Wie instagrammable ist deine Wohnung?tun & lassen

Bernadette Krejs (Foto: © Carolina Frank)

Bilder auf Plattformen wie Instagram oder Airbnb verändern unseren Begriff vom Wohnen. Und sie verändern auch, wie Architekt:innen Wohnraum entwerfen. Welche Bilder es braucht, um das Wohnen realitätsnah und divers zu gestalten, erforscht die Architektin Bernadette Krejs.

«Instagram Wohnen», das klingt nach Interieur Design. Worum geht es in deinem Buch?

Bernadette Krejs: In der Architekturausbildung wird das Wohnen aus einem sehr spezifischen Blickwinkel betrachtet: dem des Entwerfens. Mich interessiert vor allem der Akt des Bewohnens. Wie interagieren wir als Personen mit den Räumen, in denen wir leben, aber auch mit den Objekten darin? Wohnen ist auch ein performativer Akt, in dem wir uns nach gewissen Normen und Routinen verhalten und bewegen.
Andererseits interessiert mich, was Bilder in und mit der Architektur machen. Als Architekt:innen kommunizieren wir hauptsächlich über Bilder. Wir zeichnen mit der Hand oder am Computer; das ist das Werkzeug schlechthin, um überhaupt zu entwerfen und sich über Architektur zu unterhalten. Dennoch beschäftigen wir uns im Feld der Architektur wenig damit, wie Bilder sowohl die Profession der Architektur als auch die Bewohner:innen beeinflussen.

Du beforschst Bilder und Bildwelten, die für Plattformen produziert werden.

Im Jahr 2021 haben Peter ­Mörtenböck und Helge Mooshammer auf der Architektur-Biennale in Venedig den Österreich-Pavillon zum Thema Plattform-Urbanismus kuratiert. Es ging darum, inwiefern Plattformen von Mobilität über Essenslieferservices bis zu ­Social Media in ihrer Immaterialität mit unserem Lebensalltag verschränkt sind und welche Auswirkungen sie auf die ­gebaute Stadt haben. Im Rahmen der Biennale konnte ich mir die Plattformen Instagram und Airbnb genauer anschauen. Instagram als Photo-Sharing-App stellt das Bild in den Mittelpunkt. Airbnb ­verstehe ich als das größte Wohnbildarchiv der Welt. Die Kombination von Plattformtechnologie, Wohnen und Bildern wurde zum Ausgangspunkt meiner Forschung.

Was machen diese Bilder mit der Vorstellung davon, wie wir wohnen sollen?

Bilder prägen sehr stark, was wir unter Wohnen verstehen. Es gibt eine Art «Wohnwissen», das uns schon als Kindern vermittelt wird. Durch Bilder des Wohnens, aber auch durch wohnpädagogische Modelle wie zum Beispiel das Puppenhaus wird Wohnen – und zumeist auch gleich die Geschlechterrollen darin – vermittelt. Für Erwachsene gibt es viele mediale Formate, Zeitschriften und Wohnratgeber, die seit den 1950er-Jahren populär sind. Ähnliche Formate gibt es heute noch, nehmen wir zum Beispiel Marie Kondōs Aufräumshow. Die Erzählung ist immer dieselbe: Was ist richtiges Wohnen?
Was Plattformen machen, ist ein ständiges Wiederholen von bestimmten Wohnbildtypen. Der Algorithmus schlägt immer wieder ein passendes Format an Bildern vor, man ist quasi in Schleifen gefangen. Und das formt langsam und stetig den Begriff davon, was wir unter Wohnen verstehen. Gerade auf der Plattform In­stagram wird in populären Wohn­accounts ein sehr normativer, angepasster Wohnbegriff etabliert – der in erster Linie aufs Konsumieren abzielt.

Heißt das, man soll sich das Wohnen schönkaufen?

Eine Folge dieser immer wieder gezeigten Wohnideale, die auf Instagram visuell repräsentiert werden, ist, dass Wohnen zu einem ästhetischen Konsum wird. Wohnen ist eigentlich ein Grundrecht. Es beinhaltet das Recht auf Schutz, Gemeinschaft und Regeneration. Aber in den Bilderzählungen, die ich analysiert habe, wird das Wohnen total davon entkoppelt. Es geht nicht mehr um Leistbarkeit, sondern nur noch um Konsum. Man sieht eine große Menge an Dekorobjekten und Möbeln, und die Erzählung ist imme die gleiche: Wenn ich all diese Möbel, Kissen, Teppiche und Kerzenständer erst besitze, kann ich ein gutes und richtiges Wohnen erreichen. Es wird nie die Frage gestellt, über wie viel Wohnraum man dazu eigentlich verfügen muss – und über wie viel Lagerraum. Kann ich mir meine Miete leisten? Wer macht die Arbeit im Haushalt? Wer kümmert sich um die Wohnung oder die Personen, die darin leben? All diese Fragen, die unmittelbar auf unsere Wohnrealität einwirken, werden ausgeblendet.

Wohnmagazine gibt es seit den 1950ern, den Kapitalismus schon etwas länger. Ist die Idee, dass man sich das richtige Wohnen erkaufen soll, neu oder wird sie nur gerade neu entdeckt?

Die Idee von idealisierten Wohnformen gibt es schon lange, und diese ­Ideale wurden auch immer ausgestellt und publiziert. Aber ich denke, dass Plattformen die Sache noch einmal beschleunigt haben. Der Zugang zu digitalen Bildwelten ist unmittelbarer; man kann sich ihnen kaum entziehen. Das Wohnen auf diesen Bildern sieht meist so aus: Es ist immer aufgeräumt, alles ist farblich abgestimmt, es gibt kein Chaos, keinen Konflikt, keine Arbeit. Instagram hat diese ästhetisierte Erzählung perfektioniert. Die Bilder sind bis ins ­letzte Detail «gestaget», trotzdem erzählen sie von einem unmittelbaren Moment, in dem nichts mehr zu tun und alles erledigt ist, es geht nur noch ums Genießen und Konsumieren. Da steckt ein großer Leistungsdruck dainter, um mithalten zu können. Die Plattformen leben davon, dass das Individuum in ständigen Optimierungsschleifen gefangen ist. Der Status, wo es mal geschafft ist, wo man fertig eingerichtet ist, ist nie erreicht. Es gibt immer noch mehr, andere und neue Objekte, die man erwerben könnte.

Diese Schleifen sind das, was den Plattformkapitalismus ausmacht?

Das Wesen der Plattform ist, dass alles in Zirkulation gehalten wird. Plattformen sind ja ­keine öffentlichen ­Räume, sondern Räume von monopolistischen Unternehmen, die ganz klaren, aber nicht immer sichtbaren Regeln unterworfen sind. Instagram ist eine Werbeplattform, die das Ziel hat, Kapital zu generieren, und das passiert über die Verwertung von Daten. Damit möglichst viel Interaktion passiert, muss alles in Bewegung bleiben. Ich finde wichtig, dass man Plattformen an sich verstehen lernt, und nicht nur die einzelnen Bilder analysiert, die dort gezeigt werden.

Für deine Forschungsarbeit hast du dir drei Instagram-Accounts genauer angeschaut.

Es handelt sich um drei sehr follower-starke Accounts aus dem US-amerikanischen Raum, die sozusagen den Ideal­typus des Wohnens repräsentieren.
Beim Account von «Studio McGee» ist Shea McGee die Hauptperson. Sie wird uns als Designexpertin präsentiert, die gleichzeitig auch eine total tolle Mutter von drei Kindern ist. Mit ihrem Mann zusammen führt sie das Unternehmen Studio McGee. Im Bildnarrativ steht die Familie im Vordergrund, auch wenn dahinter ein erfolgreiches Unternehmen steht, das mittlerweile auch eine eigene Net­flix-Show hat. Die Rolle der Frau ist klar: Dekoexpertin. Nicht etwa Architektin oder Planerin. Es ist das Arrangieren von Dingen und parallel dazu das Inszenieren der Rolle als Mutter und Hausfrau: das Sorgetragen um Haushalt und Familie und das Anordnen von Gegenständen. Die McGees haben natürlich auch einen Webshop, wo du in jedem Bild sofort klicken kannst, um alles zu kaufen – von der Wandfarbe bis zum Kissen.
Der zweite Account heißt «My Texas House», er ist ganz in Weißtönen gehalten. Die Home-und-Interieur-Accounts auf Instagram folgen einer gewissen Ästhetik, man lebt am besten in Weiß und Pastelltönen. Die Betreiberin wird auch hier als Hausfrau inszeniert, ist aber eine sehr erfolgreiche Geschäftsfrau. Sie erzählt, dass ihre Familie gar nicht mehr in diesem Haus wohnen kann, weil sie es permanent für den Account umarrangieren muss. Das Haus ist der Instagram-Star.
Der dritte Account ist von den «­Renovation Husbands». Das ist ein queeres Ehepaar, das die Do-it-yourself-Nische bedient. Zu Beginn drehte sich alles um das Renovieren des eigenen Hauses, ­mittlerweile bedienen die beiden bereits TV-For­mate, sprechen aber in ihrem Account eine etwas andere Klientel an. Letzten Endes kann man aber auch hier von den Schlapfen bis zum Klo alles kaufen.

Im Feld von Wohnungsmarkt und Immobilien gibt es viel Forschung, die sich mit Armut und Reichtum beschäftigt. Was wäre eine für das Bewohnen relevante Forschungsfrage?

Ich finde die Frage von Klasse, Zugänglichkeit und Zugehörigkeit im Wohnen für das gesamte Feld der Architektur relevant. Das fehlt in der Ausbildung stark, dabei beginnt es schon dort: Ist der Papa Architekt, habe ich ganz ­andere Startvorteile.
Gerade beim Wohnen spielt Klassismus eine große Rolle, beginnend bei der Wohndresse, die mich bereits einordnet. Aber auch im Bewohnen wird die Frage nach Zugehörigkeit ausgehandelt. Verstehe ich gewisse ästhetische Codes oder nicht? Habe ich bestimmte Objekte und gehöre damit einer gewissen Werte- und Ästhetikgemeinschaft an oder nicht? Bei welchem Möbelhaus kann ich einkaufen, in welchen Farbschemata sind meine Wohnräume eingerichtet, über wie viel Wohnraum verfüge ich – habe ich überhaupt Zugang zu Wohnraum? Da werden ganz viele Fragen von Klasse ausverhandelt, die man im Feld der Archi­tektur viel genauer anschauen sollte.

Ist dein Papa Architekt?

Nein. Aber ich komme auch aus ­einem Bildungshaushalt, in dem alle studiert haben.

Während der Coronapandemie ist das Wohnen noch einmal mehr in den Vordergrund getreten: Plattformen wurden zu Kommunikationsmitteln, im Hintergrund wurde der Wohnraum sichtbar.

Das war auf einmal ein sehr intimer Einblick, der natürlich neue Fragen auf macht: Sind meine Wohnräume ein ausreichend gutes Setting für ein Zoom-Gespräch? Steht ein Wäscheständer herum, dürfen Spuren von Hausarbeit sichtbar sein, sieht man das Bett? Die Wohnung wird von einem privaten zu einem teilöffentlichen Raum. Zoom hat zwar ziemlich bald Hintergrund-Filter eingeführt – die setzen aber voraus, dass ein Rechner zur Verfügung steht, dessen Betriebssystem das leisten kann.

Eine deiner zentralen Fragen ist die nach gegenhegemonialen Bildern, einer «anderen Bildsprache» als jener homogenen der Social-Media-Plattformen.

Ich denke, eine «andere» Bildsprache bedeutet vor allem eine kritische Haltung, bei der man sich auch selbst aktiv einbringt und nicht mehr nur Zuschauerin oder Followerin ist. Man trägt, wie Donna Haraway sagt, selbst zu einer besseren Darstellung der Welt bei. Es geht nicht nur darum, dass die Dinge anders ausschauen, dass Wohnen jetzt statt pastellfarben neonpink ist, sondern es geht wirklich auch darum, diese «anderen» Fragen zu stellen. Denn Wohnen ist nicht nur ein Grundrecht und der Wohnraum ist nicht nur ein Wohn- und Arbeitsort, sondern er ist auch ein Ort der Krankheit, des Konflikts, der Gewalt, der Care-Arbeit, aber auch des Lernens, des Spielens und der Gemeinschaft. Viele Nutzungen überlagern sich, die in dominanten, hegemonialen Bildwelten ausradiert werden. Wir brauchen neue Bilder, um vielseitige und multiperspektivische Vorstellungen vom Wohnen sichtbar zu machen. Damit wir als Architekt:innen diese diversen Wohnräume auch entwerfen und planen können.

Bernadette Krejs arbeitet im Forschungsbereich Wohnbau und Entwerfen an der Technischen Universität Wien. Ihr Buch «Instagram Wohnen» ist im Frühjahr in der Reihe «wohnen +/- ausstellen» beim transcript Verlag erschienen.

Instagram Wohnen.
Architektur als Bild und die Suche nach gegenhegemonialen Wohnbildwelten
transcript 2024
354 Seiten, 40 Euro