Sachbuch
«Wie viele Generationen wollen wir denn noch verschwenden?», fragt Melisa Erkurt und analysiert Sprachlosigkeit, verbunden mit fehlenden Vorbildern, als typisch österreichische Begleiterscheinung eines sichtbaren Migrationshintergrundes. Die Journalistin und Deutschlehrerin hat der Assimilation abgeschworen. Sie benennt rassistische Strukturen als solche, kritisiert ein Bildungssystem, das sich auf überforderte Eltern verlasse, und deckt Doppelmoral auf, die ihr im Lehrerzimmer, unter ORF-Kolleg_innen und in öffentlichen Debatten begegnet.
Erkurts erstes Buch Generation haram hat neben vielen Stärken drei formale Schwächen: Erstens ist es schlampig lektoriert. Zweitens fordert die Autorin für die Verlierer_innen des Systems eine Stimme ein – und lässt dabei zu oft andere über sie sprechen. Drittens verlassen sich konkrete Forderungen auf verallgemeinernde Beobachtungen über «die Mehrheitsgesellschaft» oder ignorante «Bobo-Eltern».
Was sich nach journalistischen Kriterien als Aktionismus bezeichnen lässt, nennt Erkurt selbst «hart und ehrlich». Die Autorin regt nicht an, was vielleicht unter Umständen durchaus anzudenken wäre – Erkurt sagt an. Möge ganz Österreich ihr zuhören.
Melisa Erkurt:
Generation haram. Warum Schule
lernen muss, allen eine Stimme zu geben
Zsolnay 2020
192 Seiten, 20 Euro