«Wieder aufblühen»vorstadt

Helga Bachleitner setzt sich seit 15 Jahren für blinde und sehschwache Menschen ein.

TEXT: UWE MAUCH
FOTO: MARIO LANG

«Türe zu», meldet eine Tonbandstimme, nachdem die Türe des Aufzugs zugegangen ist. Sehenden, die das Stiegenhaus wählen, um in den ersten Stock zu gelangen, fallen indes die knallgelb markierten Stufen und Handläufe auf.
Das Beratungzentrum der Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen Österreichs ist in einem Neubau in der Jägerstraße nahe des Wallensteinplatzes eingerichtet. Vorbildlich eingerichtet.
Hierher wenden sich Menschen, die an einer altersbedingten Degeneration ihrer Macula leiden oder aus einem anderen Grund wenig oder kein Augenlicht besitzen. Um sich beraten zu lassen, Kurse zu besuchen, zu lernen, zu lachen, um am Leben teilzunehmen.

Sichtweisen.

«Erster Stock», ertönt es im Lift. Hier werden Neuankömmlinge von den Berater:innen freundlich empfangen. Die Klarheit ihrer Stimmen, die Helle des Büroraums, die Kontraste der Möbel: Das alles wirkt einladend.
«Wir sind ein gemeinnütziger Verein», erläutert Helga Bachleitner, die seit 2007 für die Hilfsgemeinschaft arbeitet. Der Verein wurde vor bald neunzig Jahren in Wien gegründet. Sein umfassendes Hilfsangebot wird in erster Linie durch Spenden finanziert. Was einen langen Atem verlangt, immerhin von der Politik unabhängig macht.
Helga Bachleitner ist eine vertraute Stimme der Blinden und Sehschwachen. Sie gestaltet das vierteljährlich erscheinende Magazin sichtweisen, sorgt für interne und externe Kommunikation. Das wahrscheinlich wichtigste Angebot der Hilfsgemeinschaft formuliert sie so: «Wir können die Krankheit Ihrer Augen nicht heilen. Aber wir können unser Möglichstes tun, damit Ihr Alltag leichter bewältigbar wird.»
Im Magazin listet Helga Bachleitner regelmäßig das umfangreiche Freizeit- und Kursangebot auf. Es reicht von Dart, Boccia und Theater spielen über gemeinsam singen, wandern, Nordic walken, Gehirn joggen bis hin zu Braille­schrift erlernen.

Sichtverhältnisse.

«Für mich ist es immer wieder motivierend, wenn ich sehe, wie die Menschen bei uns wieder aufblühen», eröffnet die Fachfrau für wertschätzende Kommunikation.
Die Erfahrung, von einer Gemeinschaft aufgenommen zu werden, die – auch aus eigenem Interesse – Rücksicht auf Sehbehinderte nimmt, gibt von Anfang an Sicherheit. Schön ist es auch, wenn neue Mitglieder ihre Talente entdecken oder ihr Wissen an andere weitergeben wollen.
Helga Bachleitner ist in Penzing aufgewachsen. Hilfsbereitschaft wurde in ihrer Familie immer groß geschrieben. Ihr Vater, Herbert Höfner (Lokalmatador Nr. 53), engagierte sich bis zu seinem Tod bei der Stiftung Kindertraum, ihre Mutter wirkte in der lokalen Kirchengemeinschaft und zuhause als stille, stets verlässliche Unterstützerin im Hintergrund.
In der Tradition der «unsichtbaren Frauen» sieht sich auch Tochter Helga: Nach der Geburt ihrer beiden Kinder kümmerte sie sich sechs Jahre lang um deren Vorankommen; nach ihrer Scheidung gelang es ihr, als Alleinerzieherin Job und Familie bestmöglich zu vereinen.
Dem Beratungszentrum angeschlossen ist der Hilfsmittelshop. Hier gibt es unter anderem digitale Lesegeräte mit speziellen Lupen, gelbe Armschleifen und Kappen mit drei schwarzen Punkten, weiße Stöcke, Kartenspiele mit Großdruck oder Brailleschrift.

Sichtbarkeit.

Man schätzt, dass jede:r Fünfte in Wien mit einer Behinderung lebt. Wie hoch der Anteil der Sehbehinderten ist, ist weiterhin nicht bekannt. Dunkelziffern sind nie gut, dennoch sagt Helga Bachleitner: «Es ist in den vergangenen Jahren immerhin gelungen, Menschen mit Behinderung in dieser Stadt sichtbarer zu machen.»
So feiert man in diesen Tagen das 50-Jahr-Jubiläum der ersten akustischen Ampelanlage in Wien. Längst gehört sie zum guten Ton der Verkehrsplanung. Auch die Leitsysteme für Blinde und Sehschwache wurden zuletzt ausgeweitet und verbessert.
Gleichzeitig sieht Helga Bachleitner Luft nach oben: «Da müsste doch noch mehr gehen.» Herzlich eingeladen wären etwa jene Architekt:innen, die viel auf den Chic geben: «Betretet bitte die von euch geplanten Häuser ein einziges Mal mit abdunkelnden Brillen!» Auch dürften die Magistratsabteilungen gerne mehr Behindertenbeauftragte beschäftigen.
Die Hilfsgemeinschaft gibt heute rund hundert Menschen Arbeit, fünfzig im Beratungszentrum, fünfzig in der Waldpension, einem barrierefreien Haus für Urlaub und betreutes Wohnen.
Für Helga Bachleitner ist und bleibt sie die schönste Station in ihrem beruflichen Leben: «Es mag abgedroschen klingen, aber es ist für mich schon so. Ich bin sehr dankbar, dass ich hier etwas Sinnvolles tun darf.»

www.hilfsgemeinschaft.at