DokuFunk ist ein Archiv der besonderen Art: Gesammelt und aufbewahrt werden vor allem Versatzstücke und historische Dokumente aus der Amateur_innenfunk- und Rundfunkgeschichte des Landes.
TEXT & FOTOS: CHRISTOPH FELLMER
Es gibt Gegenden in Wien, in die kommt man nicht zufällig beim Flanieren, sondern nur mit Absicht. Das Stück Industriegelände zwischen der U6-Station Perfektastraße und dem Bahnhof Liesing ist eine solche: eine Gegend, die von Autofahrer_innen für Autofahrer_innen gestaltet wurde, was auch die teilweise fehlenden Gehsteige erklärt. Tagsüber ist am dortigen Highway die Hölle los, es ist ein Industriegelände, und wer es zu Fuß zum Dokumentationsarchiv Funk wagt, bekommt eine Reihe von Industrieartefakten zu sehen, vom Brotway eines männlichen Bäckereibetriebs bis zum Amazon-Verteilzentrum. Dazwischen gefällig in der Landschaft verstreut ein paar Mobilfunkmasten und als Orientierungshilfe der alles überragende Sendeturm des ORF Zentral Lagers Liesing, ein malerischer Ort An den Steinfeldern 4A.
QSL-Karten.
Gleich neben dem Stahlgebirge befindet sich im Trakt A im zweiten Stock das Dokumentationsarchiv zur Erforschung der Geschichte des Funkwesens und der elektronischen Medien. Wie der leicht sperrige Name ausdrückt, handelt es sich um ein Archiv und nicht um ein Museum. Wer Radiorelikte wie alte Volksempfänger sucht oder mit schmelzendem Herzen historische Verstärkerröhren betrachten möchte, wird bei DokuFunk nicht fündig. Was hingegen archiviert wird, sind einerseits Artefakte aus der Amateur_innenfunkwelt, wie etwa zehn Millionen sogenannter QSL-Karten, die unter Funker_innen als Empfangsbestätigungen gelten. Andererseits gilt die Sammelleidenschaft historischen Dokumenten aus der «echten» Rundfunkwelt, wie etwa alte Bandaufnahmen oder Sendungsmanuskripte. «Die Rundfunkgeschichte in Österreich ist unser größter Sammelbereich», sagt DokuFunk-Geschäftsführerin Paulina Petri, beginnend «bei der RAVAG-Geschichte im Jahr 1924 bis hin zur Geschichte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks». Einen Schlussstrich gibt es nicht, gesammelt wird bis in die Gegenwart hinein: Mitschnitte (z. B. Deutsche Welle), Bildmaterial, Objekte (wie ein historisches Radio-Wien-Schild), Manuskripte oder Nachlässe, wie etwa der des 2003 verstorbenen Radiosprechers Walter Niesner, der durch die Sendung Autofahrer unterwegs landesweit bekannt war. Auch der Nachlass von Oskar Czeija, der mit der RAVAG (Radio-Verkehrs-AG) die erste österreichische Rundfunkanstalt leitete, ist im DokuFunk-Archiv enthalten. Über das weitgehend digitalisierte Material, das um Metadaten ergänzt durchforstet werden kann, freuen sich nicht nur forschende Studierende: «Im privaten Bereich haben wir die meisten Nachfragen nach QSL-Karten», sagt Christoph Hubner, wissenschaftlicher DokuFunk-Mitarbeiter. Das sind Empfangsbestätigungen, die sich Funker_innen untereinander nach erfolgreichem Empfang zukommen lassen; analoge Trophäen, die zum Teil recht originell gestaltet sind. Aber nicht nur Funker_innen schicken einander QSL-Karten, Ähnliches machen auch Rundfunkanstalten. «Sie strahlen ein Programm aus, und dann hört beispielsweise ein Kurzwellenhörer aus Wien eine Sendung aus Taiwan», erklärt Christoph Hubner. «Das teilt er dem Sender mit und bekommt als Dank eine QSL-Karte.» Der Name kommt übrigens aus der Steinzeit des Funks, als Morsezeichen den Takt vorgaben, und bedeutet abgeleitet: «Ich habe empfangen.»
Vier Radiobereiche.
Ein Sammelschwerpunkt im Rundfunkbereich fokussiert auf Material der Propagandasender nach dem Zweiten Weltkrieg, als Österreich und Wien nicht nur in vier Besatzungszonen, sondern auch in vier Radiobereiche aufgeteilt wurde. Moskau versorgte die Welt mit der Russischen Stunde beim Sender RAVAG, Frankreich betrieb die Sendergruppe West (in der etwa Ernst Grissemann oder Axel Corti ihre Wurzeln hatten), Großbritannien die Sendergruppe Alpenland und die USA den Sender Rot-Weiß-Rot (mit Heinz Conrads und Maxi Böhm als Highlights). Während von den Besatzungssendern nicht viel Material erhalten geblieben ist, «haben wir von der Russischen Stunde fast 1400 Manuskripte, teils aus KPÖ-Beständen», sagt Paulina Petri. Trotz der klingenden Namen waren die Sender Zensurbetriebe, die das Volk launig mit Ideologie versorgen sollten. Radio wie wir es heute kennen, begann in Österreich erst im Jahr 1957 mit der Gründung der Österreichischen Rundfunk Ges. m. b. H. und mit dem neun Jahre später beschlossenen Rundfunkgesetz, durch das der ORF eine Anstalt des öffentlichen Rechts wurde.
Auch im Sortiment enthalten, aber nicht digitalisiert, weil die entsprechende Hardware fehlt, sind einige Schellack-Platten, die aus einer Zeit stammen, in der Begriffe wie High Fidelity oder Dolby noch nicht einmal Fremdworte waren. Zur Erklärung: Schellacks sehen ein bisschen aus wie Vinyl-Platten, ihre Nachfolger, hatten einen Durchmesser von 25 bis 30 Zentimeter und konnten auf einem Grammophon mit einer Stahlnadel mit 78 Umdrehungen pro Minute stromlos abgespielt werden, bei bis zu vier Minuten Musikwiedergabe. Ihr Name resultiert aus dem Material, aus dem sie bestehen: Schellack ist eine harzige Substanz, die aus der Scheiße von Lackschildläusen gewonnen wird (und sich, technisch gesehen, meistens auch so anhört). Schellackplatten wurden bis etwa Mitte der 1960er-Jahre hergestellt und sind oft Sammler_innenstücke.
Mit dem ORF sehr verbunden.
Gegründet wurde DokuFunk «vor 34 Jahren von Professor Wolf Harranth, einem freien Mitarbeiter von Radio Österreich International. Er ist leider letzten August verstorben», sagt Paulina Petri. Das Archiv befand sich zunächst in einem fensterlosen Kammerl im ORF-Zentrum am Küniglberg, ab August 2000 in einem Mietshaus gegenüber dem Funkhaus in der Argentinierstraße. Im Jahr 2009 musste DokuFunk einem dann doch erfolglosen Society-Format weichen, und «nun arbeiten wir am äußersten Stadtrand von Wien in einem ehemaligen Fabriksgebäude». Aber es ist eine Arbeit, die offenbar Spaß macht, denn: «Wir lieben unser Archiv», sagt Paulina Petri, die Politikwissenschaft studiert hat und wie ihr Kollege Christoph Hubner (Geschichtsstudium) fachlich völlig unbelastet zu DokuFunk gekommen ist. «Durch unsere Projekte haben wir viel gelernt. Ich bin sogar Amateur-Funkerin geworden, um die Materie besser zu verstehen.» Obwohl DokuFunk auf einem Infrastrukturgelände des ORF logiert, gehört er nicht zum Staatsfunk. «Wir sind ein nicht gewinnorientierter Verein, der über Spenden und Förderungen finanziert wird und auch über Dokumentationsaufträge, die wir abwickeln», erläutert die Geschäftsführerin. «Unsere Arbeitsschwerpunkte sind mit dem ORF naturgemäß sehr verbunden, deshalb stehen uns diese Räumlichkeiten zur Verfügung. Wir ergänzen das ORF-Archiv, nicht umgekehrt. Im Vordergrund steht die wissenschaftliche Aufarbeitung.» Diesem Anspruch steht eine Bibliothek mit etwa 5000 Büchern zur Amateur_innen- und Rundfunkgeschichte zur Seite. «Alle Sammlungen und Archive sind jederzeit nach Anmeldung kostenlos zugänglich», sagt Paulina Petri, «es stehen auch Hör-, PC- und Studienplätze zur Verfügung.»
Radiosendung mit Bildstreifen.
Visuell ist DokuFunk eher unspektakulär, ein Archiv eben und kein Museum, mit dementsprechend langen Regalreihen und Aktenschränken. Die Schätze entdeckt man erst beim Wühlen – und man betritt durchaus auch Neuland, von dem auch in der Wikipedia nichts geschrieben steht. Oder wussten Sie etwa, dass im Jahr 1926 ein sogenanntes Radioskop den Fernseher vorwegzunehmen versuchte? «Christoph hat ein Radioskop auf einer Secondhand-Plattform gefunden, und seitdem ist es eines unserer physischen Highlights», erklärt Paulina Petri: «Es ist ein Projektionsgerät für den Hausgebrauch, das Bildstreifen passend zur jeweiligen Radiosendung an die Wand wirft.» Begleitend zum Radioprogramm konnte man für 2,20 Schilling pro Monat kleine Bildstreifen kaufen, die vom Radioskop projiziert wurden und das jeweilige Programm von Radio Wien in einen «Lichtbildvortrag im eigenen Heim» verwandelten. Die frühe Multimedia-Anwendung wurde allerdings nach etwa zwei Jahren wieder eingestellt, da es dem Publikum offenbar zu mühsam war, zum Radiohören das Zimmer zu verdunkeln. Bei DokuFunk kann man sich ein Bild davon machen, wie sich Menschen vor fast 100 Jahren ihre Bilder (und Töne) machten – und genauso wundern, wie man sich in einem Jahrhundert vermutlich über Flachbildschirme wundern wird.