Augustinverkäufer Tibor
Mich kennt jeder als Tibor. Meine Freundin sagt zu mir Tibi. Am Siebenbrunnenplatz gibt es eine Taube, die ist braun, als einzige, alle anderen sind grau, schwarz, weiß, und Leo, auch ein Augustin-Verkäufer, sagt: Das ist Tibi.
Foto: Alexander Fortunat
Ich widerspiegle ein bisschen die Menschen, mit denen ich zu tun habe. Es ist in den letzten Jahren schlechter geworden. Alle lachen weniger. Auch habe ich meinen Verkaufsplatz verloren, den ich acht Jahre lang hatte. Dort haben mich alle gekannt. Es war in Kierling, beim Hofer, wo mich jeder gekannt hat, vom Bürgermeister bis zum Kleinkind, alle, alle, alle. Ich war weg, und dann bin ich wieder Augustin-Verkaufen gegangen, aber es gab inzwischen eine neue Chefin bei dem Supermarkt. Sie sagt: Hier dürfen Sie nicht stehen. Warum suchen Sie nicht einen anderen Platz? Ich habe jetzt noch keinen neuen Verkaufsplatz. Es gibt auch dort, wo ich es probiere, nette Leute, aber viel zu wenig zum Überleben. Wenn ich einen guten Platz finde, kehrt die alte Zeit zurück, früher verkaufte ich gut.
Meine Muttersprache ist Ungarisch. Ich bin in der Tschechoslowakei geboren. Später war ich tschechisch und slowakisch bis 1991 (Tschechische und Slowakische Föderative Republik, Anm. der Red.), ab 1993 war ich nur slowakisch. Mehr als 14 Jahre bin ich in Österreich. Ich war auch vorher schon ein paar Mal in Österreich, aber nur kurz.
Ich bin ein Mensch wie Winnetou, der nicht weiß, wo die Grenze ist. Wenn Winnetou irgendwo sein Zelt aufgebaut hat, war alles in Ordnung. Aber wenn ich ein Zelt aufstelle, muss ich nachdenken, wo darf ich das und wo nicht. Am Campingplatz kostet es viel zu viel, auch wenn es nur ein Zelt ist. Und wenn ich es sonst irgendwo aufstelle, muss ich sehr aufpassen. Die Menschen lassen einen einfach nicht leben.
Jetzt im Moment bin ich bei einer netten Familie. Wie lang, weiß ich nicht. Vielleicht nur noch ein paar Tage.
2004 hatte ich kein Geld. Ich war hungrig. Damals gab es im Tageszentrum in der Lacknergasse ein Mittagessen um 40 Cent. Und ich hatte keine 40 Cent. Marek, ein Pole, hat mir die 40 Cent gegeben. In der Gumpendorferstraße sah ich einen Afrikaner, der den Augustin verkaufte, und ich dachte mir: In Bratislava habe ich die Straßenzeitung Notabene verkauft, warum nicht in Wien auch eine Straßenzeitung verkaufen? Ich bekam die Adresse vom Augustin, das war damals in der Schlossgasse. Meinen ersten Einschulungstermin habe ich verpasst, weil ich in München war, und erst einen Tag später wieder zurück in Wien. Und der nächste Termin war erst drei Monate später. Das war dann am 5. März 2005, und seit dieser Zeit bin ich beim Augustin.
Manche Leute sagen, ich spiele gut Schach. Was heißt gut. Ich habe viel verloren. Ich spielte vor Jahren einmal mit dem österreichischen Meister. Mein Freund Michi, er ist leider schon gestorben, rief mich an: «Tibor, komm! Im Stadion Center spielt der österreichische Meister heute Schach.» Ich habe 2:0 verloren, aber es war gut.