Wie recht der Kasperl hattetun & lassen

Waldviertelautobahn: Wer profiert? Umwelt? Menschen? Konzerne?

Region und Transit. Das bekannte ­Duett der österreichischen Superbaufirmen hat Appetit auf Großprojekte. Die ­Republik sorgt dafür, ihn zu stillen. Noch glauben viele, die Waldviertelautobahn sei gut für das Überleben der Region, aber es regt sich Widerstand …
Text und Fotos: Robert Sommer

Schon vor fast 40 Jahren hatte Günther Nenning, Journalist, Autor und politischer Aktivist, gute Gründe, als Spezialität des Herrschaftssystems in Österreich die Entmündigung der parlamentarischen Politik durch die Baukonzerne zu nennen. Politiker_innen aller Parteien weigerten sich, mit diesem «Politkasperl» darüber Tacheles zu reden. Politisch galt Nenning in seinem «Alterswahnsinn» als nicht salonfähig. Vor zehn Jahren fand eine rechtswissenschaftliche Studie des Wiener Rechtsanwalts Josef Unterweger, der auf die Wahrnehmung Nennings zurückkam und die Frage beantwortet, warum westliche Medien nur zur Bezeichnung russischer Herrschaftsverhältnisse den Terminus Oligarchie verwenden, kaum Beachtung. Österreich – eine Oligarchie von Baukonzernen mit angeschlossener Republik lautete der Titel.

Wer profitiert von der Autobahn?

So gesehen ist der nun wieder forcierte Plan einer Waldviertelautobahn auf der Linie Freistadt-Zwettl-Horn-Hollabrunn ein Projekt zugunsten der Oligarchie und nicht zugunsten der Waldviertler_innen, wie die Autobahnlobbyist_innen behaupten. Unterweger in seiner Studie: «Die gegenseitige Durchdringung und personelle Verflechtung im Bereich Banken, Bau, Immobilien und Politik ist notorisch und wird von keiner Kartellbehörde behindert.» Und weiter: «Verfahren gegen die Oligarchie gibt es nicht, weil es keine Ermittlungsergebnisse gibt. Ermittlungsergebnisse gibt es keine, weil die Ermittler weisungsgebunden sind. Die Ermittler sind die Polizei und die Staatsanwaltschaft.»
Gleichzeitig, so schreibt er, habe die Politik ihre Unabhängigkeit gegenüber den zwei führenden Zementmixern Strabag und Porr verloren, weil die Bau-Oligarchie die Vorstände und Aufsichtsräte der Auftraggeber besetzt hat. Neben Raiffeisen soll Strabag-Boss Haselsteiner der Kapitalist mit dem größten Einfluss auf die Politik sein. Übrigens zählt Raiffeisen zu den größten Aktionären der Strabag. Ohne Zweifel, die Waldviertelautobahn wird eine Strabag-Trasse werden (es gilt die Unschuldsvermutung).
Die Sprache ist in Bewegung geraten, wie immer, wenn Großprojekte schöngeredet werden müssen. Die Fanatiker_innen der Betonitis reden von «Schnellstraße» statt Autobahn. Trotz angewandter PR-Kompetenz verschwindet der Begriff aber nicht. «Welche Titel sie auch immer in die Welt schicken, sie sind alle aus ihrer Perspektive kontraproduktiv», meint Josef Baum, umtriebiger Waldviertelmarxist. Waldviertelautobahn sei eine etwas zu schwadronierende Bezeichnung für eine Straße, die die beiden Provinzstädte Freistadt und Hollabrunn verbindet. «Deshalb ist ihnen der Titel Europaspange eingefallen.» Auch nicht die beste Idee, denn sie nimmt schon den übernationalen Transitverkehr vorweg, den die Baulöwen einerseits zur Legitimierung der Strecke brauchen; der andrerseits geleugnet wird, denn eine neue Hochleistungsstraße hat noch nirgends die CO2-Emissionen reduziert.

Protest-Bewegung.

Teilweise ist auch die Politik in Bewegung geraten. Wer hätte gedacht, dass Altlandeshauptmann Erwin Pröll der prominenteste Gegner der neuen Transitroute ist; nichts Neues ist leider, dass die sozialdemokratischen Gewerkschafter_innen am lautesten Ja schreien. Allen Ernstes werfen die Sozialdemokrat_innen dem Konservativen Pröll vor, mit seiner Autobahnskepsis «das Waldviertel um seine Zukunft zu bringen». Langweilig im positiven Sinn sind die Grünen. Was sie von Knoflacher gelernt haben, vergessen sie nie mehr. Im Schatten des Autos wachsen die Lügen. Die Grünen der beiden betroffenen Länder Nieder- und Oberösterreich lehnen die neue Transitschneise geschlossen ab.
Vor allem aber scheint das Volk in Bewegung geraten zu sein. «Es deutet vieles darauf hin, dass wir im Waldviertel eine zivilgesellschaftliche Bewegung auf die Beine stellen, die die Region noch nie erlebt hat», sagt Politikwissenschaftler und Geograf Josef Baum, der aktiver Teil der Bewegung sein will und einen bereits (oder besser: noch) seltenen Typus akademischen Verhaltens verkörpert: die gelebte Symbiose von Widerstand und Forschung. Als am vergangenen 10. Mai in Waidhofen an der Thaya die Plattform Lebenswertes Waldviertel gegründet wurde, erwies sich ein großer Saal als zu klein; die Veranstaltung musste in eine Nebenräumlichkeit übertragen werden. Die Plattform forciert eine Bildung dezentraler bzw. Gemeindegruppen, um das Widerstandspotenzial flächendeckend zur Geltung bringen zu können.
«Ich spüre, dass an diesem 10. Mai was Besonderes passiert ist», sagt Baum. Für ihn ist Lebenswertes Waldviertel Produkt einer vielversprechenden Fusion. Zwei verschiedene Szenen des Ungehorsams haben sich in Waidhofen vereinigt. In den Worten Josef Baums: «Das ist einerseits die Gruppe um die geerdeten Waldviertler Wirtschaftstreibenden Peter Kastner, Thomas Kainz, Heini Staudinger und Johannes Gutmann. Sie kennen keine organisatorischen Probleme, die nicht gelöst werden können, kommen aus der christlich-sozialen Tradition, und viele von ihnen waren vor 40 Jahren im Kampf gegen die Atommülllagerung im Waldviertel engagiert. Die andere Gruppe nennt sich Verkehrsforum Waldviertel, steht den Grünen nahe; viele von ihnen waren Aktivist_innen gegen den Abbau der Thayatalbahn.» Josef Baum ist der Obmann des Verkehrsforums.

Nicht auf Schiene.

Einigkeit herrscht in der Kritik der Schienenpolitik der letzten Jahrzehnte. Die Franz-Josephs-Bahn und ihre Verästelungen sind, würden sie ausgebaut werden, eine finanzmittelschonende Alternative zur Autobahn. Laut Rechnungshof kostete die großzügige Umfahrung Zwettls, offensichtlich in informeller Weise das erste realisierte Teilstück der geplanten Waldviertel-Transitroute, 15 Millionen Euro pro Kilometer. Josef Baum schätzt, dass die Waldviertelautobahn kaum unter 20 Millionen pro Kilometer kosten würde. Im Fall der 150 Kilometer langen Transitverkehrsstrecke Freistadt-Hollabrunn würde das Betonband drei Milliarden kosten. Die Bevölkerung hätte zur Plünderung öffentlicher Kassen auch noch den Schaden, dass wertvolle Erholungslandschaften verloren gingen, je nach Route. Gefährdet ist etwa das Gebiet um die Kampstauseen, das Areal des Truppenübungsgeländes Allentsteig (dieses sollte wegen seines Rekord-Artenreichtums in einen Nationalpark verwandelt werden; der einzige Wolfsrudel Österreichs scheint hier locker überleben zu können), die Wanderparadiese Groß Gerungs und Eggenburgs und die vielleicht schönste natürliche Flusslandschaft Österreichs, das Kamptal.
Es sind also landschaftliche Gustostückerl, die auf stadtflüchtende Wiener_innen eine magnetische Energie ausüben. Verwurzelte Waldviertler_innen und ihre neu zugereisten Nachbar_innen verbindet zumindest ein ähnliches Verständnis von schützenswerter Idylle; wenn´s hart auf hart geht, können sie eine gemeinsame Praxis der Opposition entfalten. Beiden sozialen Gruppen (den Einheimischen und den Zua­grasten) wird die Europaspange wider besseres Wissens schmackhaft gemacht.

Was wird wirklich passieren?

Zunächst einmal wird der aus dem Süden Tschechiens kommende Schwertransporter dankbar sein, eine kürzere Transitstrecke Richtung Wien entdeckt zu haben. Er erspart sich den Umweg über Linz, wo die Staus sich häufen, und biegt schon bei Freistadt Richtung Wien ab. Ab Hollabrunn gerät er in den Stau, dem er in Linz entgehen konnte; mit dem Unterschied, dass der Stau vor Wien katastrophaler ist. Denn neue Transitstrecken haben die oft erforschte und bestätigte Eigenschaft, neuen Transitverkehr zu «erfinden».
Den klimapolitischen Aktivist_innen fehlt am Land jenes radikale Element, das sich in den Großstädten als klimapolitischer Schüler_innenstreik zur Überraschung von Freund und Feind etablierte. Die global wirkende Bewegung fasziniert, weil sie der Koalition der Klimaretter_innen einen nie gesehenen – und auch von Linken nie angedachten – Lobbyismus für noch Ungeborene beifügt und quasi ein neues «revolutionäres Subjekt» konstituiert, eine Gewerkschaft der zukünftigen Generationen. «Die Leute sagen mir und den anderen Millionen Schulschwänzern immer, dass wir stolz auf uns sein sollten, für das, was wir erreicht haben. Aber das Einzige, wo­rauf wir schauen müssen, ist die Emissionskurve. Und so leid es uns tut, aber sie steigt immer noch», sagte Greta Thunberg in einer ihrer erfrischenden Reden.
Also keine Waldviertelautobahn, und die neue Weinviertelautobahn in Europas größtes Skaterparadies verwandeln oder sie der korrigierenden Natur überlassen, so würde Greta auf einer Massenversammlung in Horn sprechen, und ganz tief innen würden die Eltern den Kindern recht geben.

Chronologie der Waldviertelautobahn
Das als Waldviertelautobahn bekannt gewordene Straßenbauprojekt wird seit langem diskutiert. Im Mai 2018 legte die Niederösterreichische Landesregierung ein Konzept für eine Transitroute, offiziell «Europaspange» genannt, vor, die von Oberösterreich bis ins Weinviertel verlaufen soll. Im Frühjahr 2019 wurde die «Strategische Prüfung-Verkehr» vom Bund aufgenommen, die rund zwei Jahre dauern soll. Ob und wann gebaut wird, ist noch nicht klar, dauern könnte ein Bau, wie zuletzt kolportiert, zehn bis fünfzehn Jahre. 2018 übergaben die Grünen eine Petition an die Regierung, derzeit kann man eine Petition des Verkehrsforum Waldviertel unterschreiben (siehe Homepage).

www.verkehrsforumw4.at