Widerstand und PoesieArtistin

Mit «Tear Drop» hat Sängerin Golnar Shahyar ihr erstes Solo-Album veröffentlicht – nach zahlreichen Alben gemeinsam mit Bandprojekten in Wien. Im Interview spricht die gebürtige Iranerin über Musik als persönlichen Ausdruck, ihren Aktivismus für Diversität und über die Revolution im Iran.

INTERVIEW: RUTH WEISMANN

Golnar Shahyar ist gerade vielbeschäftigt. Ende November hat sie «Tear Drop» in Wien präsentiert, kurz darauf war die Premiere einer Oper in Berlin, in der sie die Hauptrolle sang. Die Musik, die sie seit rund fünfzehn Jahren in unterschiedlichen Konstellationen macht, ist mal mehr poppig, mal mehr jazzig, mal elaborierte Kunstmusik, mal chansonlastig, oder alles zusammen. Für ihr Improvisationstalent ist sie berühmt, und ­dafür, Nuancen ihrer vielfältigen kulturellen Erfahrungen einzubringen, in Bands wie Choub, Gabbeh oder dem Golnar & ­Mahan Trio. Als GolNar ist sie musikalisch Solo unterwegs, bekannt ist sie auch als Diversitäts-Aktivistin der österreichischen Musikszene. Für das Interview haben wir Shahyar am Telefon erreicht.

«‹Tear Drop› ist die Blüte meiner ­Reise als Frau, als migrantische Frau, von ­einem Hintergrund kommend, der ihr nicht erlaubte, von Freiheit zu träumen.»* So beginnt das starke Statement, das Sie zum Album geschrieben haben. Was bedeutet diese Reise für Sie?
Es verweist auf meine Reise aus dem Iran. Aber natürlich auch darauf, eine migrantische Frau in Österreich zu sein. Ich habe sehr viele Herausforderungen erlebt in Hinblick darauf, voll und ganz ich selbst zu sein, sowie auch, dass mein Umfeld das annimmt, ohne seine Vorurteile zu spiegeln. Es ist meine Reise und die Reise von Generationen, um dieses Gefühl von Freiheit zu kämpfen, das im Iran weggenommen wurde, und es hier im Westen zu suchen. Jetzt hat allerdings die Revolution im Iran viele Dinge für mich verändert. Mein Fokus auf den Iran ist noch viel stärker. So als ob sich jetzt etwas für mich aufgetan hätte.

Sie informieren viel über die ­derzeitige Situation im Iran via ihrer Social-­Media-Kanäle. Wie gehen Sie persönlich damit um?
Natürlich hat die Situation in Iran mich immer sehr beschäftigt und ­betroffen. Diese Situation war der Grund, ­warum ich das Land verließ. Es ist derzeit eine schwere Zeit für mich, aber nicht nur für mich, sondern für ­viele Menschen, die sich dazu entschlossen haben, ihr Augenmerk darauf zu richten. Viele entscheiden sich auch, das nicht zu tun, weil es zu schmerzhaft ist, oder sie sagen, es bringt ohnehin nichts. Es ist für mich interessant, diese Situation damit zu verknüpfen, was ich in den letzten Jahren in Österreich gemacht habe. Alles, was ich im Iran gelernt habe, habe ich hier angewandt. Jetzt, wo ich diese feministische Revolution im Iran sehe, wird mir alles noch klarer. Was auch immer ich getan habe oder die Leute meiner ­Generation getan haben, es war nicht umsonst.

Wie würden Sie diese feministische Bewe­gung beschreiben?
Sie ist sehr inklusiv, aus der intersektionalen Perspektive. Eine Art von feministischer Bewegung, die viel Empathie und viel Stärke gleichzeitig in sich trägt. Die Kultur im Iran ist sehr empathisch, sich umeinander kümmern ist wichtig für Leute. Nicht dass es das hier nicht gibt, aber ich habe das Gefühl, dass es dort stärker ist. Diese Haltung, kombiniert mit Frauen, die es nun wagen, ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen, ergibt eine sehr interessante Form von Widerstand.

Wenn Sie sagen «was ich in den letzten Jahren in Österreich gemacht habe»: Meinen Sie damit Ihren Aktivismus? Sie setzen sich ja stark dafür ein, dass Musiker:innen mit Migrationsgeschichte mehr gehört werden und zeigen Leerstellen auf, die das österreichische System produziert, indem auch Musikstile exotisiert werden.
Ja, ich meine den Aktivismus, aber auch diesen sehr starken Wunsch, auszudrücken, wer ich wirklich bin; mit meiner Musik und dem Leben als Musikerin, das ich gewählt habe. Ich habe noch nirgendwo den Platz gefunden, wo ich hingehöre. Nicht im Iran und nicht hier. Aber dieser Ort, diese Mentalität entwickelt sich nun im Iran, und in allem, was ich im Westen gemacht habe. Es fügt sich zusammen.

Generell scheinen für Sie Musik, ­Gefühl und Engagement zusammenzu­gehören. Zum Beispiel setzen Sie auf «Tear Drop» den Kell ein. Eine Technik des Schreis, der traditionell von Frauen im Iran verwendet wird. Wofür steht er?
Ja, es ist sehr interessant, dass nur Frauen das tun. Der Kell ist eine Art, extrem intensive Gefühle auszudrücken und wirkt sehr empowernd. Er ist sehr direkt und wird zum Beispiel eingesetzt, um eine:n Tote:n zu betrauern, aber auch bei Festen, etwa Hochzeiten. Ich versuche mit meinem musikalischen Vokabular immer inklusiv zu sein und viele ­Aspekte von dem, was ich gelernt, gesehen und gehört habe, einzubringen. ­Meine Ästhetik ist nicht von der eurozentrischen Vision definiert, Schönheit gibt es in so vielen Formen. Es ist für mich auch ein Weg, die dominante Kultur herauszufordern, die so wenig von anderen Kulturen versteht. Das habe ich immer mit Musik versucht, aber es ist nicht genug, man muss auch darüber sprechen können, damit die Leute verstehen, was passiert.

Ist das auch der Grund, warum Sie in verschiedenen Sprachen singen?
Dieses Album ist zweisprachig, Farsi und Englisch. Ich habe mich entschlossen, mehr Englisch zu singen, da ich schon so viele Alben auf ­Farsi gemacht habe. Weil es für mich nicht möglich ist, im Iran oder einem anderen Land, dessen Sprache Farsi ist, zu performen, fand ich es auch immer etwas ­schade, dass so viele Leute nicht verstehen, was ich singe. Ich habe eine gute Verbindung zur englischen Sprache, ich kann mich darin authentisch ausdrücken. Allerdings: In vielen der Songs geht es um Widerstand und um ­Resilienz. ­Darum, mit Schwierigkeiten umzugehen und aus ihnen herauszukommen. Es geht um Gesellschaft, ums Gemeinsamsein. Im Song «Tear Drop», geht es um den Moment, wo man sich so tief mit einer Person oder einer Situation verbunden fühlt, dass es all deine Wände einstürzen lässt. Es geht um die Kraft, die wir brauchen, um weiterzumachen.
Wegen der Situation in Iran denke ich nun, dass das Album vielleicht doch komplett in Farsi nötig gewesen wäre, für die Leute dort. Denn Musik kann so viel ­Power geben.

In Berlin sangen Sie gerade in einer Oper – auf Französisch.
Es war sehr interessant, ich habe ­bemerkt, dass ich Schauspielen und Singen sehr gerne mag. Es gab viele Paral­lelen zu meiner eigenen Geschichte, die Story spielt in Teheran, es geht um eine Sängerin, alles ist sehr tragisch. Als die Proben begannen, begann auch die Revolution. Ich habe mich also onstage und offstage mit denselben Sachen beschäftigt.
Die andere Herausforderung war – und das betrifft etwas, was ich seit langem sage: Kulturelle Praktiken müssen diverser werden. Die Geschichten müssen gemeinsam mit Leuten erzählt werden, deren Geschichten wir erzählen. Diese Produktion hatte nicht so ­viele Leute, die wirklich die Komplexität der Kultur verstanden. Ich habe mich ein bisschen alleine gefühlt. Aber generell gesprochen war es eine wirklich gute ­Sache, denn um das Repertoire von subventionierten Häusern zu diversifizieren, brauchen wir mehr zeitgenössische Geschichten, neue Musik, neue Leute, das ging schon in die richtige Richtung.

Auf «Tear Drop» haben Sie (fast) alles selber gemacht: komponieren, ­mehrere Instrumente spielen, singen. Sind Sie ein Multitasking-Profi?
Viele Musiker:innen tun das. Es ist das Ergebnis eines jahrelangen Prozesses, um professionell zu werden. Wenn man dann Leute engagiert mitzuspielen, erwarten die auch, dass man weiß, was man tut. Als Bandleader:in muss man so viele verschiedene Sachen lernen, nicht nur über Musik. Auch wie man mit Gruppendynamiken umgeht, Dinge organisieren und so weiter.

Ein Song heißt «Ode to Trust»: Was ­bedeutet Vertrauen für Sie?
Es ist das Gefühl, das man braucht, um durchs Leben zu gehen. Vertrauen in ­deine Stärke, in dein Wissen, in das Wissen deines Körpers. Vertrauen ist alles. 

Golnar Shahyar: Tear Drop
Klaeng Records 2022
www.golnarshahyar.com

Foto: Ina Aydogan

*Original in Englisch: «‹Tear Drop› is the bloom of my journey as a woman, a migrant woman, coming from a background that did not allow her to dream of freedom.»