Wie rechtmässig sind die Schwarzafrikanerprozesse?tun & lassen

"Helmis" schmutziger Beruf

Seit einigen Monaten rollt vor Wiens Strafgerichten eine wahre Flut an Prozessen. Denn die im Rahmen der Operation Spring als angebliche Drogendealer festgenommenen Schwarzafrikaner sollen jetzt „ihrer gerechten Strafe zugeführt werden“. Die Rechtmäßigkeit dieser Prozesse wird im Folgenden in Frage gestellt – und zwar aus der Sicht eines Juristen, den der AUGUSTIN um eine Expertenmeinung gebeten hat.Angesichts der – fast am Fließband vorgenommenen – Verurteilungen stellt sich durchaus die Frage, wie weit das Vorgehen der zuständigen Gerichte – gemäß der möglichen Strafhöhe von im allgemeinen bis zu 15 Jahren handelt es sich zumeist um Schöffensenate – gegen „nigerianische und andere schwarzafrikanische Drogendealer“ jenen Grundsätzen folgt, die der Gerichtshof für Menschenrechte aus jenen Regelungen erarbeitet hat, die in der Menschenrechtskonvention für die Durchführung eines fairen und waffengleichen Strafverfahrens sorgen sollen.

Da die Beweisführung in den meisten Fällen – zumindest teilweise – über anonym abgegebene Aussagen erfolgt, sind die Angeklagten vielfach während der – für ihre Verurteilung schlussendlich auch relevanten – Beweisaufnahme aus dem Verhandlungssaal abgeführt. Denn die anonymen Belastungszeugen treten nicht nur abstrus maskiert zu ihrer Aussage an, sondern vornehmlich auch nur in Abwesenheit jener, die von ihnen beschuldigt werden. Trotzdem es zumeist gerade die Aussage dieser Zeugen sein wird, auf die sich die Verurteilung dann stützt, hat der im Drogenprozess angeklagte Schwarzafrikaner heute kaum eine Chance die „Glaubwürdigkeit“ dieser anonymen Belastungszeugen wirksam zu hinterfragen. Somit wird unmöglich gemacht, was in anderen Strafverfahren durchaus geeignet sein kann, erhebliche Zweifel am Wahrheitsgehalt und der Richtigkeit einer Aussage zu wecken. Nämlich hinter der Aussage stehende Motivationen und Beweggründe des Zeugen aufzudecken.

Der einfache Satz „der belastet mich nur deshalb, weil er aus diesem oder jenem Grund was gegen mich hat“ wird zur Farce, wenn man sein Gegenüber entweder überhaupt nicht kennt, oder aber zwar Vermutungen hat, wer der Denunziant nun sein könnte, aber durch den Richter keinerlei Möglichkeit erhält, sich diesbezüglich auch weiter zu äußern. Selbst wenn ein Angeklagter vom Gericht – nachdem ihm die Aussage des Belastungszeugen in Zusammenfassung übersetzt worden ist – gefragt wird, warum er denn denke, dass er beschuldigt worden sei, bleiben – ohne die Identität des Belastungszeugen noch dessen Motive zu kennen – sämtliche Erklärungen rein theoretisch und ähneln somit eher Vermutungen oder hilflosen Erklärungsversuchen.

Aber auch Fragen, die der Verteidiger – in Abwesenheit seines Mandanten – an den Zeugen richtet, werden durch das Gericht sofort abgeblockt, wenn sie Beweggründe ansprechen, die einen Zeugen allenfalls auch zu einer Falschaussage verleiten hätten können. Selbst simpel herauszufinden, ob der einzelne Zeuge nun selbst demnächst der Strafverfolgung gegenübertreten wird, und somit hinter seiner Aussage jenes erhebliche Eigeninteresse vermutet werden darf, das vom Gesetzgeber durch die Chance auf Strafmilderung geschaffen wurde, stellt einen Verteidiger heute vor unüberwindbare Probleme.

Zwar sollte das Gericht – laut einer Vorschrift in der Strafprozessordnung – „der Verteidigung Gelegenheit geben, sich gerade mit Glaubwürdigkeit des anonymen Zeugen, sowie der Beweiskraft seiner Aussage speziell auseinandersetzen zu können“. Doch dies endet immer dort, wo Fragen – aus der Sicht des Gerichtes – an den Zeugenschutz rühren. Punkte ansprechen, die einem Zeugen eine bestimmte Identität zuordnen, wird nicht erlaubt. Und die Tatsache, dass eine Person demnächst selbst Angeklagter in einem Strafverfahren sein wird, kann dieser Person durchaus ihre Anonymität nehmen!

Also werden solche Fragen immer unter dem Titel des „Zeugenschutz“, und mit der Begründung, es bestehe Gefahr für Anonymität und Sicherheit des Zeugen, zurückgewiesen. Und dies, obwohl die Identität der meisten anonym aussagenden Zeugen den Angeklagten einerseits ohnedies schon bekannt geworden zu sein scheint, und andererseits zweifellos ebenso gefährdete Personen – wie ehemalige Abnehmer der Drogen – durchaus der „Gefahr“ ausgesetzt werden, der „gefährlichen Drogenmafia“ offen, und damit ungeschützt, entgegentreten zu müssen.

Die Tarnmaske tarnt die Verlegenheit des Zeugen

Auch wird die tarnende Maskierung meist aufrechterhalten, obwohl der Angeklagte sich meist gar nicht mehr im Verhandlungssaal befindet. Dies aber schränkt gerade jene Wechselwirkung, auf die als non-verbale Kommunikation der Gerichtshof für Menschenrechte immer wieder größten Wert gelegt hatte, gravierend ein. Unsicherheiten während der Aussage bleiben in wesentlichen unsichtbar. Man sieht nicht, ob der Zeuge die Augen niederschlägt, verlegen ist, oder ihm die Beantwortung einer bestimmte Frage deutlich Probleme bereitet. Und neben allen anderen Aspekten wird überdies oft erst in dem Moment, in dem die tarnende Maskierung fällt, allzu offensichtlich, mit wem man es hier tatsächlich zu tun hat.

In einigen wenigen Verfahren hatte der vorsitzende Richter zwar die Demaskierung des Zeugen befohlen, indem er zu dessen Schutz bisweilen auch den Ausschluss der Öffentlichkeit angeordnet hatte. Dies hatte es zwar zumindest dem Verteidiger ermöglicht, Gefühlsregungen des Zeugen auch beobachten zu können, und allenfalls darauf zu reagieren. Dennoch hatte auch dies nichts daran geändert, eine tatsächliche Infragestellung des Zeugen war aufgrund der aufrechten Anonymisierung und Abführung des Angeklagten nicht möglich gewesen.

Ähnlich verhält es sich mit der Abwesenheit des Angeklagten in der Beweisaufnahme. Sie ist nach unserer Strafprozessordnung wie auch nach den Grundsätzen des Gerichtshofes für Menschenrechte dann kurzfristige möglich, wenn zumindest der Verteidiger Gelegenheit erhält, die Interessen des Angeklagten in dessen Abwesenheit zu wahren. Ohne hier auf Feinheiten unseres Strafprozesses eingehen zu wollen, ist schon die Tatsache, dass der Angeklagte wegen der Anonymisierung des Zeugen und seiner eigenen Abführung während dessen Einvernahme, keine Möglichkeit hat, diesen Zeugen auch mit gezielten Fragen konfrontieren zu dürfen, durchaus als Bruch der Menschenrechtskonvention zu betrachten. Wie könnte den ein Verteidiger, der – da sein Mandant selbst nicht weiß, welcher Zeuge demnächst in seiner Abwesenheit vernommen werden wird -, durch seinen Mandanten daher auch keinerlei Anweisungen über eine zielgerichtete Verteidigung erhalten hat, denn nun tatsächlich als Vertreter der Interessen seines Mandanten fungieren. Denn eine Infragestellung der Wahrnehmung eines Zeugen kann selbstverständlich nur über genaue Fragen zu angeblichen Beobachtungen an Tatorten und bei vom Zeugen angegebenen Deliktshandlungen wirklich bewerkstelligt werden.

Durch dieses Vorgehen aber wird nicht nur jenes Recht verletzt, das ein Angeklagter gemäß der Menschenrechtskonvention darauf hat, die „Ladung und Einvernahme seiner Belastungszeugen unter den selben Bedingungen zu erwirken, wie die Ladung und Einvernahme von Entlastungszeugen“, sondern vor allem auch das Recht auf eine wirksame Verteidigung durch die Beistellung eines Rechtsvertreters.

Wesentliche Divergenz zur Rechtssprechung des Straßburger Gerichtshofes

Und gerade in diesen Punkten liegt auch die wesentliche Divergenz zur Rechtsprechung des Gerichtshofes für Menschenrechte in Straßburg. Denn der Gerichtshof hatte zwar in vergleichbaren Fällen die Anonymisierung von Zivilpersonen, die als Zeugen aufgetreten waren, – wie etwa gerade jener ehemaligen Drogenkonsumenten -, durchaus für zulässig erachtet. Dies allerdings nur dann, wenn der Verfahrensrichter zuvor eine im einzelnen geführte, genaue Abwägung der gegenläufigen Interessen vorgenommen hatte. Denn die Schutzwürdigkeit des Zeugen steht hier im Gegensatz zu jenem Anspruch, den jeder in einem Strafverfahren Beklagte auf die Einhaltung seiner Verteidigungsrechte hat. Müssen diese Verfahrensrechte – wie etwa das Recht seine Belastungszeugen offen auch mit unangenehmen Fragen konfrontieren zu dürfen – allenfalls doch eingeschränkt werden, kann dies eben nur unter genauer Begründung erfolgen, wie weit dieses Vorgehen zum Schutz des Zeugen nun auch tatsächlich nötig gewesen war. Anonymisierungen vorzunehmen, damit eine sichere Überführung möglichst vieler Personen erzielt wird, wäre immer unzulässig.

Denn jeder Angeklagte hat in seinem Prozess das grundlegende Recht auf eine saubere Überführung, die mittels einer im wesentlichen offengelegten Beweislage durchgeführt wird. Nur dann, wenn Beweismittel in seiner Anwesenheit und unter Mitwirkung durch einen Verteidiger, welcher auch wirksam als Vertreter der Rechte und Interessen des Angeklagten auftreten kann, aufgenommen wurden, kann von einer tatsächlichen Überführung in einem fairen Prozess, der unter Waffengleichheit – zwischen Anklage und Verteidigung – durchgeführt wurde, und auch unter Wahrung der Unschuldsvermutung erfolgt ist, gesprochen werden. Kann dies durch die Strafverfolgung nicht geleistet werden, muss eben immer ein Freispruch erfolgen.

Schwer Verdächtige als Kronzeugen – Die Beweisführung wird zur Farce

Die Grundsätze, die der Gerichtshof in Straßburg hierzu erarbeitet hatte, lassen sich zwar nur schwer in einzelnen Rechtssätzen zusammenfassen. Denn der Gerichtshof versucht einerseits, nicht unzulässig in die Beweiszulassung und Beweiswürdigung des einzelstaatlichen Gerichtes einzugreifen, andererseits legt er doch immer besonderes Gewicht auf die Ausgewogenheit richterlichen Handelns,und den Schutz der Verteidigungsrechte.

Hatte der Gerichtshof eine anonyme Aussage, die nur den Anstoß für die Ermittlungstätigkeit der Exekutive gegeben hatte, in älteren Beschwerdesachen noch toleriert, hat er nun in einer der jüngsten Rechtssachen doch eine Verurteilung des betreffenden Landes – Großbritanniens – vorgenommen. Denn die Tatsache, dass diese anonyme Aussage, die noch dazu aus beträchtlichem Eigeninteresse – nämlich gegen Belohnung – abgegeben worden war, im Verfahren nicht offengelegt werden konnte, wurde vor allem deshalb als Bruch der Grundsätze der Menschenrechtskonvention erachtet, weil durch sie das spätere Vorgehen der Strafverfolgung erheblich bestimmt wurde. Denn somit wurden Personen, die selbst unter schwerstem Verdacht gestanden waren, in die Lage versetzt, nunmehr sogar als Kronzeugen gegen die Angeklagten auftreten zu können.

Und dies erinnert in vielem an die beweisrechtliche Lage, wie sie sich heute vor österreichischen Gerichten darstellt. Es tritt ein fast „berufsmäßig“ anonymisierter Zeuge – eskortiert durch eine Unzahl von Polizisten – auf, bekommt das Gesicht des Angeklagten entweder auf einen Bildschirm übertragen, oder auch nur als Fotografie vorgelegt, und erzählt seine Geschichte. Von diesen Zeugen ist besonders einer – der als „Helmi“ berühmt gewordene AZ 1 – besonders gut informiert, da er über fast alle – in um die 80 Prozessen – beschuldigten Beklagten zumindest irgendwelche Informationen zu haben scheint.

Gerade angesichts seiner Aussage darf aber nicht vergessen werden, dass „Helmi“, der sich jetzt bei jedem Auftreten vor Gericht besser beschützt fühlen darf, als ein hoher Diplomat und Staatsgast, seinen Status sofort verlieren wird, wenn er von den Gerichten einst nicht mehr gebraucht werden wird. Auch dies muss – abseits jeder Gefahr einer möglichen Bestrafung – , ein erhebliches Eigeninteresse daran schaffen „im Geschäft zu bleiben“, schon deshalb, um weiter rund um die Uhr auch beschützt zu werden.

Jeder, der nun der Ansicht sein mag, die hier verurteilten „Drogendealer“ hätten diese Einschränkung ihrer Rechte im Prozess durchaus verdient, sei daran erinnert, wie wesentlich die Einhaltung der Verteidigungsrechte für j e d e n Angeklagten ist. Noch vor einem halben Jahrhundert ließen die Gerichte dieses Landes es für eine Verurteilung ausreichen, dass ein „Parteitreuer“ einen anderen des Hochverrates denunziert hatte. Wollen wir nicht in Gefahr laufen, demnächst nur deshalb verurteilt zu werden, weil wir uns einen unversöhnlichen Feind gemacht haben, der auch vor Gericht skrupellos lügen kann, müssen wir wachsam sein.

Denn es sind nicht irgendwelche Gerichte „woanders“, sondern unsere Gerichte, in denen Richter wieder beginnen, sich damit abzufinden, dass es „anständige Menschen“ gibt – also hier den „guten Schwarzen“, der auf der „richtigen Seite“ steht und dessen Motive und Beweggründe demgemäß nicht hinterfragt werden dürfen, während andere „dunklen Gestalten“ – in Handschellen vorgeführt – immer zu Recht beschuldigt werden. Leugnen sie, sind sie allenfalls verstockt und haben schon deshalb keine Strafmilderung zu erwarten, da sie nicht zugeben wollen, was sie bisweilen wirklich nicht getan haben.

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