Wie viel verträgt die Welt?tun & lassen

Flughafen Wien Schwechat: Die Umweltverträglichkeit wird geprüft

Alle Unterlagen zur 3. Piste am Flughafen Schwechat zu lesen, würde wohl ein Leben lang dauern. Aber Umweltverträglichkeitsprüfungen sind nicht nur lang und wierig, sondern auch stark umkämpft, wie Peter A. Krobath bei seinen Erkundungen bemerkte.

Foto: System Change not Climate Change

Die Luft ist zuweilen eine undurchsichtige Materie. Zum Beispiel, wenn sie von Kondensstreifen durchzogen ist. Da lässt sich dann so manches hineinprojizieren. Etwa ein chemisches Gemisch, mit dem eine geheime Weltregierung unsere Denk- und Fortpflanzungsfähigkeiten beeinflusst. So verborgen dieser Luftkrieg auch abgewickelt wird, der gelernte Flugtechniker Norbert Gerwald Hofer hat eines Tages Wind davon bekommen. Und sich als FPÖ-Umweltexperte 2007 erstmals und 2013 ein weiteres Mal mit einer parlamentarischen Anfrage an die österreichische Bundesregierung gewandt: Was sie gegen «Chemtrails» zu unternehmen gedenke?

Genau nix, so sinngemäß die Antwort. Denn Verschwörungstheorien bleiben Unsinn, auch wenn sie von Nationalratsabgeordneten wiederholt auf die Tagesordnung gesetzt werden. Das Gefährliche am Unsinn ist aber, dass er von wirklichen Problemen ablenken kann. In unserem Fall z. B. von den stinknormalen, real existierenden Kondensstreifen und ihrem Einfluss auf die Klimaerwärmung.

Klimaschädliche Auswirkungen nicht einberechnet

Kondensstreifen und die von ihnen gebildeten Zirrus-Wolken wirken nämlich wie Treibhausgase und halten die ausgehende Wärmestrahlung der Erde zurück. «Kondensstreifen könnten zur Klimaerwärmung sogar noch mehr beitragen als der CO2-Ausstoß der Flugzeuge», sagt die Physikerin Brigitte Buschbeck, eine der Aktivistinnen, die sich gegen den Bau einer 3. Piste am Flughafen Schwechat engagiert (Der Augustin berichtete in Nr. 422/Oktober 2016).

Kondensstreifen treten in der Reiseflughöhe von 8000 bis 10.000 Meter Höhe auf. Die Fachleute, welche im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) das Projekt in Schwechat prüften, haben die Auswirkungen des Flugverkehrs nur bis zur Höhe von 915 Metern gemessen. Auch die supranationalen Emissionen der Luftfahrt werden in der UVP nicht berücksichtigt. Aus diesen und anderen Gründen haben Bürgerinitiativen etliche Beschwerden und Gegengutachten gegen die durch das NÖ-Landesgericht in der 1. Instanz ausgesprochene Genehmigung der 3. Piste eingelegt. Das Bundesverwaltungsgericht sollte in den nächsten Monaten darüber entscheiden.

Ein guter Anlass, um einmal grundsätzliche Fragen zu stellen: Woher kommt die Umwelt eigentlich? Was verträgt sie? Wer prüft das?

Die historischen Ursprünge der heutigen Umweltbewegung finden sich rund um 1900, im Umfeld von Lebensreform- und Gartenstadtbewegung. Die Verunreinigung von Flüssen, Böden und Luft durch die aufstrebende Industrie in den rasch wachsenden Metropolen führte zu einem neuen Problembewusstsein: Die einst bedrohliche Natur wurde zu einer bedrohten.

Schützet die Insekten!

Wobei die Naturliebe der einen nicht unbedingt mit der von anderen harmonieren musste. Wie sich z. B. beim Ersten Internationalen Ornithologen-Kongress 1884 in Wien zeigte: Dort sorgte der italienische Priester Giovanni Salvadori mit seiner Streitschrift «Schützet die Insekten und gebt den Vogelfang frei» für handfeste Kontroversen. Sein Haupt-Einwand: Gehören die Insekten nicht auch zum Ganzen der Natur? – «Da traf er ein bis heute grummelndes Grundproblem des Artenschutzes», kommentiert der Ökologie-Historiker Joachim Radkau die Anekdote.

Um 1970 geht der Begriff «Umweltschutz» in die Alltagssprache ein und fasst vieles von dem zu einem Problemkomplex zusammen, was zuvor vereinzelt daherkam: Wasserschutz, Waldschutz, Tierschutz, Bodenschutz etc. Und das global: Die Mondlandung (1969) und die wissenschaftliche Großstudie «Die Grenzen des Wachstums» (1972) lenken den Blick auf die «Eine Welt», «das Raumschiff Erde», den «blauen Planeten», der gerettet werden muss.

Das Anliegen, Umweltschäden nach dem Vorsorgeprinzip von vornherein zu vermeiden, wird 1969 in den USA mit dem National Environmental Policy Act erstmals zum Gesetz. Die EU führt 1985 eine Richtlinie zur Umweltverträglichkeitsprüfung ein. Österreich zieht 1993 mit einem UVP-Gesetz nach.

Der Mensch, ein Schutzgut

Seither besteht auch hierzulande die Verpflichtung für bestimmte, besonders relevante öffentliche und private «Vorhaben», deren Auswirkungen auf «umweltbezogene Schutzgüter» zu ermitteln und zu bewerten. Als «Schutzgüter» gelten Menschen, Tiere, Pflanzen und deren Lebensräume, Boden, Wasser, Luft und Klima, Sach- und Kulturgüter sowie das Landschaftsbild.

Die von der jeweiligen Landes-UVP-Behörde zu begutachtenden Projekte sind z. B. Müllverwertunganlagen, Einkaufszentren, Massentierhaltung, Windkraftanlagen, Städtebauvorhaben, Straßen, Skipisten – insgesamt werden im UVP-Gesetz 88 «Vorhabenstypen» genannt. Nachbar_innen (erst seit 2016), anerkannte Bürgerinitiativen und NGOs haben das Recht, sich am Verfahren als Partei zu beteiligen.

Die meisten UVP-Verfahren enden mit einer Genehmigung des Vorhabens, wobei mitunter die Einhaltung bestimmter Maßnahmen gefordert wird, z. B. der Fledermausschutz bei einem Windpark oder der Lärmschutz bei einer Eisenbahnstrecke. Die wenigen negativen UVP-Bescheide (rund drei Prozent der Projekte) führen in Österreich gelegentlich zu anlassbezogenen Gesetzesänderungen, z. B. um die Errichtung des Fußball-EM-Stadions in Klagenfurt oder die Wiedererrichtung der Formel-1-Strecke in Spielberg letztendlich doch noch zu ermöglichen.

Abhängige Sachverständige

Ist das UVP-Gesetz für Umweltschützer_innen eine Sackgasse? Wolfgang Rehm vom Umweltbüro Virus sieht die Sache pragmatisch: «Früher gab es diesen Rechtsweg nicht, man hat Druck auf der Straße machen müssen. Die UVPs sind ein Instrument, das nicht erst neu geschaffen werden muss, ohne große Erwartungen nutzbar, jedoch stark verbesserungswürdig.» Rehm war in den letzten zwölf Jahren in nicht weniger als 25 UVP-Verfahren involviert und ist für Bürgerinitiativen ein wichtiger Berater geworden.

UVPs können Jahre dauern. Das für die 3. Piste in Schwechat begann 2008. Rund 40 Sachverständige sind da am Werk, aus Fachgebieten wie Abfallchemie, Befeuerung, Flugmeteorologie, Geohydrologie, Kulturgüter, Landwirtschaft, Lärmschutz, Ornithologie. Sie produzieren tausende Seiten. Rehm: «Wenn du alle Gutachten und Einreichunterlagen zu so einem Projekt durchlesen möchtest, müsstest du im Grunde deine ganze Lebenszeit opfern.»

Das Problem, das der Umweltaktivist mit vielen Sachverständigen hat, trägt die Überschrift Unvereinbarkeit: «Österreich ist so klein, da kann es leicht passieren, dass du als Gutachter einmal bei einem ASFINAG-Projekt Planungsaufgaben erfüllst, ein anderes Mal wieder in einem UVP-Verfahren ein ASFINAG-Projekt prüfen sollst. Da besteht die Gefahr, dass du deinem Auftraggeber nicht wehtun willst.»

Ein Amoklauf der Wirtschaftskammer?

Die UVP-Verfahren bräuchten mehr Unabhängigkeit und Vielfalt im Gutachter-Wesen. Aber eine derartige Reform steht derzeit nicht auf der Tagesordnung. Auf dieser steht seit 17. Oktober, quasi als Kuckucksei in einem Verwaltungsreformpaket, eine Novelle des UVP-Gesetzes zur Begutachtung. Rehm vermutet die Autorenschaft der Gesetzesänderung an einer bestimmten Adresse und spricht von einem «Amoklauf der Wirtschaftskammer».

Auch Thomas Alge vom Ökobüro, der Vertretung von 16 österreichischen Umwelt-Organisationen, sieht im Entwurf einen Angriff auf die Zivilgesellschaft: Bei Umweltbeschwerden könnten in Zukunft Kosten von zehntausenden Euro entstehen. Der Prüfungsumfang der UVP werde eingeschränkt. Im Gegensatz dazu fehle die Umsetzung der geänderten UVP-Richtlinie der EU. «Statt mehr Umweltschutz und Mitsprache werden Rechte gekürzt und wird Rechtsbruch fortgeschrieben.»

Die Wirtschaftskammer wiederum konstatiert – trotz «Bekenntnis zur intakten Natur» – eine «übertriebene Übererfüllung von EU-Vorgaben» auf österreichischer Seite und fordert mehr «Investorensicherheit» bei heimischen Großprojekten.

Nachtrag: Wegen seinem «Chemtrails-Fimmel» wurde Norbert Gerwald Hofer heuer für den Negativpreis «Das Goldene Brett (vorm Kopf)» nominiert.

Im Augustin Nr. 426 gehen wir der Landfrage nach. Wie viel Land braucht der Bau der 3. Piste? Wem gehört es? Und wie geht die Umwidmung vonstatten?

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