Wieder in WienDichter Innenteil

Die Abenteuer des Herrn Hüseyin (19)

Nachdem Hüseyin in Wien Schwechat ohne Empfang durch die Kunst- und Kulturschaffenden gelandet war, ist er betrübt mit öffentlichen Verkehrsmitteln der Wiener Linien heimgefahren und in seiner winzigen Wohnung untergetaucht.Wie jedes Jahr verbringt er die erste Woche mit Eindrücken aus der Heimat, die eigentlich keine mehr ist. Dieses Mal merkt unser Hüseyin, dass das Leben in Wien für ihn im Grund sehr angenehm ist. Für die Wiener_innen ist das Leben sehr einfach. In dem Land aus dem Hüseyin kommt, gibt es keine Grundsicherung. Noch dazu Wasserknappheit. Aus der Leitung kein Trinkwasser. Die Gehsteige sind so gebaut, dass sie mit Kinderwagen oder für gehbehinderte Menschen nicht benutzbar sind. In Zentrum der Stadt gibt es so viele Menschen auf engen Gehsteigen, in Wien würde man das als Demonstration bezeichnen. Immer mehr Frauen, die in dieser Hitze im Tschador unterwegs sind. Sehr viele Handygeschäfte, diverse Mobilfunkanbieterfirmen, sehr viele Banken. Kleidungsgeschäfte. Daneben sehr viele Kaffeehäuser. In denen nur Männer sitzen. Es gibt kein Zeichen von Eigenproduktion. Eine riesige Verbrauchermasse. Eine schläfrige Gesellschaft. Rundherum ein Kriegsgebiet.

In dieser Stadt, die in einem Tal liegt, drehen die Muezzine die Verstärker ihrer Minarettlautsprecher so laut, dass man gleich aufspringt. Die technischen Möglichkeiten werden dafür ausgenützt, dass jede_r sofort mit Dezibeldruck an die religiösen Pflichten errinnert wird. Die Muezzine klettern nicht mehr auf die Minarette, sie sitzen wahrscheinlich in einem Zimmer, das Mikro vor sich. Vermutlich in einem Raum, wo sie die anderen Muezzine gar nicht hören. Sie würden ja merken, wie laut es eigentlich da draussen ist. In dieser Stadt gibt es 936 Moscheen! All diese Moscheen haben einen Verstärker und zur gleichen Zeit erschallt fünf Mal am Tag der Gebetsruf.

Jetzt ist der Hüseyin in Wien. Wien ist so eine ruhige Stadt. In Österreich wird es dann laut, wenn es ein paar Flüchtlinge durch alle eisern aufgebauten Grenzen herüber schaffen. Das versteht Hüseyin nicht. Man zählt die Flüchtlinge richtig mit der Hand. Aber angeblich sind sie trotzdem für die Österreicher_innen eine große Bedrohung. Obwohl es leere Häuser gibt. Das sind Menschen, die unfreiwillig unter größten Gefahren es bis hierher geschafft haben, die sich vom Tode losgerissen haben, ihnen bringt man ein Verhalten entgegen, das für den Hüseyin unverständlich ist. An der Grenze zur Türkei (im kurdischen Gebiet) sind es in den letzten Monaten täglich Zehntausende, die die Grenze überqueren. Dort gibt es nicht so ein Klima des Unguten. Obwohl die Menschen im kurdischen Teil der Türkei nicht so viel haben, im Gegensatz zu Österreich.

Allein in der kurdischen Stadt Erbil gibt es 300.000 (Dreihunderttausend) Flüchlinge. Im kurdischen Teil des Nordirak sind es 2,1 Millionen Flüchlinge. Es sind ganz andere Relationen. Hüseyin denkt sich: Wenn es um die Investitionen der europäischen Firmen geht, geht es gar nicht um die Demokratisierungsprojekte in diesen Länder. Es geht nur noch Gewinnmaximierung! Menschenrechte und Selbstbestimmung der unterdrückten Völker in dieser Region waren nie ein Thema für kapitalistische Investoren. Am besten floriert die Rüstungsindustrie. Es wäre trotzdem ein bisschen menschlich von diesen großen Gewinnen einen Teil für die Menschen zur Verfügung zu stellen, die man von ihrer Heimat vertrieben lassen hat.

Hüseyin meint: Uns geht es hier gut, wir müssen Glücklichsein lernen!

Ihr Hüseyin