«Wie ein Hutschpferd»vorstadt

Lokalmatador

Rudolf Karazman ist ein Unternehmer, der explizit links denkt.
Er spielt auch Saxofon.

TEXT: UWE MAUCH, FOTO: MARIO LANG

Neugierig. Uneitel. Oft der gute soziale Typ. Leider neigt er manchmal zu großer Beleidigtheit. Rudolf Karazman sitzt am Küchentisch in seiner hellen Dachgeschoßwohnung in der Bürgerspitalgasse. Darum gebeten, lässt er den Psychiater und Psychotherapeuten Karazman über den Menschen Karazman sprechen.
Kommunist und Unternehmer? Nicht wenige haben Fragezeichen in ihren Augen, wenn sie über ihn sprechen. Weil sie nicht so recht wissen, wo sie den leidenschaftlichen Mediziner und Musiker politisch und menschlich einordnen sollen. Dabei kann er das alles gut erklären.

Eiserner Vorhang.

Geboren wurde Rudolf Karazman am 1. Mai 1955 in Nikitsch, einem mehrheitlich von Burgenlandkroat_innen besiedelten Dorf im Bezirk Oberpullendorf. «Die Mutter war am Vormittag noch am Feld, zu Mittag brachte sie mich auf dem Hof zur Welt», weiß der einzige Sohn von einer Bedienerin und einem Hilfsarbeiter. «Der Boden in der Kammer war gestampft, und die Baba, also die Hebamme, war neben ihr.»
Im Dorf direkt am Eisernen Vorhang hat er früh im Leben mitbekommen: die Dominanz der katholischen Kirche, die kollektive Angst vor dem Kommunismus, nicht zuletzt das harte Los jener Menschen, die – so wie seine Eltern – auswandern mussten.
«Auf die Hilfsarbeiter_innen haben sie im eigenen Ort mehr runtergeschaut als in Wien», sagt der Zeitzeuge, der seit seiner Pensionierung an einem Buch mit dem Titel «Nikitsch/Filež – Leben und Lieben an der Grenze» arbeitet.

Drahdiwaberl.

So wie viele im Ort suchten seine Eltern ihr Glück in Wien, wo sie zunächst eine Hausbesorgerwohnung mit der dazu gehörigen Aufgabe übernahmen. Die ersten Schritte im Kindergarten ihres Buben stimmten nicht lustig: «Ich weinte zwei Wochen lang, bis mich die Mutter rausgenommen hat. Ein Jahr später sprach ich Deutsch, und keiner wusste, warum.»
Nach dem Tod ihres Mannes wollte die alleinerziehende Bedienerin nur das Beste für ihren Sohn: «Sie trug mich durchs Gymnasium und drei Studien. Ich bekam sündteures Gewand, aber Bücher musste ich mir selbst bezahlen.»
Noch vor seiner Matura gibt ein Wiener Gymnasiallehrer mit einer Handvoll Enthusiast_innen erste brachiale Rockkonzerte: Professor Stefan Weber mischt mit der Band Drahdiwaberl die Wiener Musikszene auf, und der Rudi ist einer seiner ersten Fans. Mehr noch: «Als einer der drei Saxofonisten ausfiel, haben sie mich gefragt, ob ich mitspielen möchte.»
Das Problem war nur: Der Neue wollte unbedingt Arzt werden, konnte aber kein Instrument spielen. Der Psychiater und Psychotherapeut am Küchentisch lacht jetzt: «Ich war wahrscheinlich der schlechteste Saxofonist Wiens.»
Es passt zu Drahdiwaberl, dass man den dritten Saxofonisten ein ganzes Jahr lang mitspielen ließ. Mag schon sein, dass dieser nicht immer den guten Ton traf. Wichtiger war, dass ihm die Augen geöffnet wurden: «Dort habe ich zum ersten Mal mitbekommen, dass es neben der katholischen Kirche und der Amerikahörigkeit auch noch eine ganz andere Geschichte gibt.»

Mobbingambulanz.

Danach haben ihn das Medizinstudium, linke Politik auf der Uni und die Fachausbildung magisch angezogen. Ebenso die Arbeit als Gastarzt an der Klinik im AKH. Doch dann tat Rudolf Karazman etwas, was einem Wien niemals verzeiht: «Das war schon eine tolle Forschungsstation, aber auf Kosten von uns Jungen. Wir haben daher einen Streik organisiert, und das Parlament hat tatsächlich zwanzig zusätzliche Stellen für unsere Klinik bewilligt.»
Schnell wird klar, warum der leidenschaftliche Linke Unternehmer wurde: «Ich war zwar jetzt Beamter, aber mein Vorgesetzter hat mir offen zu verstehen gegeben, dass ich mir meine Ideen bis auf Weiteres aufzeichnen kann.»
Er hat viel aufgebaut in Wien: die Arbeitspsychiatrie und die erste Mobbingambulanz, die Plattform «Der Mensch zuerst – Spitalspersonal gegen Ausländerfeindlichkeit», ein Kompendium an Stressstudien mit praktischen Stresspräventionsprogrammen, dazu passend das große Thema altersgerechte Arbeitswelt, vor allem das heute weltweit agierende Beratungsunternehmen IBG.
Im Rückspiegel des Eigentümers im Ruhestand ist das IBG mit seinen 200 Mitarbeiter_innen ein Traum: «Es war mir immer wichtig, dass es in unserem Unternehmen mindestens so gut zugeht, wie wir in der Theorie einfordern. Das ist es! Mit uns arbeiten so viele wunderbare Menschen!»
Ebenso schön: «Unsere Band Bolschoi Beat. Als unsere CD Gradišćanski Funeral & Wedding Songs im Rolling Stone mit 3,5 Sternen rezensiert wurde, ebenso wie Bruce Springsteens Neue, hab’ ich mich gefreut wie ein Hutschpferd.»