Musikarbeiter unterwegs … Folk? Elektronik? Kultur, Natur, die kleine Ironie
Infinity heißt das Debütalbum von Lionoir. Zwei Musikerinnen entwerfen einen annähernd endlos faszinierenden Sound. Von Rainer Krispel (Text) und Mario Lang (Foto).
Womöglich erinnern sich aufmerksame Leser_innen: Vor einiger Zeit war in dieser Serie über die Compilation Fraufeld Vol. 1 zu erfahren. Ein Tonträger und eine Plattform, die sich der Arbeit von Musikerinnen im Feld von (ernster, zeitgenössischer) Komposition und (nicht nur jazziger) Improvisation verschrieb und verschreibt. Wie bei vielen kreativen Menschen in Wien (und auf der Welt) erschöpft sich damit aber nicht Kunst und Arbeit unserer damaligen Gesprächspartnerinnen Verena Zeiner und Sara Zlanabitnig. Zeiner veröffentlichte ihr erstes Klavier-Solo-Album In Between Now And Then (www.verenazeiner.at), Zlanabitnig präsentierte Anfang Dezember letzten Jahres das erste Album des Duos Lionoir, das sie mit Gloria Amesbauer seit Ende 2014 betreibt. Infinity heißt das definitiv gute Stück, produziert, aufgenommen und gemischt von Bernhard Fleischmann, von den Musikerinnen im Eigenverlag (Teacup Records) in einer limitierten Vinyl-Version von 200 handgemachten Stücken mit einem wunderbaren Cover der Künstlerin Nevena Aleksovski aufgelegt.
One Day.
Beim Interview übergibt Sara drei Exemplare dieses in Form und Inhalt wunderbaren Vinyls an Gloria, die in Graz Computermusik studiert. Die kleinteilige Plattenfertigung (Siebdruck Cover,
Linolschnitt …) bezeichnet sie als «Feinstarbeit». Feinstarbeit steckt gewiss in der Musik, die Lionoirs verbalisieren: «Lionoir ist düster, anmaßend, süß, laut, seltsam und melancholisch, und das nicht immer.» So schreibt das Duo im Internet, was gern zitiert wird. «Es ist nicht unsere Aufgabe, uns in ein Genre zu stecken.» Ein geschätzter und musikliebender Printkollege traute den eigenen Ohren und tippte – begeistert! – «Folk(lore)» in den Rechner. Was nicht von der Hand zu weisen ist, vor allem, aber nicht nur, so wie Gloria und Sara singen, «abwechselnd und gleichzeitig». Infinity versammelt Stücke/Songs, die bis ins Jahr 2002 zurückreichen, enthält die gemeinsam erarbeiteten («Wir sind eher Perfektionistinnen, was es manchmal nicht ganz leicht macht …») Versionen von Liedern, die zum Teil entstanden sind, bevor sich die beiden Musikerinnen kannten. «One day we’re fearless, one day we run» sind die ersten Worte, die auf Infinity zu hören sind. Schöne Worte, sie stammen von Gloria. Sara, die sonst in diversen Projekten ausschließlich instrumentale Musik macht, kontextualisiert ihre eigenen Lyrics so: «Das sind Reminiszenzen, von vor zwölf, dreizehn Jahren … sie entspringen eher pathetischen, großen Weltgefühlen, wie man halt Songs schreibt, Anfang 20.» In der Musik – sie spielen diese am Bass, «abwechselnd und gleichzeitig», Gloria nutzt dazu den Computer als Klangquelle, noch einen Synth, Sara setzt diverse Effekte ein, die sie sonst für ihr Flötenspiel verwendet – haben die Lyrics einen «instrumentalen Stellenwert», sind als Bildsprache gesetzt, gleichberechtigt mit den Klangquellen. Was womöglich der Grund ist, dass trotz des angesprochenen Pathos, den großen Weltgefühlen (yeah!) und einem Albumtitel, der Unendlichkeit bedeutet, das alles sehr unmittelbar wirkt, «geerdet» und doch zum sinnlichen Mitfliegen einlädt. Oder zum Tanzen im Mondlicht. Wie eines der schönsten Stücke heißt – und klingt.
Hold On.
Leichtigkeit ist eine der Qualitäten dieser dichtgewobenen Musik, dazu eine feine Ironie, die aber nie die Ernsthaftigkeit, mit der die Musikerinnen
Lionoir betreiben, hintertreibt oder relativiert. Dass die zweite Seite der Platte mit neueren Stücken druckvoller, elektronischer, tanzbarer ist und pulsiert, mag eine Möglichkeit aufzeigen, wohin sich das Duo entwickeln könnte. Schlagzeuger July Skone (spielte auf Platte und bei der Livepräsentation) tut der Sache gut.
Gloria Amesbauer und Sara Zlanabitnig haben aktuell nach den «zweieinhalb, drei Jahren» der Arbeit an Infinity (zuvor veröffentlichten sie eine EP) beim Proben große Lust auf neues Material. Wohin sich das musikalisch konkret entwickeln wird, ist ein offener Prozess. Nach dem erfolgreichen Handeln der «technischen Challenge», die Lieder von Infinity live aufzuführen und ins wirkliche Spielen zu kommen, ist vieles möglich. Das Präsentationskonzert im Wiener Rhiz, mit der Manifestation der Platte selbst – für beide Musikerinnen bei langer Musikarbeit das erste Vinyl – war ein Meilenstein, ähnlich einem Konzert beim Electric Spring Festival im Museumsquartier. Die bis heute erinnerte wechselseitige Nervosität der musikalischen Protagonistinnen ob der Größe der Bühne in der Halle und der doch existenten (medialen) Strahlkraft des Events zeitigte nicht nur eine Auseinandersetzung mit «unbewussten Imagefragen», sondern dazu eine Klärung dessen, was Lionoir im Kern (immer) ausmacht. «Es geht nicht darum, wie es gehört, sondern wie wir das wollen.»
Lionoir: «Infinity»
(Teacup Records)
lionoirmusic.bandcamp.com