In der Johnstraße wird "betreutes Wohnen" für Betreuungsunwillige geprobt
Am Punk scheiden sich die Geister. Die einen pochen auf Solidarität und wollen Raum geben für selbstbestimmte alternative Lebensformen, die im besten Fall die Gesellschaft und die Lebensbedingungen für alle verbessern sollen. Die anderen schimpfen über den sozial-schmarotzenden Bürgerschreck oder fürchten sich gar; stören sich an dem Standort der Pankahyttn im 15. Bezirk unfern von Kindergarten und Grundschule.
Dennoch ist das Haus in der Johnstraße jetzt bewohnt. Und das gilt nicht nur für das Haus, sondern auch für den Container, der rechts vor der Haustüre deponiert wurde. Die Punker sitzen im Haus und die Sozialarbeiter davor. 24 Stunden am Tag. 7 Tage die Woche. Noch.
Am Freitag, dem 11. 1, gab der Verein Pankahyttn ein Eröffnungsfest. Einladungen wurden verteilt: Hallo Frau Nachbar steht in Mädchenhandschrift darauf geschrieben. Und wir sind die Guten. Nett und freundlich wirkt die Vorderseite der Einladung. Auf der Rückseite prangt groß das Hausbesetzerzeichen, verziert mit einem morschen Totenkopf. Freundlich wirkt der nicht mehr. Die Zweiseitigkeit der Einladungen zieht sich durch das ganze Thema Pankahyttn.
Das Fest, das sich bald als Pressekonferenz zu erkennen gab, fand nicht im, sondern hinterm Haus statt: In einer Halle, die, so einer der Punker, einmal das Wohnzimmer wird.
Verwunderlich genug, dass Punker ein Medienfest geben.
Die Punks verhielten sich im Gegensatz zu ihren fotografierenden und schreibenden, aber immerhin geladenen Gästen ruhig, zurückhaltend, beinahe gesittet und angepasst. Auf die Frage einer Journalistin, ob man sich inmitten all der Fotoapparate, Kameras und Mikrofone wie im Zoo fühle, antwortet ein Punkermädchen: Die Gitterstäbe fehlen noch. Auf der Mariahilfer Straße, dem Haupttreffpunkt der Punker, sei es viel schlimmer, entgegnet später eine andere Aktivistin der Initiative Pankahyttn. Hier könne man nach oben in die Wohnung gehen und die Türe zumachen, wenn es zu viel wird.
Die Augustin-Mitarbeiterin darf ausnahmsweise einen Blick darauf werfen. An der Wand im Gang des ersten Stockes zeichnet sich ein großer Wasserfleck ab.
Big Brother wider Willen im Container
Auch die Wohnung wirkt noch sanierungsbedürftig. Eingangsraum und Schlafzimmer sind durch eine Decke, die als Vorhang dient, abgetrennt. Unter dem Fenster liegt eine große Matratze, ohne Betttuch. Eine Spende für die Bewohnerin. Kleidung liegt daneben an der Wand auf dem Boden. Regale oder Schränke fehlen (noch).
Anna* nimmt auf der Matratze Platz. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite steht ein Streifenwagen. Zwei Polizisten stehen daneben. Alles ist ruhig. Fragt man das Mädchen mit den violetten Haaren nach ihrem Leben auf der Straße, senkt sie den Blick. Dass es nicht schön sei, nicht zu wissen, wo man hingehöre und wohin man gehen solle, sagt sie. Traurig sieht sie aus. Warum sie keine Arbeit angetreten habe, um ihre Lage eher zu verbessern? Sie finde keine Arbeit … Und ihr Hund, der sei für sie sehr wichtig und solle nicht alleine sein … Ja, stimmt, das sei er jetzt ja nicht mehr bei 20 Punks und fast 15 Hunden im Haus. Diese Frage können sie nicht mehr hören: Ihr seid doch gesund warum geht ihr dann nicht arbeiten?
Wenige Tage später gibt der vom Fonds Soziales Wien bestellte Projektleiter der Pankahyttn, Heimo Rampetsreiter, einen weiteren Denkanstoß zu diesem Thema. Bei 62.000 Arbeitslosen in Österreich solle man einer kleinen Gruppe, die nicht arbeiten will, keinen Vorwurf deswegen machen. Vielmehr solle man ihnen Geld zahlen, damit sie sich freiwillig aus dem Arbeitsprozess zurückzögen. Schließlich sei es nicht so, dass zu viele freie Arbeitstellen auf noch mehr helfende Hände warteten. So ist das also hier in Österreich.
Im weiteren Gespräch stellt sich heraus, dass einige von den Punkern ohnehin einer Arbeit nachgehen. Und spätestens wenn die ersten Betriebskostenrechnungen ins Haus flattern, heißt es wahrscheinlich für die meisten hackln gehen. Um die 250 Euro seien dann jeweils zu begleichen, schätzt eine Sozialarbeiterin grob. 17 Heizkörper, die mit 1500 Watt laufen, verursachen hohe Kosten geschätzte 30.000 Euro über den Winter, so Herr Rampetsreiter.
Die Sozialarbeiter im Container unweigerliche Assoziation: Big Brother sind derzeit noch auf der Suche nach sinnvoller Tätigkeit. Mit der (freilich beidseitig als fragwürdig eingeschätzten) Betreuung der Pankahyttn widmet sich aXXept einer neuen Aufgabe. aXXept ging Anfang 2008 von der Sucht- und Drogenkoordination Wien in den Zuständigkeitsbereich des Fonds Soziales Wien über. Die Grundversorgung für die Initiative ist bereits abgedeckt. Alle im Haus sind versichert und haben (zumindest einstweilen) Obdach gefunden, so der Projektleiter. Und eine Betreuung sei nicht erwünscht, weder von den zu Betreuenden noch von den Betreuern. Aber so sehen politische Vorgaben aus!, spottete ein Punkermädchen bei der Pressekonferenz am Eröffnungstag. Wenigsten gibt es inzwischen Internet im Container. So kann man immerhin, wenn schon keiner sinnvollen Arbeit, der Verbesserung der PC-Spiele-Fertigkeiten nachgehen. So vergehen die Stunden einer Schicht. Notwendigkeiten, vermittelnd einzugreifen oder Verhaltensweisen zu sanktionieren, ergaben sich noch nicht. Keine Anzeigen. Keine Vorfälle, abgesehen von zwei Anrufen bei der Polizei wegen Lärmbelästigung. Ein bewohntes Haus ist lauter als ein leer stehendes.
Im Normbereich kein Wohnrecht für Nachtaktive
Warum man gerade den Punkern ein Haus überlässt? Herr Rampetsreiter stellt die Frage anders: Warum soll man gerade die Punker nicht unterstützen? In einer Weltstadt wie Wien mit den finanziellen Mitteln eines reichen Landes dürfe keine Gruppe von Menschen unversorgt bleiben, auch wenn sie nicht ins genormte gesellschaftliche Bild passen. Und gerade für die Punker gestaltet sich die Versorgung mit geeigneten Unterkünften schwierig, weil sie in größeren Gruppen und mit Hunden auftreten. Die Punker selbst weisen in ihrer Pressemappe auf Schwierigkeiten in normalen Wohnungen hin: Die Erfahrungen zeigen, dass wir viel zu schnell, zu laut, zu dreckig, nachtaktiv oder was auch immer sind und wieder rausfliegen.
Die Initiative fordert unter anderem die Öffnung leer stehender Häuser und Wohnungen, mietfreies Wohnen für alle und die Anerkennung des Rechtes auf selbst bestimmtes Leben als ein Menschenrecht. Während die Pankahyttn von den Punks ursprünglich als selbstorganisiertes, unkommerzielles, emanzipatorisches Wohn-, Kultur- und Sozialprojekt ausgerufen wurde, zieht der FSW die Bezeichnung betreutes Wohnen für junge Erwachsene vor. Und wie eine autonome Lebensform die Rund-um-die-Uhr-Betreuung der Sozialarbeiter überleben soll, bleibt ungewiss. Auch wenn die Punks die Betreuer teilweise schon eher zu Freunden denn zu Aufpassern gemacht haben. Speziell mit Martin, dem 28-jährigen Sozialarbeiter, zeigt sich ein offener und freundlicher Umgang. Mit einer der Bewohnerinnen, man kennt sich allerdings schon länger von Konzerten, nicht von der Straße , plaudert er über Musik, Tätowierungen, Piercings und anderen Körperschmuck. Erfahrung zahlt sich eben aus.
Für die (Teil)-Durchsetzung der Forderung nach einem Haus bedurfte es eines friedlichen, wenn auch sehr bestimmten Auftretens. Man muss sich nur wichtig nehmen, dann wird man auch wichtig!, erklärt eine Aktivistin nicht ohne Stolz.
Dennoch steht das ganze Projekt noch auf sehr wackeligen Beinen. Sozialarbeiter sind bereits beschäftigt. Verträge gibt es jedoch nach alter Wiener Tradition, mit einem Seitenblick auf das jahrzehntelang besetzte EKH, noch nicht. Auf die Forderung nach einem Hauptmietvertrag für den Verein will die Stadt jedoch nicht eingehen. Einzelnutzungsverträge sind im Gespräch.
Weitgehend ungeklärt bleibt nun die Frage, wie sich die Haltung gegen den Staat und das System und die gesellschaftlichen Normen mit einem von Steuerzahlern finanzierten Dach über dem Kopf vereinbaren lässt. Und wie weit man sich anpassen und dennoch Punk sein kann? Wie wenig man sich anpassen und dennoch Ziele nicht nur setzten, sondern auch erreichen kann?
Immer und aus Prinzip dagegen sein funktioniert jedenfalls nicht. Bleibt zu hoffen, dass die Initiative tatsächlich für mehr Gerechtigkeit für alle ist. Abwarten heißt es auch, wie die Initiative bei der sechsmonatigen Evaluierung abschneidet und ob die Unterbringung in der Hyttn vertraglich geregelt wird oder sich schlicht als eine Ruhigstellungsmaßnahme zur Unterbindung weiterer Hausbesetzungen offenbart.
Der Anfang jedenfalls scheint viel versprechend. Vor allem die Zusammensetzung der Bewohnerinnen und Bewohner begünstigt das Glücken des Projekts auf längere Zeit.
Einer von ihnen ist Student der Politikwissenschaften. Ein Mädchen riss mit 13 von zu Hause aus verbrachte lange Zeit auf der Straße. Fast alle Bewohner der Johnstraße 45 haben in sehr prekären Wohnsituationen gelebt, in offener oder verdeckter Obdachlosigkeit. Sie alle verbindet etwas. Mehr als nur die bunten Haare. Und die Stärkeren stützen die Schwächeren. Alles für alle. Und alle für alle.