Wie die Nachfrage der Heiratsfähigen nach Sandra Selimovic versiegte…Artistin

... und die Nachfrage der Bühnen anschwoll

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Mich interessiert nur Theater, das keine Guckkastenbühne braucht und wo die Grenzen zwischen dem Verhalten des Publikums und den Aktionen auf der Bühne undeutlich werden, sagt Erwin Kisser, Autor der Burgenländischen Hochzeit. Geht dein Konzept auf? fragen wir skeptisch. Und wie, antwortet Kisser. Fragt doch Sandra Selimovic. Sie spielt die Braut. Und weil man im Burgenland die Bräute zu entführen pflegt, geschah es…

Bei den Proben im kroatischen Dorf Veliki Boritof / Großwarasdorf im Mittelburgenland zirkulieren die Ideen eines großen Italieners und eines im Weltmaßstab kopierten Brasilianers im Raum, zumindest in den Theatermacherköpfen. Dario Fo hat vorgemacht, wie gesellschaftliche Zustände mit den populärsten Mitteln der Unterhaltsamkeit entlarvt werden können, und Augusto Boal fand, dass Theater überall stattfinden könne und dass die klassische Form der Trennung von Bühne und Publikum aufzuheben sei. Fo plus Boal plus Burgenlandmythos der vier sich zusammen streitenden Volksgruppen plus üppig Musik der Roma und Kroaten, so lautet die Erfolgsformel von Kisser und Regisseur Peter W. Hochegger. Sechs Jahre sind seit der Uraufführung vergangen; die Neuproduktion ihres Volksstücks Eine burgenländische Hochzeit ist von 19. August bis 6. Oktober im kroatischen Kulturzentrum KUGA zu sehen.

Wer die ersten Aufführungsserien der Jahre 2001 und 2002 versäumt hat, die in mehr als 40 verschiedenen Orten zumeist in deren Wirtshäusern gezeigt wurden, hat nun (die letzte? Das kann nicht sein!) Gelegenheit, in die inszenierte Hochzeitsfeier einzutauchen, die turbulent ist, weil es eben krachen muss, wenn Ungarn, Roma, Kroaten und Deutschsprachige ihre jeweiligen Ressentiments in die Familie einbringen. Jedoch: Man rauft sich irgendwie zusammen. Burgenland funktioniere wie unsere Theaterfamilie, meint Erwin Kisser.

Der Vorwurf, sein Stück zeichne die Situation zu idyllisch, ist Kisser nicht fremd: Dass dieses Modell nicht unhierarchisch ist und dass die Roma an der untersten Stufe dieser Hierarchie stehen, wird nicht verschwiegen. Dass Roma-Jugendliche manchmal nicht in Discos dürfen, weil sie Roma sind, kommt im Stück vor. Wir spielen nicht zufällig in der KUGA, einem Zentrum des neuen kroatischen Selbstbewusstseins einer der sprachlichen Minderheiten. Es gibt auch unter den Roma ein neues Selbstbewusstsein, das hängt mit der Entwicklung von Romanes als Unterrichtssprache zusammen. Was wirklich verloren gegangen ist, ist die Musikkultur der Roma. Die Hans Samer-Band, die mitspielt, ist eine Ausnahme. Den Vorwurf der Idylle verdient, wenn du willst, der Operettenschluss: allgemeine Versöhnung. Das kann als Moment der Verkitschung kritisiert werden, aber ich glaube, dass das Stück gerade durch seine Fröhlichkeit einen Beitrag leistet, das Selbstbewusstsein von Minoritäts-Angehörigen zu fördern, vor allem unter den Roma, kontert der Autor Happy-End-Verachtern.

Die Entführung der Braut aus dem Stück

Vor allem unter den Roma. Wenn dieses gelingt, so wäre dafür in erster Linie der Darstellerin der Braut zu danken, der 26jährigen Sandra Selimovic, geboren in Serbien, wohnhaft in Wien. Die Vorstellung, die üppig ausgestrahlte Souveränität der Romni-Künstlerin könne gar nicht anders als einen Schuss Selbstbewusstsein ins potenzielle Roma-Publikum zu injizieren, fällt nicht schwer. Wir müssen uns jetzt ohnehin dieser Frau zuwenden, denn der Autor hatte uns ja empfohlen, Sandra Selimovic nach ihrem Erlebnis der Brautentführung zu fragen.

Ein Dorf im Burgenland, Spielserie 2001/2002. Die Gäste der fiktiven Hochzeit fühlen sich eben wie in ein wirkliches Hochzeitsfest versetzt, und ein solches kulminiert nach burgenländischer Sitte in der Entführung der Braut.

Sandra Selimovic erzählt die Geschichte ausführlicher: Die Eingriffe des Publikums sind in einem gewissen Rahmen erwünscht. Es wäre blöd, wenn sie dazu führten, dass im Ensemble absolute Planlosigkeit und Irritation ausbricht. Zwischenrufe aus dem Publikum fordern uns, verlangen uns Spontaneität und Improvisationsbereitschaft ab. Ich kann mich nicht mehr erinnern, in welchem Dorf ich entführt wurde. Für mich war dieser bisher radikalste Eingriff des Publikums in das Stück zweideutig. Es war Pause angesagt. Ich musste auf die Toilette. Beim Rauskommen standen zwei lachende Männer im Weg. Sie haben mich hochgehoben und in ein Auto gesteckt. Ich hatte keine Ahnung, was mir passiert und wohin sie mich fahren, die Angst hielt sich aber in Grenzen, weil die Männer korrekt waren. Das ist halt bei uns so, erklärten sie mir. Du bist, als Braut, entführt worden, wie es sich gehört, und du musst von deinem Bräutigam freigekauft werden, das ist so bei uns. Sie brachten mich in ein Wirtshaus, wo wir relativ viel tranken. Ich habe die zweite Hälfte des Stückes in angeheitertem Zustand bewältigen müssen. Das war eine sehr interessante Erfahrung für mich.

Ich war der Marsmensch des Hochzeitsfestes

Entdeckt wurde Sandra Selimovic von Regisseur Peter W. Hochegger. Ihre autobiografischste Rolle hatte sie dann aber m Stück Liebesforschung von Tina Leisch zu spielen: eine junge Romni, die aus der Tradition ausbricht und sich weigert, verheiratet zu werden. Ich bin mit fünf Jahren mit meinen Eltern nach Wien gekommen, aus wirtschaftlichen Gründen. Schon mit zwölf wusste ich, dass ich Schauspielerin werden will, meine Eltern aber hatten andere Pläne. Sie wollten mich verheiraten, wie es unter den Roma Brauch ist, erzählt Sandra Selimovic.

Sie wisse nicht, wie das unter den burgenländischen Roma gehandhabt werde aber am Balkan ist es üblich, dass die Mädchen mit vierzehn als heiratsfähig gelten und dass in der Regel die Eltern aussuchen, wen du heiratest. In meinem Fall passierte es, als ich sechzehn war. Tatsächlich kamen Leute zu mir, um mir einen heiratsfähigen Sohn vorzuführen. Ich hab das nicht sehr ernst nehmen können und hab mich absichtlich ziemlich daneben benommen. Damit sich herumspricht in der Szene, die Selimovic’s haben eine verrückte Tochter, Hände weg von ihr. Tatsächlich versiegte die Nachfrage nach mir, und ich bin auch bald von den Eltern weggezogen.

Nicht nur Mädchen sind Opfer der Familienplanung der Erwachsenen, betont Sandra Selimovic: Mein Cousin zum Beispiel hatte nicht die geringste Lust zu heiraten. Man suchte ihm jedoch eine Braut aus und ließ ihm keine Wahl. Beim Hochzeitsfest ihres neunzehnjährigen Bruders in Serbien fiel die allgemeine Aufmerksamkeit auf sie als eine, die ganz anders ist: Man wird bestaunt, wenn man als Frau ohne männlichen Begleiter kommt und wenn man 26 Jahre alt ist und noch immer keine Kinder hat. In diesem Alter haben die meisten Frauen schon drei vier Kinder. Ich war sozusagen der Marsmensch dieses Hochzeitsfests, während mein Bruder das Übliche tat, als er das blutige Hemd schwenkte zum Beweis, dass seine Braut noch Jungfrau war. Aber die Jugendlichen, die dort aufwachsen, kennen nichts anderes als diese Tradition, und ihr Wunsch, dazuzugehören, ist viel stärker als die Idee, aus diesen die Individualität verneinenden Verhältnissen auszubrechen. Ich hatte das Privileg, in Wien aufzuwachsen, wo alternative Lebenswege sichtbar werden. Weil mich noch dazu mein Innerstes zur Schauspielerei drängte, war die Perspektive, zuhause zu bleiben und für den Ehemann zu kochen, für mich ohnehin ausgeschlossen.

Frau kann leicht zur Schande für die Familie werden

Einer solchen Normenschlacke sind absurde Auswirkungen eingeschrieben, zeigt Sandra auf: Eine Cousine von mit hat mit fünfzehn geheiratet, hat sich aber nach zwei Wochen wieder getrennt. Aber man muss wissen, dass die beiden wirklich verliebt ineinander waren und dass die einzige Möglichkeit, dass ihr Zusammensein von den Familien akzeptiert werden konnte, in der Heirat bestand. So was passiert auch mitten in Wien. Die Voraussetzung für sexuellen Kontakt ist die Heirat, das ist Gesetz unter Roma-Familien und die jungen Leute spielen mit, auch fern der alten Heimat. Es wäre eine Schande für die Familie, wenn sie die Heirat unterlassen hätte. Im Fall meiner Cousine bedeutete das, 30.000 Euro aus dem Fenster geschmissen zu haben. So viel zahlte die Familie für das Hochzeitsfest. Das ist der Preis für die Aufrechterhaltung althergebrachter Normen inmitten der aufgeklärten Wahlheimat. Dabei kann meine Cousine froh sein, dass sie nicht schwanger geworden ist. Dann wäre eine Scheidung kaum möglich gewesen. Das hätten die Eltern nicht zugelassen.

Wie turnt man einen ungewollten Herrn Bräutigam ab? Sandra Selimovic nennt einfache Tricks: Auf die klassische, tussenhafte Mädchenbekleidung sowie auf die wie selbstverständlich erwarteten Stöckelschuhe verzichten, ein bisschen frech sein, dem Klischee des Oh, ich bin so schwach und so dumm zuwider handeln, emanzipiert wirken. Warum soll ich dir das Glas Wasser bringen, du hast Hände wie ich und kannst du ja selber auch tun! Dieser Satz muss in klassischen Situationen privater Geselligkeit die Männer sitzen und die Frauen hackeln einfach irritierend und schockierend wirken. Der Bräutigam wird nachher froh sein, rechtzeitig erkannt zu haben, dass er es mit einer Verrückten zu tun hatte.

Die Kehrseite des Traditionsbewusstseins ihrer Eltern: Sie versteckten ihr Zigeunersein nie und erzogen Sandra so, dass auch sie stolz sein konnte, Romni zu sein. Für ihre Karriere ist das eine optimale Basis. Der Zigeunermalus verwandelt sich ihrem Fall zum Bonus, denn das Angebot qualifizierter Romni-Darstellerinnen auf dem Theatermarkt ist denkbar bescheiden. Entsprechend gut liegt Sandra Selimovic im Rennen. Nach der Burgenländischen Hochzeit ist sie im Dschungel Wien mit dem Theater Wozzek bei Jugend ohne Gott zu sehen, darauf am selben Ort in Amsterdam. Ihr zweites Standbein ist die Kooperation mit der Regisseurin Tina Leisch. Als Regieassistentin wirkt sie hier in Gefängnisprojekten mit, derzeit im Frauengefängnis Schwarzau. Schließlich leitet sie im Grünen Kreis, einem Rehabilitationszentrum für Suchtkranke, Theaterworkshops.

Eine burgenländische Hochzeit

Ort: Im Beisl der KUGA, Großwarasdorf/Veliki Boritof, Parkgasse 3. Beginn der Vorstellung vor der Kirche.

Premiere: 19. 8. 2007, 14 Uhr.

Weitere Vorstellungen: 25. Und 26. 8., 14 Uhr, dann bis einschließlich 6. Oktober jeden Freitag und Samstag um 20 Uhr, Sonntag um 15 Uhr. Teilnahme an Hochzeit inklusive viergängigem Hochzeitsessen, Tischwein und Mineralwasser: 25,-

Regie: Peter W. Hochegger Mit: Sandra Selimovic, Robert Vollmer, Helga Grausam, Josko Vlasich, Alfred Schedl, Inge Kovacs, Franz Braindl und Sissy Neumüller. Live-Musik: Hans Samer Band

Kartenbestellung: Tel: 02614/7001,

E-mail: office@kuga.at