Wie umweltfreundlich ist das Internet?tun & lassen

Die Treib­hausgas-Emissionen sind 2021 wieder gestiegen,  in Österreich wurden 77,5 Mio. Tonnen Kohlendioxid-Äquivalent emittiert. Auf den Strom- und Ressourcenverbrauch durch Digitaltechnologien macht die Bewegung «Bits & Bäume» aufmerksam – und präsentiert Alternativen dazu.

TEXT: BARBARA EDER
GRAPHIC RECORDING: STUDIO ANIMANOVA/CHRISTOPH J KELLNER

Um die CO2-Bilanz von einer ­Sekunde Google-Suchanfrage zu neutralisieren, müsste man 23 Bäume pflanzen – zu diesem Ergebnis kam vor einigen Jahren die Netzkünstlerin Joana Moll. Für ihr Projekt CO2GLE berechnete sie den CO2-Abdruck der am häufigsten genutzten Suchmaschine mit Daten aus dem Jahr 2015. Der amerikanische Tech-Konzern verzeichnete dazumal rund 47.000 Anfragen pro Sekunde, diese verursachten umgerechnet einen Kohlenstoff-Ausstoß von 500 Kilogramm.
Neueren Studien zufolge entfallen über zwei Prozent der weltweiten CO2-Emissionen auf die Internet-Nutzung, damit übersteigt sie den Anteil der globalen Luftfahrtindustrie. Den enormen Ressourcenverbrauch bedingt die gigantische technische Infrastruktur ­dahinter – man sieht sie nicht, interagiert nicht direkt mit ihr und muss sich bezüglich weiterer Informationen auf die Auskünfte ihrer Eigentümer:innen verlassen. Google behauptet, dass ­seine Serverfarmen seit vier Jahren ausschließlich mit erneuerbaren ­Energien betrieben würden; selbst wenn dies zuträfe, wäre es am Ende immer noch ökologischer, dort keine Suchanfrage zu stellen.

Faire digitale Gesellschaft.

Dass kein technisches Gerät in punkto Umweltschutz verträglicher ist als eines, ­zählte zu den Erkenntnissen, die der zweiten internationalen «Bits & Bäume»-­Konferenz ­vorausgingen. Im Oktober 2022 luden unter­schiedliche Akteur:innen aus den Bereichen Umweltschutz, Digitalpolitik, Entwicklungszusammenarbeit und Wissenschaft dazu ein, Forderungen und Handlungsvorschläge für den Klima- und Umweltschutz der Zukunft, für soziale ­Gerechtigkeit und mehr Demokratie im digi­talen Zeitalter zu erarbeiten. In den Hörsälen der Technischen Universität Berlin trafen Freie-Software-Enthusiast:innen aus dem Chaos-Computer-Club auf Fridays-for-Future-Aktivist:innen, suchten Vertreter:innen von Extinction Rebellion den Austausch mit Datenschützer:innen und den Pionier:innen erster Dorfrevitalisierungsinitiativen in verwaisten Landstrichen der ehemaligen DDR. Das Reden über «Development» beschränkte sich diesmal nicht auf die Entwicklung von Software, vielmehr ging es um die ­Transformation des großen Ganzen. Was das bedeuten kann, fasste Antje von Broock, Geschäftsführerin beim Bund für Umwelt und Natur­schutz, in ihrem Statement zusammen: «Wir stehen mit der Klima- und Ressourcenkrise und dem Artensterben vor den größten Herausforderungen unserer Zeit und das Zeitfenster zum Handeln wird immer kleiner. Es braucht mehr Klima- und Umweltschutz, es braucht mehr Ehrgeiz, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. ­Damit Digitalisierung einen Beitrag für eine ­sozial-ökologisch gerechte Zukunft leisten kann, müssen wir sie so gestalten, dass sie eine faire digitale Gesellschaft für Alle (sic!) ermöglicht und im Einklang mit den planetaren Grenzen steht.»

Heilsversprechen.

Mehr noch als ihre analogen Pendants führen Digitaltechnologien Heilsversprechen mit sich. Als konsumierbare Produkte einer globalen Unterhaltungsindustrie transportieren sie immer auch Visionen von einer besseren Welt. Demnach war das Aufkommen erster Smartphones nicht von lautstarken Protesten begleitet, vielmehr reihten die Appa­rate sich ein in gängige Erzählungen von einer mythologisch aufgeladenen Techno-Teleologie. War das Internet zu Beginn der Neunziger noch mit der Utopie grenzenloser Informationsfreiheit verbunden, so stellt sich auch dahingehend die Frage nach gesellschaftlich notwendigen Beschränkungen und realen Kosten. Von den durchschnittlich rund 11 Tonnen CO2-äquivalenten Emissionen, die in Deutschland pro Mensch und Jahr anfallen, kommen immerhin 0,85 Tonnen auf Digitalgeräte, wie eine Studie des deutschen Öko-Instituts von 2020 darlegt. Mit 239 Kilogramm CO2 verursachen Surfen, Suchen und Mailen viel davon, ebenso ressourcenintensiv ist das Speichern von Daten in der Cloud. Den größten CO2-Fußabdruck ­bewirken ­indes Smartphones, PCs, Laptops und Fernseher. Die während der Herstellung dieser Geräte anfallenden Treibhausgas­emissionen werden in die Berechnung miteinbezogen, aufgrund der verwendeten Rohstoffe und des Energieaufwands bei der Halbleiterfertigung sind sie besonders hoch. Beim Abbau von Kobalt, Kupfer, Zinn und Lithium werden zudem Menschen, vielfach Kinder, ausgebeutet, die Minen, in denen sie arbeiten, liegen im Kongo, in Kolumbien, Afghanistan oder auf den Philippinen; wie dies in künftige Energiebilanzen einbezogen werden könnte, ist noch offen.

Daten und Energie sparen.

Datenspar­sames Agieren im Netz kann Emissionen reduzieren. Darauf sind pro­prietäre Plattformen und Social-Media-­Dienste, die von der Kommerzialisierung der Nutzer:innendaten leben, jedoch ebenso wenig ausgerichtet wie die meisten ihrer Rechenzentren. Längst ließen sich diese Rechenzentren CO2-neutral konstruieren, selbst die bei laufendem Betrieb ­anfallende Abwärme könnte man noch produktiv nutzen. Um den tatsächlichen Umstieg zu forcieren, bedürfte es nebst höherer CO2-Bepreisung jedoch auch eines anderen Handels mit Emissionszertifikaten. Auf dem 2005 EU-weit etablierten Markt kommen die großen Verbraucher:innen derzeit mit einer Kompensationszahlung von rund 85 Euro pro CO2-Tonne davon.
Nebst flächendeckender Mitbestimmung bedarf es auch technologischer Transparenz: Beim Streamen – einem auch postpandemisch beliebten Freizeitsport – sollten Nutzer:innen «ihr» Rechenzentrum künftig nach ökologischen Gesichtspunkten auswählen können und über den damit einhergehenden Energieverbrauch aufgeklärt werden, schlug Jens Gröger vom Öko-Institut bei der «Bits & Bäume»-Konferenz vor. Rainer Rehak, Mitbegründer des Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung, sah vor allem in der Web-Entwicklung noch viel Handlungsbedarf. In Zukunft könnten viele Webseiten so aussehen wie Anfang der 1980er Jahre: In Zeiten, als die Datenübertragungsrate zu wünschen übrig ließ und der Speicherplatz teuer war, kamen die meisten Websites mit geringen Kapazitäten aus, ihre Codes waren kurz, knapp und redundanzfrei. Und ja: Wie energieeffizient kann eigentlich ein Webseiten-System wie das oft benutzte WordPress sein, wenn ein Megabyte-schwerer Datenbank-Ballast im Hintergrund mitläuft?
Auch Apps ließen sich längst ressourcenschonend programmieren, besser wäre noch, es gäbe viele davon nicht. Oft handelt es sich dabei um unsichtbare Stromfresser und heimliche Datenschleudern, ihre Hintergrundaktivitäten sprechen ­Bände. Allein der durch ­Werbe- und Tracking-Aktivitäten verursachte Datenverkehr belief sich im Jahr 2021 europaweit auf 5 bis 14 Megatonnen CO2-­Äquivalente – ein Energieverbrauch, von dem viele Handy-Nutzer:innen nichts wissen. Miriam Ruhenstroth und Florian Petri vom Institut für Technik und Journalismus e. V. präsentierten bei der Konferenz ein kleines Programm, das die Verkehrswege hinter den bunten Icons der Apps in den Blick nimmt, als digitales Gemeingut wird es demnächst zur Verfügung stehen. Auch mit Blick auf das maschinelle Lernen von Computerprogrammen erscheinen technokratische Machbarkeitsimperative schlechterdings absurd: Laut einer Studie verbraucht allein das Training von Anwendungen, die sich einer KI (Künstlichen Intelligenz) bedienen, so viel CO2 wie fünf Autos in ihrem Lebenszyklus.

Genossenschaftlich digitalisiert.

Scrollen, Surfen, Cookies, Tracking, Bitcoin & Co sorgen derzeit für hohe Energieverschwendung und unnachhaltige ­Konsummodelle, forciert durch marktbeherrschende Plattformen und kapitalistischen Wachstumszwang. In einem Netz der genossenschaftlich organisierten Kooperativen wäre stattdessen ein «computing within limits» – also Computerhandhabe innerhalb von Grenzen – handlungsleitend, ausgerichtet an den tatsächlichen Bedürfnissen der Vielen; dafür müssten wir allerdings eine Währung zurückgewinnen, die derzeit nicht besonders hoch im Kurs steht: Vertrauen. Jenes in das Erreichen der 2015 in Paris festgelegten Klimaziele ist jedenfalls zutiefst erschüttert.
Der CO2-Ausstoß müsste im Jahr 2050 pro Person maximal eine Tonne betragen, um die Pariser Klimaziele nicht zu verfehlen. Fast eine ganze Tonne geht ­aktuell schon auf den digitalen Verbrauch. Solange alles bleibt, wie es ist, ist es schon zu spät – im Internet und im realen Leben.

www.bits-und-baeume.org