Über Probleme und Versäumnisse beim Entwerfen progressiver Weltbilder
Das Aufstiegsnarrativ der 1970er-Jahre funktioniert nicht mehr. Die vorherrschenden Erzählungen unserer Zeit setzen dagegen auf Angst. Gregor Stadlober hat sich auf die Suche nach einem fortschrittlichen Erzählentwurf gemacht und dabei einiges über das Wesen und die Funktionsweise von Framing zu Tage gefördert.
Illustration: Karl Berger
«Ich modernisiere Österreich und alle werden ein besseres Leben haben.» So in etwa lautete im Kern die Erzählung, mit der Bruno Kreisky weite Teile der Bevölkerung dazu brachte, «ein Stück des Weges» mit ihm zu gehen. Er versprach damit eine Art Gleichheit ohne Umsturz, eine Modernisierung, die eine handfeste Verbesserung der Lebensumstände verhieß, und nicht zuletzt, dass auf dem Weg ein starker Mann das paternalistisch geprägte Land mit sicherer Hand und sonorer Stimme führen würde. Diese Art Modernisierungs- und Aufstiegsnarrativ funktioniert schon länger nicht mehr. Die Menschen haben ihre Zuversicht verloren, und die Sozialdemokratie hat viele Anhänger_innen am Rand des «dritten Weges» liegen lassen. Nicht zuletzt deshalb, weil sie, wie Didier Eribon in seinem Bestseller Rückkehr nach Reims konstatiert, nicht mehr die Sprache der Regierten, sondern die der Regierenden sprach. Am Wegesrand haben, gewappnet mit einer maßgeschneiderten Sprache und «alternativen» Medien als Verstärker, stattdessen die rechten Parteien gewartet und die Verlorenen eingesammelt. Dabei wurde unter anderem auf Framing gesetzt, eine Technik, die von der kognitionswissenschaftlichen Erkenntnis ausgeht, dass Menschen viel stärker durch die Assoziationen beeinflusst werden, die ein Wort in ihnen auslöst, als vom Inhalt, der mit diesem Wort formuliert wird. Demzufolge können die besten Argumente kontraproduktiv sein, wenn man sie in der Sprache des politischen Gegners sagt. Begriffe wie «Flüchtlingswelle» oder «Integrationsverweigerung» werden, erst einmal ausgesprochen, kaum eine empathische Haltung gegenüber Geflüchteten stärken.
Wenn ein Thema immer nur mit demselben Vokabular diskutiert wird, verkümmert mit der sprachlichen auch die gedankliche Pluralität. Die ist aber Voraussetzung dafür, fremde Ansichten überhaupt verstehen zu können – und damit eine Grundbedingung für demokratische Prozesse. Deshalb sind die entmischten Blasen, in die sich gegenwärtig die öffentliche Diskussion verflüchtigt, so bedrohlich.
Was und Wie oder Warum?
Um diese Blasen anzustechen, bedarf es starker eigener Narrative. Die brauchen keine Erklärungen und keine Argumente, bloß eine von klaren Werthaltungen geprägte Erzählung, mit der sich das Weltgeschehen in einen widerspruchsfreien Gesamtzusammenhang einordnen lässt. «Zentral wäre, dass eine Story mit entsprechenden Metaphern, Bildern und Frames feststeht», erklärt Sozialforscher und SORA-Leiter Christoph Hofinger, «denn ein Kernnarrativ ist es, was die Menschen letztlich wahrnehmen. Die programmatischen Forderungen sind nicht unwichtig, aber ein zweiter Schritt. Das wird oft verwechselt.» Eine Wahl gewinnt demnach, wer seine Moral in eine verständliche und kohärente Sprache fasst. Anders gesagt: Die gern in die Mottenkiste des 20. Jahrhunderts verwiesenen Ideologien sind gar nicht obsolet, im Gegenteil – wenn eine Partei es nicht schafft, ihre Weltsicht zu verdeutlichen, zieht sie sich selbst den Boden unter den Füßen weg. Georg Brockmeyer, der Kommunikationsleiter der SPÖ, sieht dieses Problem in seiner Partei. Seiner Meinung nach hat es viel damit zu tun, dass die SPÖ durch lange Regierungstätigkeit verlernt habe, das Warum zu erklären statt nur das Wie und das Was. Statt Zahlen und Fakten aufzuzählen, müsse man viel öfter sagen: «Weil wir finden, dass jeder Mensch das Recht hat, eine Wohnung zu haben, in der es nicht schimmelt, in der genug Licht ist und die er sich trotzdem leisten kann – deshalb bauen wir.»
Ordnung. Natürlich verkauft sich eine Verbesserung in der Bauordnung trotzdem schwerer als das Fernhalten von Geflüchteten aus dem Gemeindebau. So wie es leichter ist, eine Grenze zu schließen, als Fluchtursachen zu bekämpfen. Das Asylthema hat den linken Parteien aber auch deshalb geschadet, weil sie, so Christoph Hofinger, unterschätzt hätten, dass sich auch liberale und linke Menschen eine Ordnung wünschen. «Also entweder ich überlasse das den Rechten, dann kriege ich es mit Hierarchie und Xenophobie zu tun, oder ich formuliere eine progressive Ordnung, die auch Zuversicht erzeugt.»
Peter Steyrer, Mitarbeiter des Grünen Bundessprechers Werner Kogler, ist sich dieser Notwendigkeit bewusst. Es stimme, dass seine Partei hierfür Klarheit sorgen müsse: «Wir sollen schon der Anwalt der Menschenrechte sein, aber wir müssen auch zum Ausdruck bringen, dass Menschenrechte ein Faktor für Ordnungspolitik sind, mit nachvollziehbaren Regeln. Wenn wir das nicht schaffen, dann werden die Leute nur hören: ’offene Grenzen’.»
Baustellen.
Zum Image der «Willkommensklatscher» kommt bei den Grünen noch jenes einer oberlehrerhaften, dem «Genderwahn» verfallenen Bobo-Partie. Sie kriegen damit einen Gutteil der Ressentiments gegen kulturelle Eliten ab, die aus der Entfremdung zwischen (links)liberaler Mittelschicht und Arbeiterschaft entstanden sind. Die grüne Paradoxie, eine Politik vor allem für jene Menschen zu vertreten, mit denen man sich am wenigsten versteht, muss aufgelöst werden, sagt Steyrer, «wenn man tatsächlich mehrheitsfähig werden will, dann muss man auch eine massentaugliche Sprache sprechen und darf nicht mehr in diesen engen Zielgruppen denken; da müssen wir auch zu den einfachen Leuten durchkommen.»
«Mein Eindruck ist», sagt Christoph Hofinger, «dass das sprachliche Haus links der Mitte eine Baustelle ist, dass daran gearbeitet wird, aber es noch einige Zeit bis zur Fertigstellung dauert.» Er sieht drei Herausforderungen für linke Parteien: Erstens die Internationalisierung der Erzählung; zweitens, dass es angesichts der brüchig gewordenen Wohlstandserzählung noch immer nicht geschafft worden ist, die darunterliegenden Krisen richtig zu erklären; und drittens die Inklusion der Migration in die Erzählung. Nachdem dieser Bereich seit Jahrzehnten in FPÖ-Frames diskutiert worden sei, müsse man allerdings zuerst progressive Werthaltungen wieder stärken und die Ambivalenz zurück in die Köpfe bringen, ehe man fortschrittliche Politik formulieren könne.
Die große Chance.
Es scheint ein Dilemma linker Parteien und Bewegungen zu sein, dass sie die Probleme von den Strukturen und Ursachen her denken und daher eine gewisse Hemmung haben, mit simplifizierenden Darstellungen hausieren zu gehen. Lisa Mittendrein, Referentin für Finanzpolitik bei Attac, hält diese «Alles-ist-sehr-kompliziert»-Haltung vieler Linker allerdings für eine Ausrede: «Es gibt viele Zusammenhänge, die sind gar nicht kompliziert. Die Tatsache, dass Reiche und Konzerne Milliarden außer Landes schaffen und wir deswegen hier weniger Sozialleistungen bekommen – das ist kein komplizierter Zusammenhang.»
Grüne und SPÖ befinden sich in einer Phase der Neuorientierung. Die Grünen, sagt Peter Steyrer, seien noch damit beschäftigt, ihren Hinterhof neu zu ordnen, um wieder nach außen kampffähig zu werden. Ähnliches gilt für die SPÖ. Die gibt sich gerade ein neues Programm und betreibt laut Georg Brockmeyer eine groß angelegte qualitative Grundlagenforschung, auf deren Basis ein Narrativ entwickelt werden soll. Auf die Ergebnisse wartet Lisa Mittendrein skeptisch: «Wenn man in parteinahe Kontexte kommt, dann erzählen einem plötzlich alle, ’die Partei braucht jetzt ein neues Narrativ, ein besseres Framing’. Die Probleme liegen aber doch viel tiefer. Es ist nicht klar, wofür diese Parteien stehen, wohin sie wollen, was es bringt, sie zu wählen. Da hilft das beste Framing nicht.»
Mittendrein sieht gerade jetzt die große Chance, eine radikales Narrativ voller Zuversicht in die von düsteren Fantasien bestimmte Welt zu stellen: «Die Probleme, vor denen die Welt steht, sind so fundamental, dass die kleinen Antworten dem überhaupt nicht mehr gerecht werden. Indem wir an kleinen Schrauben drehen, werden wir die Herausforderungen der Klimakrise, von Krieg und Flucht, von Digitalisierung und autoritärer Politik nicht bewältigen. Ich halte es auch politisch und taktisch für falsch zu sagen: ’Na ja, eigentlich braucht es einen Systemwechsel, aber jetzt einmal fordert man nur das Kleine.’ Das funktioniert nicht mehr, weder real, weil es keinen ausreichenden Unterschied macht, noch diskursiv, weil einem das die Leute eh nicht mehr glauben.» Was auch immer man den rechten Erzählungen entgegenstellt, es sollte jedenfalls bald geschehen, denn eine Erkenntnis liegt unbestritten auf dem Tisch: Je länger man die Schlange anstarrt, desto gefährlicher wird sie.