Wien aus der Froschperspektivevorstadt

Foto: Reinhard Mandl

Wer in Wien Frösche, Eidechsen, Schlangen und Krokodile sucht, wird vielfältig belohnt. Ob aus Bronze oder aus Beton, sie sind allgegenwärtig, von der Innenstadt bis zum Zentralfriedhof. Ängstigen oder ekeln muss man sich nicht, vielmehr schauen und staunen – eine Spurensuche.

 

Dank Helmut ZiIk, dem legendären Bürgermeister der 1980er-Jahre, sind Frösche in Wien nicht unbekannt. «Deine deppaten Frösch’ kannst später zählen!» war der Spruch, mit dem Zilk 1983 Michael Häupl in die Politik rief. Der promovierte Biologe war ab 1988 amtsführender Stadtrat für Umwelt und Sport, ehe er 1994 Zilk als Bürgermeister ­nachfolgte. Auch der Jahreswechsel kommt in der Kulturstadt Wien nicht ohne Frosch aus. Die Frage, wer den Frosch, sprich den Gefängniswärter in der Fledermaus von Johann Strauß spielt, ­beschäftigte ­viele schon Monate vorher. Granden wie ­Alexander Girardi, Hans ­Moser, Heinz Conrads über Otto Schenk, ­Peter ­Simonischek bis hin zu Melanie ­Reinsperger mimten den Frosch.
Abseits der Bühnen bevölkern ­Quaksis den öffentlichen Raum Wiens. Allen voran der Froschkönigbrunnen von Gottfried Kumpf in Simmering bei der Endstation der U3 am Beginn der Kaiser­ebersdorfer Straße. Das grüne und wirklich große, um nicht zu sagen, monumentale Tier, trägt eine Krone, sitzt auf einer Kugel und erfüllt nicht nur alle Kriterien, die man aus Grimms Märchen kennt, sondern auch die eines Simmeringer Wahrzeichens.

Von der Natur der Frösche

Doch ehe es zum nächsten potenziellen Wiener Froschwahrzeichen geht, ein Blick auf die Natur und Bedeutung der hüpfenden Tiere. Frösche und Kröten (lateinisch: Anuren) gehören zu Amphibien. Heute gelten beide – das ist den vielerorts aufgrund des Menschen verschwindenden Lebensräumen geschuldet – zu den bedrohten Spezies. Dazu kommen ­neben natürlichen Feinden, zu denen u. a. ­Hunde oder Krähen zählen, auch auto­fahrende Menschen. Beson­ders brisant ist die Paarungszeit, im März und April, wenn Tausende Frösche und Kröten Straßen queren. Leitwände und Tunnel, wie beim Lusthaus im Prater oder in der Rosentalgasse in Penzing, sind wirksame Schutzmaßnahmen.
Abseits des Mythos vom Frosch als Wetterprophet haben die Amphibien – historisch betrachtet – keinen guten Ruf; sie galten als Inbegriff des Bösen. «Im theologisch angeleiteten Sprachgebrauch bleiben Frosch und Kröte über Jahrhunderte die Namen für das Böse», so der Kulturhistoriker Bernd ­Hüppauf in seinem Buch Vom Frosch. Eine Kultur­geschichte zwischen Tierphilosophie und Ökologie (Transcript 2011). Den Wiener Beweis liefert die höchst kunstvoll verzierte Pilgramkanzel im Stephansdom. Am Handlauf des gotischen Meisterwerks aus dem frühen 16. Jahrhundert klettern – das Böse symbolisierend – Frösche und Kröten hinauf. Oben sitzt ein steinernes Hündchen – das Gute darstellend –, das den Priester vor dem ­bösen Gekrieche schützt. Am Geländer der Domkanzel sind die Tiere, die man nur widerwillig in die Hand nehmen ­würde, glatt und abgegriffen. Ganz anders präsentieren sie sich im Resselpark oder vor dem Bezirksamt in Wien Landstraße.

Artenreicher Hotspot

 

Ein Meisterwerk des Bronzegusses, wie auch Musterbeispiel der Artenvielfalt von Amphibien und Reptilien von allen Kontinenten ist der Karl-Borromäus-Brunnen von Josef Engelhart am Karl-Borromäus-Platz zwischen Rochus- und Sechskrügel­gasse in Wien Landstraße. Der Künstler – er war Mitbegründer der Secession – arbei­tete von 1904 bis 1909 an dem Brunnen. Vorbilder für die höchst realistisch dargestellten Tiere, darunter eine austra­lische ­Kragenechse, fand er im Natur­historischen Museum. Der damalige Intendant (= Direktor) Franz Steindachner, international aner­kannter Fisch- und Reptilienexperte, unterstützte ihn bereitwilligst. Wer eine Abneigung für Kriechtiere hat, wird hier angesichts der teils wirklich furchtbar aussehenden Tiere – auch wenn sie aus Bronze sind – Bestätigung finden.

Am Beginn des 20. Jahrhunderts ­waren Reptilien und Amphibien ­beliebt. Der Frosch- oder Tilgnerbrunnen im Resselpark wird ebenfalls von vier wasserspeienden Fröschen geziert. Da sich ein Modell des Brunnens im Nachlass des 1896 verstorbenen Künstlers fand, wurde er 1902 – ihm zu Ehren – realisiert. Von Viktor Tilgner stammt auch das Mozartdenkmal im Burggarten. Zwischen Tilgners Tod und der Brunneneinweihung liegt im November 1898 die ­Eröffnung der Secession. Wenn sie in Wien dank der Kuppel aus vergoldeten Blättern als Krauthappel bezeichnet wird, könnte man sie in gleicher Weise auch Terrarium nennen. Blickt man vor dem Eingang nach links und nach rechts, richtet dann den Blick nach vorne und nach oben, findet man hier die ­Hinweise. Links und rechts bei den blauen Blumenschalen sind je vier Landschildkröten. Vorne, beiderseits der Tür, hängen zwei große, weiß getünchte Echsen mit Glasaugen herab. Darüber sind drei Gorgonenhäupter mit kunstvoll gewundenen Schlangen, zwei beißen sich in den Schwanz, die dritte umschlingt die beiden. Weiter oben – über dem Leitspruch der ­Secession, «Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit» – ­besteht die ­goldene Zierart ebenfalls aus Schlangen.

Auch Nicolaus Dumba, der Kunstmäzen, er verstarb im Jahr 1900, ließ sich eine Schlange aus Bronze, die sich in den Schwanz beißt, auf sein Grab legen. Dieses Symbol der Ewigkeit findet sich bei den Griechen, die es Uroboros nannten.chlangen. Um in der Welt der ­Antike zu bleiben, ein kurzer Sidestep zu ­Asklepios, dem Gott der Medizin. Sein Attribut, ein Stab, um den sich eine Schlange schlängelt, wurde als Asklepiosstab zum Symbol der Mediziner:innen. Mit seinem Namen wurde er zum Paten der Äskulapnatter. In alten Kulturen wurden Schlangen, deren Häutungen als stete Erneuerung des Lebens angesehen wurden, Heilkräfte zugeschrieben. Heute findet sich die Äskulapnatter im Logo der Apotheken: Wiens schönste Apotheken-Äskulapnatter ist ­zweifelsfrei auf der Fassade der Schutzengelapotheke in der Taubstummengasse/Ecke Favoritenstraße 11. Das Besondere: Es handelt sich um eine Keramik der Firma Wienerberger (ein Ziegelproduzent). Sucht man Varianten, seien die ­Rosenapotheke (Neubaugasse 37) oder die Parkapo­theke (Hütteldorfer Straße 145) erwähnt. Findet sich bei den Apotheken nur eine Schlange, sind für den Hermes, den griechischen Götterboten, zwei Schlangen typisch, die sich symmetrisch um einen Stab winden, den der Götterbote wie ein Herold als Zeichen der Immunität und zu seinem ­Schutze vor sich hertrug. ­Schauen sie in der Kärntner Straße 45 auf die Fassadennische! Der dortige Hermes hat nicht nur einen Schlangenstab, sondern auch noch zwei Pakete und ­einen Hut mit Flügerln.

Im christlichen Weltbild stehen Schlangen für das Böse, für Hinterlist und Versuchung (Adam und Eva). Weit verbreitet sind Darstellungen der hl. Maria auf einer Weltkugel (Maria Immaculata), um die sich eine Schlange schlingt. Stets steht die Mutter Gottes als Bezwingerin des Bösen mit einem Fuß auf dem Kopf der Schlange. Zu sehen vor der Paulanerkirche oder an Fassadennischen, etwa am St.-Ulrichs-Platz/Ecke Zeismannsbrunngasse oder der Breitenseer Straße 35.
Als Geheimtipp sei allen Schlangenfreaks der monumentale Eingang des Justiz­palastes mit seinen drei ­Toren ­empfohlen. Die Tore zieren ­massive schwarze Eisengitter. An den beiden seitlichen ­Toren sind es nackte, auf ­einer Weltkugel stehende ­Frauenstatuen (Künstler: Heinrich Zita), die von neun kunstvollst gewundenen Schlangen umgeben sind. Von einem Fuß, der auf einer Schlange ­stünde, fehlt jede Spur. Somit kann die nackte Frauenfigur auch nicht die hl. ­Maria sein. Da die Damen einen Spiegel in der Hand halten, verkörpern sie die Wahrheit, was ja gut zum Justizpalast passt.

 

Echsen und Krokodile

Neben ­Schlangen begegnet man auch Echsen im öffentlichen Raum Wiens. Außer den vielfach exotischen Tieren vom Karl-Borromäus-Brunnen gibt es auch heimisches ­Getier. Im Weinbauort ­Grinzing markiert eine steinerne Säule den Ortseingang (Ecke Grinzinger Straße/Grinzinger Allee). Hier informieren Jahreszahlen über die Ortsgeschichte, Weinblätter und ­Eidechsen stehen für die Flora und Fauna des Heurigenortes. Innerstädtisch krabbelt in der Burggasse (Nr. 28) eine große silbrig glänzende Echse über dem Lokal­eingang von The Lizard (Pub & Billard). So wie die Grinzinger Eidechsen klettert auch die Echse der Burggasse an der senkrechten Wand. Es ist naheliegend, dass sich auch Fassadenkletterer:innen hier ein Vorbild nehmen; den Beweis liefern die Industriekletterer:innen von ­Urban Gecko, die ein Gecko als Firmenlogo (Ecke Märzstraße/Pouthongasse) gewählt haben. Geckos haben an ihren Zehen winzige Hafthärchen, die es ihnen ermöglichen, senkrechte Wände hoch zu klettern und auch kopfüber zu hängen.

Für Begegnungen mit großen Echsen ist ein Besuch am Opernring notwendig. Das Besondere der zwei Tiergruppen an der Fassade von Hausnummer 11 im ersten Stock ist deren Lebensstellung. ­Werden Tiere meist statisch dargestellt, ist es hier anders: Es geht um ­Leben und Tod. Links kämpft eine große Echse gegen eine ­große Raubkatze (Leopard?), rechts ein großer Greifvogel (Adler?) ebenfalls ­gegen eine große Echse. Die beiden kämpfenden Reptilien erinnern an Warane oder Krokodile. Um Letztere zu sehen, gilt es, zwei noble Krokoadressen aufzusuchen. Wer barocke, wasserspeiende ­Krokodile liebt, ist im Belvederegarten richtig. ­Dominique Girard plante für ­seinen Auftraggeber Prinz ­Eugen am Beginn des 18. Jahrhunderts die Gartenanlage mit dem Kaskadenbrunnen mit zahlreichen ­Figuren, darunter auch zwei wasserspeiende Krokodile. Die zweite ­Krokodiladresse ist in der ­Rotenturmstraße 19. Das ­dortige ­Taschen- und Ledergeschäft heißt –  nomen est omenEhe Hausnummern eingeführt wurden, halfen Häuserbezeichnungen wie wir sie von Apotheken kennen, zur Orien­tierung in der Stadt. Vor 100 Jahren gab es in der Westbahnstraße 23 eine Drogerie Zum Krokodil. 30 Jahre früher, im Dezember 1893, war in der Wipplingerstraße 12 das Restaurant Zum Krokodil eröffnet worden. Dort gab Kapellmeister Franz Hruby mit dem 1. Volksorchester täglich ein ­Konzert bei freiem Eintritt, dazu trank man Pilsener Bier. Ende 1927, das Restaurant gab es nicht mehr, textete der in Wien wohnende Fritz Löhner-Beda die ­Reime zum Schlager «In der Bar zum Krokodil». Dank des sechsköpfigen Berliner Vokal­ensembles der Comedian Harmonists, die auch «Veronika, der Lenz ist da» oder «Mein kleiner grüner Kaktus» im Programm hatten, wurde das Lied schnell zum Hit, zu dem man damals gerne tanzte und sang. Heute sind die kecken Verse kritisch zu sehen. Vielfach fehlt «In der Bar zum Krokodil» Sensibilität, Achtung und Wertschätzung, die wir im täglichen Miteinander als selbstverständlich erwarten. – treffenderweise Alli­gator und hat ein lebensgroßes Tier aus Metall über dem Eingang. Freilich, feine Handtaschen aus Krokodilleder, bekommt man hier nicht, sie sind – dem Artenschutz sei Dank – verboten. Nicht zu vergessen sind die Tierskulpturen der Nachkriegszeit, die vielfach auf Spielplätzen zu finden sind. Darunter ein Krokodil aus Beton von Otto Eder am Spielplatz in der Venediger Au.