Ein Interview mit Sozialminister Erwin Buchinger
Der Stellenwert dieses Interviews wurde uns bereits vor Beginn des Gesprächs klar gemacht: Nach zwanzig Minuten vertrösteter Wartezeit wurden wir freundlich empfangen und ins allgemeine Händeschütteln mit der sich verabschiedenden Vizebürgermeisterin Brauner einbezogen. Sie müssen schon entschuldigen, meint Buchinger dann zu uns, aber jede Minute mit der Frau Vizebürgermeisterin ist 10.000 Euro Wert. Wir wussten das zu schätzen und entschieden uns für eine höflich verbale Demutsgeste. Stellen sie sich vor, es ist 4 Uhr morgens in Mürzzuschlag. Sie steigen in einen Bus, der nur mit Frauen besetzt ist, die zu ihrer Arbeit bei Billa und Merkur in Wien fahren. Wie erklären sie ihnen, warum sie als Frauen weniger verdienen, seltener Aufstiegschancen kriegen und warum Sie als Sozialminister so viel verdienen wie der halbe Autobus?
Na ich glaube, da liegen sie mit ihrer Einschätzung, dass ich soviel verdiene wie der halbe Autobus, komplett falsch.
Sie verdienen 15.300 Euro.
15.800 Euro brutto, aber sie dürfen brutto mit netto nicht verwechseln. Ich würd auch gar nicht viel erklären .
Billa MitarbeiterInnen an der Kasse verdienen 1000-1100 Euro brutto.
Ich weiß jetzt nicht, was exakt eine Billa-Verkäuferin verdient.
Einigen wir uns darauf, dass es ein Vielfaches ist.
Nein. Entscheidend ist ja, was netto rauskommt. Brutto interessiert weder die Dame bei Billa noch mich. Soviel wie der halbe Bus verdient ein Minister nicht, das schätzen sie falsch ein, aber er verdient genug. Ich würde ihnen sagen, wenn ich gefragt würde, dass die Lohnbedingungen und Entgeltbedingungen in Österreich nicht von der Politik gemacht werden sondern von den Gewerkschaften. Dass hier, soweit es politische Einflussmöglichkeiten gibt, die sind relativ bescheiden, die auch in den letzten Jahren aufgrund der ganzen Rahmenbedingungen abgenommen haben, und in Bezug auf Arbeitszeitgestaltung, dass hier jedenfalls die SPÖ die Interessen der Billa-Beschäftigten in höherem Ausmaß vertritt als andere politische Gruppierungen.
2006 ist der Gewinn des Wäscheerzeugers Wolford um 50 % gestiegen, der Wert der Aktien um 150%, die Löhne der Beschäftigten meist Frauen – um 3%. Wie finden sie das? Welche politischen Entscheidungen würden sie gerne daran knüpfen?
Mich ärgert das auch. In Bezug auf die Löhne hat die neue Bundesregierung erstmals in einem Regierungsprogramm drinnen, dass ein Mindestlohn eingeführt werden soll, um zumindest eine Grenze nach unten hin festzusetzen. Die Kursentwicklung bei einer AG ist von der Politik nicht beeinflussbar, beeinflussbar ist aber, was mit den Erträgen aus den Kursgewinnen passiert und da wäre ich, im Sinne von Steuergerechtigkeit für eine viel stärkere Abschöpfung. Ich bin auch wiederholt für eine Vermögenssteuer eingetreten, da hab ich verteilungspolitisch keine Scheu, ist halt in der derzeitigen Koalition mit der ÖVP politisch nicht durchsetzbar.
In letzter Zeit hat die Gruppe um den Rechtsanwalt Rudolf Fries große Geschäfte gemacht. Seine Gruppe erhält für die 21 Prozent an Böhler exakt 737 Millionen Euro überwiesen. Eingestiegen ist die Fries-Gruppe im Jahr 2001 für gut 100 Millionen. Sie hat ihren Einsatz innerhalb von sechs Jahren demnach versiebenfacht. Wer bezahlt eigentlich den Gewinn?
Weiß ich nicht.
Was haben sie für Vorstellungen? Irgendwer hat um 700 Millionen Euro mehr, wer hat sie weniger? Sind das die ArbeiterInnen, denen die Löhne vorenthalten werden? Ist es der Staat, der Teil der VÖEST zu billig verkauft hat?
Wer bereit ist, diesen Preis für die Aktie zu zahlen das geht nicht auf Kosten von irgendwem, außer für den, der diesen Aktienpreis bezahlt. Ob er den zu Recht oder zu Unrecht so hoch bezahlt hat, wird die weitere Kursentwicklung zeigen.
Angenommen auf Aktiengewinne wird eine 20%ige Besteuerung eingehoben, dann hätte Fries immer noch den 6fachen Gewinn und mit dem Rest könnte man alle Studiengebühren erlassen. Wären sie für so eine Lösung? Warum fordern sie nicht eine massive Spekulationssteuer?
25 % ist das Minimum. Das ist das Minimum mit dem Gewinne als Flat-Tax besteuert werden sollten. Fairer wäre es, den ganz normalen Grenzsteuersatz heranzuziehen. Wenn sie als Arbeitnehmer eine Überstunde leisten und gut verdienen, müssen sie bis zu 50 % Lohnsteuer zahlen.
Halten sie es angesichts solcher Verhältnisse für angebracht, über Bettelverbote in Wien und Graz zu reden?
Ich halte das für einen Ausfluss dessen, dass man die Armut für die man zum Teil auch mitverantwortlich ist, einfach nicht sehen will. Nur deshalb ist sie nicht weg. Viel vernünftiger wäre es, diese Armut an der Wurzel zu bekämpfen. Das ist auch etwas, das im Regierungsprogramm gelungen ist, gegen die ÖVP durchzusetzen, ein Armutsbekämpfungskapitel, wie es noch nie in einem Regierungsprogramm war, mit einer bedarfsorientierten Mindestsicherung als ein mögliches Instrument.
Also sie treten gegen das Bettelverbot auf, wo auch immer es diskutiert wird?
Ich trete nicht gegen jedes Bettelverbot auf. So wie es das in Graz gibt, halte ich das für eine Verdrängung, die nicht angebracht ist, nämlich in einem doppelten Sinne von Verdrängung: einerseits psychologisch aber auch wörtlich. Dann sind sie halt nicht in Graz, dann sind sie in Kapfenberg.
Der Augustin fordert seit Jahren Freifahrt für Obdachlose. Warum glauben sie lässt sich das in Wien nicht durchsetzen, obwohl es nicht einen Cent kosten würde? Wären sie dafür?
Ich habe mich mit dieser Frage nicht konkret beschäftigt. Man wird viele Gruppen finden, die man für eine Freifahrt vorschlagen kann. Es gibt auch Vertreter einer generellen Freifahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Ich würde eher eine Lösung bevorzugen, die die Menschen in die Lage versetzt, ein entsprechendes Einkommen zu erzielen, um die Fahrpreiskosten auch zu tragen.
VertreterInnen des AMS beklagen, dass Personen, denen aufgrund von Fehlleistungen die Notstandsunterstützung gestrichen wird, die Differenz vom Sozialamt bezahlt kriegen, die Sperre folglich nicht wirklich greift. Ist dies auch ein Grund ihres Versuchs der Einführung einer Grundsicherung?
Nein, dass die Arbeitslosenversicherung jemand, der nicht arbeitswillig ist, im Einzelfall für eine gewisse Zeit vom Bezug ausschließt, das ist in Ordnung. Ich halte das auch für richtig. ich halte das nicht für richtig in der Sozialhilfe, damit auch die Kritik für unberechtigt. Die Sozialhilfe muss dafür sorgen, dass auch jemand, der nicht arbeitswillig ist, ein Minimum an Existenzsicherung hat. In einem zivilisierten sozialen Land kann man auch Arbeitsunwillige nicht verhungern lassen.
In einem Trend-Interview vom Februar betonen sie: Wer für eine Leistung der Gesellschaft nicht bereit ist, auch seine persönliche Gegenleistung zu geben, der muss damit rechnen, dass die Gesellschaft ihre Leistungen zurücknimmt.
Wenn jemand die Regeln bricht, soll sie/er tatsächlich keine Arbeitslosenunterstützung kriegen?
So ist es. Soll auch in der Mindestsicherung wenns nach mir ginge nicht den Vollsatz kriegen sondern einen reduzierten.
Wie hoch wäre der?
Ich habe noch keine Größenordnung. Ich glaube schon, dass jemand, der nicht arbeitswillig ist oder dir Regeln nicht einhält das auch spüren muss. Aber ein Existenzgrundminimum muss die Gesellschaft auch dem geben. Das könnten Sachleistungen sein oder ein reduzierter Satz.
Wobei sich die Frage aufdrängt, welche Abstriche von 726 Euro pro Monat noch möglich sind.
Sie sehen, dass die Sozialhilfe auch jetzt oftmals unter diesem Wert liegt.
Was nicht heißt, dass es ausreicht.
Offensichtlich reichts schon aus. Es muss einen Anreiz geben, dass jemand, der arbeitsfähig ist, auch diese Arbeitsfähigkeit aktualisiert, wenn er eine Leistung von der Gesellschaft haben will. Wenn ers nicht will, kanns jeder halten, wie er will.
Warum muss das so sein?
Ich bekenne mich dazu, dass jene, die diese Leistung aufbringen durch eigene Arbeit auch diesen Anspruch stellen, dass sie auch von anderen verlangen, die von ihren Leistungen leben, dass sie auch bereit sind, zum Wohlstand der Gesellschaft durch Arbeit beizutragen.
Auch Sie betonen wiederholt, dass es sich bei Sozialleistungen um keine sozialen Hängematten handelt? Was ist eigentlich so verwerflich am Bild der Hängematte, das doch etwa für die Bewerbung von Urlaubsreisen sehr oft positiv eingesetzt wird?
Wenn die Hängematte durch mein eigenes Einkommen verdient wird, durch meine Arbeit, hab ich gar nichts dagegen. Auch ich liege gerne in der Hängematte, im Urlaub. Aber wer sich die Hängematte aus den mühsam erarbeiteten Beiträgen von anderen bezahlen lässt, das ist ein Problem. Für die Billa-Arbeiterin, die diese Hängematte bildlich gesprochen strickt und knüpft. Die wird wenig Verständnis dafür habe, wenn wer anderer nur drinnen liegen möchte.
Was ist eigentlich so unangenehm an den Faulen (angesichts des Klimawandels!)?
Dass sie zur gesellschaftlichen Wertschöpfung nicht beitragen. Sie und ich, alle die wir leben, konsumieren wir Produkte und Dienstleistungen, die muss wer produzieren. Der Reichtum einer Gesellschaft drückt sich in Waren und Dienstleistungen aus, die müssen produziert werden. Dies ist das Unangenehme an Faulheit, dass sie nichts beiträgt zur Produktion von Waren und Dienstleistungen.
Auch Sie selbst gestalten ihr Leben nach einem strengen Arbeitsethos. Beim AMS Salzburg arbeiteten sie 40 Stunden die Woche, als Salzburger Landesrat schon 60 Stunden und jetzt 80.
50! Am AMS habe ich 50 Stunden in der Woche gearbeitet, als Landesrat um die 70 Stunden, vielleicht ein bisschen drunter und jetzt als Minister 75 bis 80.
Warum ist das notwendig? Wäre das nicht rein rechnerisch auf drei aufzuteilen? Der Verdienst wäre immer noch in Ordnung und es würden zwei neue Arbeitsplätze geschaffen.
Nu, da würd ma schön schaun, wenn man die Ministerriege verdreifacht. Ich glaube nicht, dass es politisch ein sehr gut argumentierbares Programm ist.
Wenns nicht mehr kostet?
Ich glaub nicht, dass es populär wäre, wenn die Ministerriege dann 30 oder 35 Leute umfassen würde und wie verhindern sie dann, dass jeder erst recht wieder 6080 Stunden arbeitet?
Wäre es nicht vorstellbar, dass jemand keine Lust hat, zu arbeiten und ihr/ihm dieser Verzicht vom Staat mit 800 Euro monatlich prämiert wird, vergleichbar etwa mit der Prämie für brachliegende Wiesen in der Landwirtschaft?
Ich halte nichts von Prämien für Brache.
Dem brachliegenden Land solls gut tun, sagt man.
Ich halte nichts davon. Meine Erfahrung ist, dass man Arbeitswilligkeit und Arbeitsmotivation schon auch fördern kann, dass es nicht bei jedem verloren ist. Dass viele Menschen dann auch einsichtig werden, dass viele Menschen auch nicht freiwillig arbeitsunwillig sind, sondern weil sie entmutigt sind. Wer ist wirklich arbeitsunwillig? Das Spektrum ist fließend. Bestimmte Formen der Arbeitsunwilligkeit sind auch gesellschaftlich akzeptiert, zum Beispiel arbeitsunwillig zu sein in Bezug auf eine unzumutbare Arbeit ist OK, aber generell zu sagen, ich möchte keine Arbeit annehmen, die Gesellschaft, die arbeitet soll mich finanzieren, da hab ich ein Problem damit und noch wichtiger, ich verstehe, dass viele hundert tausend Menschen damit ein Problem haben, dass das System das nicht verträgt.
Etwas Erfreuliches an der politischen Verfasstheit in Österreich, die Verdrängung der extremen Rechte aus der Regierungsfunktion, wurde von der SPÖ nicht als Erfolg dargestellt. Warum?
Ich sage das bei fast jeder meiner Ansprachen bei Konferenzen, dass die Kritiker der großen Koalition auch berücksichtigen sollten, was die Alternative gewesen wäre, nämlich dass die rechte Mehrheit im Parlament auch eine rechte Regierung gebildet hätte, mit einem Sozialminister Westenthaler und Innenminister Strache und mit Unterrichtsminister Stadler und Finanzminister Grasser und mit Bundeskanzler Schüssel weitergemacht hätte.
Ihre Amtsübergabe mit Ursula Haubner war äußerst freundlich, lächelnd, mit Sekt. Auffallend etwa im Unterschied zu Thomas Klestil bei der Angelobung von Schüssel 1. Gibt es keine wirksamen Berührungsängste der SPÖ zur extremen Rechten?
Ich bin nicht der Bundespräsident. Ich hab von einer Vorgängerin ein Haus ordentlich übergeben bekommen und sehe keinen Grund nicht auch freundlich und höflich selbst diese Übergabe zu organisieren. Die Frau Haubner ist als Person von mir auch nicht in einen negativen Zusammenhang zu stellen.
300.000 Deportationen von angeblich illegalen AusländerInnen war das Wahlprogramm der Ursula Haubner. Das kann man doch nicht einfach so wegstecken, indem man sagt, das Haus wurde ordentlich und besenrein übergeben.
Ich tue das aber.