Wie human ist die Humana-Box?Artistin

«Migrationsskizzen» Auch unsereins in postkolonialen Verstrickungen

Man könnte meinen, über das Thema «Migration» sei schon genug geschrieben worden, vor allem genug Blödsinn. Zwischen zwei Buchdeckeln erwarten die LeserInnen im Fall der «Migrationsskizzen» allerdings nicht nur klare Statements, sondern auch Videos, Performing Art oder Objektkunst. Vier Künstlerinnen aus Uganda, Chile, der Türkei und Bulgarien melden sich zu Wort.Im Rahmen ihrer Tätigkeit für das Vienna Institute for International Dialogue and Cooperation (VIDC) sollte die ursprünglich aus Italien stammende Stefania Del Sordo eine Ausstellung zum Thema «Migration» gestalten, nachdem das Thema bereits wissenschaftlich bearbeitet worden war. Von Anfang an war der Kunstgeschichtlerin klar, dass sie kein Projekt über, sondern ein Projekt mit Migrantinnen realisieren wollte. «Frauen Kunst Migration»: Das waren die drei Ausgangspunkte, um die sich nach und nach ein Team von vier Künstlerinnen zusammenfand und nach einem etwa dreimonatigen Diskussionsprozess beschloss, es wolle doch ein Buch und keine Ausstellung gestalten. Es sollte etwas Dauerhaftes, Dokumentarisches werden. Und obwohl die vier Künstlerinnen durchaus vier wichtige Länder der Migration nach Österreich vertreten, ginge es weniger um die Herkunftsländer als um die Migrationserfahrung, die damit verbunden ist, betont die mittlerweile österreichische Staatsbürgerin mit bulgarischen Wurzeln, Petja Dimitrova, als eine der vier. Im Buch wurden also die eigenen Geschichten der Migration rekonstruiert.

Gut gemeint vs. gut

Am Beginn des Buches stehen Agnes Acholas Kindheitserinnerungen in Uganda, die zeigen, wie sehr sie die positiv konnotierte Welt der weißen Menschen bewundert hat, jene Welt, die ihr später beibringen sollte, was Rassismus ist. Im Mittelpunkt ihres Beitrags steht ein in Form von Screenshots wiedergegebenes Video sowie ein Essay des aus Martinique stammenden Philosophen und Revolutionärs Frantz Omar Fanon. Mit Figuren aus gebrauchtem Gewand zeigt sie auf, dass der Import von Second-Hand-Kleidern bereits 85 Prozent des Textilmarktes in Uganda ausmacht und damit jede Entwicklung einer Textilindustrie verhindert. Wie human ist also die Humana-Box? «Leftovers», so heißt dieses Projekt, ist aber nur eine von vielen guten Ideen der Künstlerin. Während sie sich also mit «antirassistischen Baustellen» so der zweite Teil des Untertitels des Buches auseinandersetzen muss, erfährt die aus Chile stammende Carla Bobadilla sehr oft unwillkommene positive Diskriminierung, wenn sie mit den Klischees der «heißblütigen» Latina konfrontiert wird. Sie widmet sich in ihrem Beitrag zum Buch und damit sind wir beim ersten Teil des Untertitels vor allem «postkolonialen Verstrickungen», zu denen auch hier der Import gebrauchter Textilware zählt. Sie stellt diesem Import von second hand jene erstklassige Qualität gegenüber, die Obst haben muss, wenn es von Chile nach Österreich kommen will. Mit Fotografien der Obstschüsseln in jenen Häusern, in denen sie unter prekären Verhältnisse als Kindermädchen gearbeitet hat, dokumentiert sie diese Ironie.

Keti und die Kiwara

Migrantinnen wird grundsätzlich vermittelt, sie hätten gefälligst zufrieden zu sein, dass sie überhaupt hier sein dürften, erklärt Stefania Del Sordo gegenüber dem Augustin. Künstlerinnen hätten da noch eine gewisse Narrenfreiheit, über das Thema «Migration» zu sprechen, erklärt sie. Auf die Frage, ob Künstlerinnen als Migrantinnen denn repräsentativ seien, wirft Petja Dimitrova ein, dass alle vier sehr wohl die Erfahrung der Prekarität gemacht hätten, und verweist etwa auf Carla Bobadillas Arbeit als Kindermädchen. Petja Dimitrova steuerte dem Buch das Videoprojekt «Blue Card for Keti» bei, das den verrückt-verzweifelten Werdegang einer Bulgarin dokumentiert, die noch vor dem Fall des so genannten «Eisernen Vorhangs» illegal nach Österreich kam und der dann ausgerechnet ein Polizist die Ehe zur Legalisierung ihres Aufenthaltsstatus anbot. Das seien eben die paradoxen Dinge des Lebens, erklärt Petja Dimitrova, die an der Akademie der Bildenden Künste lehrt und dort «Keti» in der Portierloge kennengelernt hat. Einen sprichwörtlich starken Auftritt in den «Migrationsskizzen» hat die Türkin Nilbar Güre, die sich etwa in einer Performance mit roten Boxhandschuhen ein Brautkleid abstreift und damit gegen patriarchale Strukturen in den Ring steigt.

Ein Buch geht auf Tournee

Petja Dimitrovas Video «Blue Card for Keti» wird derzeit im Rahmen der Ausstellung «eine Arbeit, die das, was sie reflektiert, nicht loswird» im Kunstpavillon Innsbruck gezeigt. Damit aber die geneigten LeserInnen des Augustin nicht so weit gen Westen reisen müssen, wird diese Ausstellung ab März auch im Wiener WUK zu sehen sein. Auch das Buch «Migrationsskizzen» soll in nächster Zeit in den Bundesländern auf Tournee gehen, um dort noch bekannter zu werden. Als pädagogisches Material für den Unterricht hat sich die Publikation ebenfalls bereits bewährt. Ob es eine Fortsetzung des Projekts geben wird? Ja, gerne, bitte, sagt Stefania Del Sordo, aber alles sei derzeit noch eine Frage der Finanzierung. Denn Erfahrungen mit prekarisierter Arbeit hätten die Künstlerinnen wie gesagt schon ausreichend gehabt.

Info:

Agnes Achola, Carla Bobadilla, Petja Dimitrova, Nilbar Güre, Stefania Del Sordo [Ed.]: Migrationsskizzen postkoloniale Verstrickungen, antirassistische Baustellen. Zweisprachig Deutsch/Englisch. Löcker Verlag. Wien 2010.

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