicht zuletzt der Sozialstaat, durch den es nicht so notwendig ist, anzusparen für die Pension, weil wir ein Pensionsversicherungssystem haben. Es ist nicht so notwendig, sich ein Eigenheim zu schaffen, weil es viel sozialen Wohnbau gibt, und so weiter. Fakt ist: Österreich und Deutschland sind die zwei führenden Staaten in der Vermögensungleichverteilung in Europa.»
«Bei Einkommen greift der Staat steuernd ein: Das oberste Zehntel hat vor der Umverteilung beispielsweise einen Anteil von rund 27 Prozent am Gesamteinkommen und nach der Umverteilung sind es circa 19 Prozent», sagt Julia Hofmann. Es gibt aber, so die Expertin, noch einen anderen triftigen Grund für die ungleiche Verteilung von Vermögen: «Die Ausgangsbedingungen sind schon ungleich.» Das führt zu der Frage, woher die großen Vermögen eigentlich kommen. «Die Geschichte, dass die Ungleichverteilung mit Leistung zu tun hat, ist nicht aufrechtzuerhalten» sagt Karin Heitzmann. «Ein großer Teil des Vermögens ist vererbt.»

Erben.

Eine Studie der OeNB über die Rolle von Einkommen, Erbe und den Wohlfahrtsstaat in europäischen Ländern von 2015 untermauert diese Aussage. «Als zentrale Botschaft zeigt die Studie, dass die relative Position der privaten Haushalte in der Vermögensverteilung in allen Ländern des Euroraums besonders durch das Erben bestimmt wird», schreibt die OenB zur Erklärung auf ihrer Homepage. Und weiter: «Zur Veranschaulichung: Eine Erbschaft in Österreich bedeutet im Durchschnitt hinsichtlich der Position in der Vermögensverteilung dasselbe wie ein Einkommenssprung über mehr als die Hälfte aller Haushalte in Österreich. Dies demonstriert eindrucksvoll das unterschiedliche Potenzial von Sparen und Erben auf die Stellung in der Vermögensverteilung in Österreich.»
Aber selbst ohne Erbe: Auch die Arbeit sei ungleich verteilt, betont Expertin Hofmann. «Es gibt Leute, die viel Geld verdienen und auch die Chance haben, viel Geld zu verdienen. Und das hängt auch damit zusammen, aus welcher Familie sie kommen, welche Ausbildung sie machen konnten. Die soziale Herkunft spielt eine massive Rolle.» Wer Vermögen hat – ob geerbt oder erarbeitet – kann dadurch außerdem Zusatzeinkommen schaffen. Dazu gehört nicht nur die Möglichkeit, überhaupt etwas zu sparen, sondern auch der Erwerb von Aktien, Unternehmensanteilen sowie Immobilien, die man vermieten kann.
Eine Frage, die sich eine Gesellschaft stellen muss, ist: Wie finanzieren wir sozialstaatliche Leistungen, und damit auch Maßnahmen zur Armutsbekämpfung? Und: Wer finanziert das? «Wir finanzieren sehr stark über die Einkommen, und gar nicht über die Vermögen, obwohl die sehr ungleich verteilt sind», merkt Karin Heitzmann an. «Da müsste man sich eher aus dem Gedanken der Fairness, der Gerechtigkeit und des sozialen Friedens überlegen, dass man da gegensteuert.»

Steuern für den Staat.

Trotz der Umfrageergebnisse zum Thema Vermögenssteuern gibt es etwas, was viele nicht wollen: selbst davon betroffen sein. «Es ist immer die Frage nach der konkreten Ausgestaltung», sagt Julia Hofmann dazu. «Es gibt ja mehrere Modelle, ab einer Million zum Beispiel trifft man die Mitte nicht.» Denn nur rund vier Prozent der Haushalte in Österreich besitzen Vermögen ab einer Million Euro. Mit einer Besteuerung von 0,3 Prozent ab einer Million und 0,7 Prozent ab zwei Millionen Euro – angenommene Ausweicheffekte miteingerechnet – könnten 2,7 Milliarden Euro an vermögensbezogenen Steuern pro Jahr lukriert werden, rechnet die AK vor. Bei einer geringfügig höheren Besteuerung ab einer Million Euro Vermögen wären es sogar 5,7 Milliarden. Je nach Modell könnte der Staat bis zu 8 Milliarden Euro aus vermögensbezogenen Steuern reinholen. Eine Zweckwidmung würde etwa einen wesentlichen Beitrag zur langfristigen Finanzierung des Sozialstaates leisten. «Fünf Milliarden geben wir momentan für Pflege aus, das könnte man damit gut finanzieren. Krisen sind das eine, aber wir können ja auch längerfristig denken», meint Julia Hofmann.
Gegner:innen von Vermögenssteuern oder vermögensbezogenen Steuern führen gerne an, dass Einkommen bereits besteuert sei. Julia Hofmann verweist darauf, dass Doppelbesteuerung ein normaler Prozess im Wirtschaftskreislauf ist, Stichwort Mehrwertsteuer. «Für eine gerechtere Gesellschaft sollte das nicht das Problem sein.» Ein weiteres Argument von Skeptiker:innen: Reiche Unternehmer:innen, würden alle abwandern, wenn es vermögensbezogene Steuern gäbe. Doch selbst bei hohen sogenannten Ausweicheffekten kommt laut Berechnungen der JKU-Studie noch immer ein erhebliches Steueraufkommen zustande. Außerdem, betont Hofmann, würden von einem gut funktionierenden Staat alle profitieren, auch Unternehmer:innen. Langfristig würde es vor allem darum gehen, dass jede Person ihren gerechten Beitrag zur Solidargemeinschaft beitrage: «Steuern finanzieren den Sozialstaat.»

4. Reichtumskonferenz
Die Reichtumskonferenz diskutiert die gesellschaftlichen Folgen einer hohen Vermögenskonzentration und will Lösungen erarbeiten. Mit Karin Heitzmann, Marlene Engelhorn u. a.

Wann: 17. Oktober
Wo: Wirtschaftsuniversität Wien,
Learning Center, 2. Welthandelsplatz 1
Anmeldung bis 1. Oktober via Homepage. Rückfragen unter office@armutskonferenz.at

Vorprogramm: 16. Okt., 14–16.30 Uhr: ­Führungen durchs reiche und arme Wien

www.armutskonferenz.at/reichtumskonferenz-2022

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