Von häuslicher Gewalt sind Kinder und Jugendliche besonders betroffen. Rafaela Siegenthaler bildet bei der Initiative «StoP – Stadtteile ohne Partnergewalt» in Margareten junge Menschen zu Multiplikator_innen gegen Gewalt aus.
Interview: Cornelia Stahl
Foto: Mario Lang
Stadtteile ohne Partnergewalt – was steht hinter diesem Konzept?
Rafaela Siegenthaler: StoP – Stadtteile ohne Partnergewalt ist ein Nachbarschaftsprojekt, das stark getragen wird von Gemeinwesenarbeit. Im Mittelpunkt steht das Ziel, die Nachbarschaft für das Thema zu sensibilisieren und Zivilcourage zu stärken: dass Menschen einschreiten, wenn sie Gewalt mitbekommen in der Nachbarschaft, und Betroffenen Unterstützung anbieten können. Es geht auch darum, schon Kinder und Jugendliche für das Thema zu sensibilisieren.
Sie sind seit Oktober 2020 bei StoP-Stadtteile ohne Partnergewalt.
Ich bin im Stadtteilprojekt StoP in Wien-Margareten für die Koordination der Jugendarbeit zuständig, die es seit 2020 gibt. Gemeinsam mit meinem Kollegen Florian Neuburg habe ich die Multiplikator_innen-Ausbildung für Jugendliche konzipiert, organisiert und durchgeführt. Die Jugendlichen können sich darin mit verschiedenen Formen von häuslicher Gewalt und Partnergewalt auseinandersetzen.
Warum steigt die Anzahl der Femizide in Österreich?
Bei den Femiziden, die in jüngster Zeit in Österreich leider passiert sind, waren die Opfer Frauen in einer Trennungsphase. Das ist für Frauen eine sehr gefährliche Zeit. Gewalt an Frauen und Kindern hat mit patriarchalen Strukturen zu tun. Das gegenwärtige Männlichkeitsbild – das Bild des «starken, unverwundbaren Mannes» als Held, Ernährer und Familienoberhaupt – ist noch sehr verbreitet. Kann der Mann dieser Rolle nicht gerecht werden, beispielsweise weil er seine Arbeit verliert, erfährt er einen Statusverlust, der oft mit einer Identitätskrise gekoppelt ist und sich in häuslicher Gewalt manifestiert. Finanzielle Probleme, soziale Isolation, enge Wohnverhältnisse sind Risikofaktoren für häusliche Gewalt. Und diese Risikofaktoren haben mit der durch die Coronapandemie bedingten Krise stark zugenommen. Auch suggeriert dieses Männlichkeitsbild, dass «echte Männer» keine Emotionen zeigen, sodass Burschen oft aufwachsen, ohne zu lernen, wie sie ihren Gefühlen und Emotionen Raum geben können. Auf Stress, Frust, Kränkung wird dann verstärkt mit Gereiztheit, Ärger oder Gewalt reagiert. Es wäre gut, mehr Vertrauen in die feministische und in die Bubenarbeit zu setzen.
2021 startete die StoP-Jugendarbeit mit dem ersten Durchgang von Jugendworkshops. Mit welcher Motivation stoßen die Teilnehmenden zu euch?
Die Jugendlichen nahmen an der Ausbildung teil, weil sie sich für das Thema interessierten, weil sie sich gegen Gewalt an Kindern und Jugendlichen engagieren und konkrete Handlungsstrategien erlernen wollten, wie sie betroffene Kinder und Jugendliche unterstützen können.
Wie sieht die Multiplikator_innen-Ausbildung für Jugendliche aus?
Bei den Mädchen ging es eher um Selbstermächtigung in der Partnerschaft und um das Kennenlernen von Täterstrategien. Es ging um verschiedene Formen der Gewalt, physische, psychische und finanzielle Gewalt, die eine Form von Partnergewalt sein kann. Im Mittelpunkt stand auch das Kennenlernen des Stockholm-Syndroms – das beschreibt das Sympathieverhältnis zwischen Opfer und Täter –, um verstehen zu lernen, warum Opfer aus einer Gewaltbeziehung nicht einfach fliehen und den Partner verlassen. Es ist schwierig zu gehen, weil es oft eine Abhängigkeit und eine Angst des Opfers gibt, die dazu führt, den Ort der Gewalt nicht zu verlassen. Die Buben setzten sich inhaltlich, genau wie die Mädchen, mit den Ursachen und Hintergründen von Gewalt, ihrer Sichtbarkeit und ihren Erkennungsmerkmalen auseinander. Ein weiteres Thema sind gegenwärtige Männlichkeitsbilder. All das haben wir mit den Jugendlichen diskutiert – und auch, wie sie betroffene Jugendliche unterstützen können, wenn sie bemerken, dass die zuhause Gewalt erfahren. Wohin kann man sich wenden? Wir zeigen ihnen, dass es Helplines* gibt, und eine ihre Aufgabe ist es dann, dort anzurufen. Das Ziel der Ausbildung ist, Jugendliche stark zu machen, um andere Jugendliche für das Thema zu sensibilisieren.
Das Vermitteln von theoretischem Wissen ist die eine Seite. Die praktische Umsetzung scheitert nicht selten. Inwieweit wurden die Jugendlichen selbst aktiv?
Die Jugendlichen sind freiwillig gekommen, brachten vorab Interesse für das Thema mit und waren bereit, an vier Wochenendtagen, in ihrer Freizeit, zu diesem schwierigen Thema zu arbeiten. Das ist eine gute Ausgangsbedingung. Die Ausbildungseinheiten beinhalteten unterschiedliche partizipative Übungen, ganz viel Diskussionsraum, in dem die Jugendlichen unterschiedliche Meinungen und Erfahrungen austauschen konnten. Am Kursende überlegten die Teilnehmenden, wie sie die erlernten Inhalte umsetzen und anderen Jugendlichen zugänglich machen können.
Die Mädchen kreierten zum Beispiel einen mehrsprachigen Informationsflyer (s. Foto) mit Stickerfunktion, über den mittels eines QR-Codes direkt die Frauenhelpline gegen Gewalt angerufen werden kann. Anschließend haben wir die Flyer im 5. Bezirk verteilt. Die Buben haben in Parks im 5. Bezirk Flyer vom StoP-Projekt verteilt, um mit Parkbesucher_innen über das Thema ins Gespräch zu kommen. Ein Teilnehmer filmte die Streetworkaktion mit den jeweiligen Statements der Parkbesucher_innen zum Thema Gewalt. Das war eine tolle und gelungene Aktion, aus der ein kurzer Clip (nachzusehen auf: www.youtube.com/watch?v=cGx2520tkME) entstanden ist, um das Projekt auf Social Media zu bewerben. Mit diesen Streetwork-Aktionen konnten die Jugendlichen ihre erlernte Expertise aktiv umsetzen und mit Margaretener_innen über das Thema Gewalt sprechen. Wir waren sehr beeindruckt von dem herausragenden Engagement der teilnehmenden Jugendlichen.
* Helpline für Frauen und Mädchen: 0800/222 555
Opfernotruf für Burschen: 0800/122 122
StoP – Stadtteile ohne Partnergewalt wurde von Sabine Stövesand, HAW Hamburg, Department Soziale Arbeit, entwickelt. In Wien-Margareten arbeitet StoP – Stadtteile ohne Partnergewalt – als Nachbarschaftsprojekt.
StoP wird vom Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser, AÖF, koordiniert.
www.stop-partnergewalt.at
Weitere Multiplikator_innen-Ausbildungen für Jugendliche sind für Anfang Juli geplant. Aktuelle Infos gibt’s hier:
www.stop-partnergewalt.org/wordpress/2021/04/abschluss-der-workshops-jugend-gegen-partnergewalt
Anmeldung: jugend@stop-partnergewalt.at