Lokalmatadorin Nr. 214
Ulrike Kramer studiert die Sprachnuancen, die anzeigen, dass der Wiener kein Deutscher ist. Lokalmatadore nennt sich auch der Sammelband dieser Porträt-Serie erhältlich bei gut sortierten Augustin-VerkäuferInnen sowie im Buchhandel. Der betont lustlose Betonklotz in der Wohllebengasse könnte rein theoretisch auch in Wanne-Eickel, Düsseldorf, oder sonst einer x-beliebigen deutschen Stadt für Unbehagen sorgen. Die Gegensprechanlage, schon seit Monaten nicht repariert, führt uns jedoch noch vor dem Betreten vor Augen, dass der Klotz mitten in Wien steht. Genauer gesagt auf der Wieden, wie die Hiesigen ihren vierten Bezirk liebkosen.
Im zweiten Stock, am Institut für Dialekt- und Namenlexika der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, arbeitet Ulrike Kramer. Sie beschäftigt sich dort unter anderem mit den sprachlichen Eigenarten, die Österreicher und Deutsche regelmäßig aneinander vorbeireden lassen. Sie kennt zudem auch die mentalen Unterschiede.
Die 27-jährige Sprachforscherin ist aufgrund ihrer Herkunft über alle Zweifel erhaben. Der Vater ihres Vaters wurde in Kärnten geboren, die Mutter ihres Vaters in Baden-Württemberg. Ihr Vater wuchs am Wörther See auf, ihre Mutter in Hamburg. Sie selbst übersiedelte mit neun Jahren von der Ost- an den Neusiedler See. Kennt also mehrere Zugänge zur deutschen Sprache. Eine Native Speakerin, wie sie im Buche steht, die den Duden genauso schätzt wie das Österreichische Wörterbuch.
Ein ganzes Vokabelheft könnte die Linguistin heute vollschreiben. In die linke Spalte Frankfurter Würstel, in die rechte Spalte Wiener Würstchen. Links Glocke, rechts Klingel. Hier heikel, dort wählerisch. Hier Gehsteig, dort Bürgersteig. Hier herzig, dort niedlich. Hier Kuvert, dort Briefumschlag. Hier kehren, dort fegen. Hier Kren, dort Meerrettich. Hier Knödel, dort Klöße. Hier Plafond, dort Zimmerdecke. Hier Fetzen, dort Putzlappen.
Wir reden hier, bricht Kramer die Stille ihres Arbeitszimmers, nicht über den Dialekt, sondern über die feinen Unterschiede, welche die Hochsprache bietet. Sprachforscher differenzieren hier zwischen österreichischem und deutschem Deutsch.
Ins Gymnasium gegangen ist Kramer in Neusiedl am See. Sie erinnert sich, dass sie und ihre Zwillingsschwester am Anfang erhebliche Schwierigkeiten hatten, ihre Mitschüler und auch die Lehrer zu verstehen, wenn die nach dem Unterricht sofort in ihren Dialekt verfielen: Wir sind uns wie Exoten vorgekommen.
Raunte jemand Hob jo nua gmoant, verstand sie am Anfang nur Bahnhof. Das war wirklich nicht einfach, wenn dir das einzige bedeutungstragende Wort nichts sagen will. Es gab auch kränkende Momente: Das uns beleidigende Wort Piefke ist gefallen auch von unserem Klassenvorstand. Der, einmal zur Rede gestellt, typisch österreichisch argumentierte: dass das ja gar nicht so gemeint war.
Zum Glück sitzt der Stachel nicht sehr tief. Heute ist die Deutsch-Österreicherin eine Anwältin für österreichisches Deutsch: Das ist eine vollwertige Sprache, die im Ausland leider nur als Dialekt wahrgenommen wird. Auch die Österreicher hätten über ihre eigene Sprache keine allzu gute Meinung. Schade, ein bisschen mehr Selbstvertrauen wäre angebracht.
Studiert hat Kramer an der Universität in Wien, angewandte Sprachwissenschaft. Nach einem Gastsemester in Berlin kehrte sie wieder nach Wien zurück. In ihrer Diplomarbeit hat sich die für Sprache und Minderheiten Sensibilisierte eingehend mit dem Wortfeld Neger beschäftigt. Sie ist dabei der Frage nachgegangen, seit wann und warum die einst nicht verpönte Bezeichnung eine Ehrenbeleidigung darstellt.
Seit zwei Jahren ist die bilinguale Forscherin Mitarbeiterin der Akademie. Was sie heute mit Sicherheit sagen kann: Das österreichische Deutsch ist höflicher. Deutsche im Kaffeehaus rufen schlicht Zahlen! In Wien schiebt man weich den Konjunktiv vor. Man würde gerne die Obrigkeit (in Person des Obers) bitten, einem das zu gewähren, wozu man sowieso verpflichtet ist.
Schwer tun sich Deutsche auch mit den Ausformungen des dialektalen Austro-Konjunktivs: Ich täte gerne zahlen, tat gern zahlen, tatat gern zahlen. Kramer trocken: Da wirds dann kompliziert.
Typisch für das in Wien gebräuchliche Deutsch sei auch das ständige Codeswitchen zwischen Standard-, Umgangssprache und Dialekt. Die Abgrenzung zwischen den Varianten sei in ihrer Mutter- viel strenger als in ihrer Vatersprache. Weiß Kramer. Auffallend: Selbst österreichische Volksvertreter surfen bei Interviews legerer hin und her als deutsche Unterliga-Kicker.
Wichtig ist der Sprachforscherin auch der Hinweis, dass es keine einheitlichen Sprachräume gibt, weder für österreichisches noch für deutsches Deutsch: Die Grenzen sind fließend. Manch Münchener fühlt sich in Wien besser verstanden als von seinen Landsleuten nördlich des Weißwurst-Äquators.
Gerne erzählt Ulrike Kramer vom bunten Sprachengemisch in ihrer Familie: Jeder spricht seine eigene Sprache, und alle verstehen sich bestens. Regionale Eigenheiten würden nicht als Problem, sondern als Bereicherung gewertet. Auch die Austriazismen wären so gesehen schützenswert, sagt die Linguistin. Spricht es, und fährt danach vom Ostbahnhof mit dem Pendler hoam ins Burgenland.