Wiener Kindheittun & lassen

Black History Month. Im ­Februar feiern Schwarze Menschen weltweit Erfolge von Afro-Persönlichkeiten. Imoan ­Kinshasa (Text) und Jana Madzigon (Fotos) haben die Wiener_innen Marie Noel Ntwa und Rilwan Mogaji getroffen.

Was in den USA 1926 begann, ist mittlerweile ein weltweites Phänomen. In vielen Länder wird der Black History Month im Februar begangen, in Großbritannien etwa im Oktober. V. a. in den USA und im UK gibt es viele Veranstaltungen aus Kultur, Politik, Medien und Pädagogik. Es geht um Selbstliebe, um Heilung von einem Leben in einer Gesellschaft, in der man nicht wahrgenommen wird, um die Errungenschaften und Beiträge Schwarzer Menschen. Auch in Österreich zelebrieren die Schwarzen Communitys im Februar den Black History Month, in dem es vor allem um Vernetzung geht.

Schwarze Wiener Geschichte.

Afro-Wien blickt auf eine lange Geschichte zurück. Bereits im 17. Jahrhundert gab es hier Schwarze Menschen. Die ersten waren als Sklav_innen nach Wien verschleppt worden, mussten dienen oder wurden als «Exot_innen» wie Haustiere gehalten.
Heute sind Schwarze Organsiationen wie die Schwarze Frauen Community oder die erst kürzlich gegründete, auch selbstorganisierte, African Diaspora Österreich stark besucht und bieten eine Anlaufstelle. Durch Soziale Medien und Internet hat sich der Vernetzungsprozess rasant beschleunigt. Man trifft sich zu Stammtischen und Diskussionen, tauscht sich aus und schmiedet Pläne.
Wie ist es, an einem Ort aufzuwachsen, der einen eigentlich gar nicht haben möchte? Die Wiener_innen Marie Noel Ntwa und Rilwan Mogaji erzählen von ihrem Wien. Wie sie aufgewachsen sind, wie sich die Stadt anfühlt und wie sie Wien gestalten wollen.

Woher kommst du wirklich?

Eines ist klar: Wer nicht aussieht wie alle anderen, fällt auf. Wer aussieht, als würde er nicht von hier sein, der muss sich erklären. Denn obwohl Wien 2019 zum zehnten Mal zur lebenswertesten Stadt gekürt wurde, ist das längst nicht für alle hier Lebenden so.
Rilwan Mogaji, der heute als Journalist arbeitet, hat ein ambivalentes Verhältnis zur österreichischen Hauptstadt. An manchen Tagen fühlt er sich zuhause, an anderen sehr fremd. Mogaji ist Wiener per Geburt, seine Eltern sind aus Nigeria. Er kommt aus gutem Hause – der Vater Arzt, die Mutter Krankenschwester. Seine Kindheit beschreibt er als eigentlich sehr privilegiert: «Ich konnte in meiner Freizeit vieles machen. Ich war auch sportlich sehr begabt.» Fußball und Tennis hat er gespielt, und dass er in einer großen Familie mit vielen Cousins und Cousinen aufwuchs, hat ihn gestärkt, wie er sagt.
Aber die Menschen sahen ihn als Ausländer, als Exoten. Und so behandelten sie ihn auch: «Ich wurde mit sehr viel Rassismus und Ignoranz von Seiten der Lehrer konfrontiert.» Und auch von Seiten der Kinder. «Ich hab mir da schwer getan zu reagieren. Teilweise habe ich dann auch selbst geglaubt, was die Kinder zu mir gesagt haben.» Für Mogaji war es eine harte Zeit, erst als ein weiterer Schwarzer Junge an die Volksschule kam, konnte er ein bisschen aufatmen. Nun hackten sie nicht mehr nur auf ihm herum. Es brauchte 20 Jahre, bis Mogaji sich selbst als Wiener bezeichnen konnte, was er heute stolz tut: «Ich bin Wiener», sagt er.

Einsame Zeiten.

Marie Noel Ntwa hätte sich in ihrer Kindheit auch mehr Freund_innen in Wien gewünscht. Die meiste Zeit verbrachte sie in einem Internat in der Schweiz. Sommer- und Winterferien waren eine einsame Zeit für sie. Die Vorurteile der Menschen in Meidling trafen sie direkt. «Die Kinder und die Eltern haben mich automatisch schon so stigmatisiert, dass ich keine Chance hatte, mich zu beweisen.» Schwarze Freund_innen hatte sie keine. «Ich war isoliert in einem weißen Wohnblock, und da gab es für mich nur meine Geschwister und meine Bücher.»
Ntwa verbrachte viel Zeit im Thalia in der Landstraße, um zu lesen. Danach ging sie ins Kino nebenan. Die Geschichten aus den Büchern und Filmen inspirierten die kleine Marie Noel Ntwa so sehr, dass sie beschloss, Schauspielerin zu werden. «Ich wusste schon als Kind, das ist eine Sache, die ich machen möchte. Ich möchte Menschen berühren, so wie mich diese ganzen Geschichten berühren. Diese Magie gibt einem sehr viel Mut, es gibt einem das Gefühl, dass man nicht alleine ist.» Gesehen hat man sie bereits in TV-Produktionen, etwa Tatort, im Kinofilm Little Joe von Jessica Hausner und auf der Bühne im Ateliertheater, wo sie die Vagina Monologe gab.
Während Rilwan Mogaji sein ganzes Leben in Wien verbrachte, hat Marie Noel Ntwa unter anderem in Kanada, den USA, Deutschland und der Schweiz gelebt. «Außerhalb von Wien, außerhalb von Österreich spielt meine Hautfarbe keine Rolle», erzählt sie. Nach Wien zurückgekommen ist sie, weil die Stadt viele Möglichkeiten biete für junge Menschen, die sich finden wollen. Wien sei gemütlich und sozial, aber lebe teilweise noch in den 1950ern.
Mogaji sieht in der Stadt sehr wohl eine Veränderung seit seiner Kindheit, Wien sei offener geworden. Aber: «Im Jahr 2015 hat sich vieles verändert. Man kann eine starke Polarisierung wahrnehmen.» Er sei generell Optimist, dennoch: «Derzeit sehe ich die Entwicklung österreichweit sehr negativ.»

Den eigenen Weg gehen.

Rilwan fand sich im Journalismus. Andere Perspektiven sehen und Neues lernen ist alles für ihn. Durch Zufall kam er zu Radio Afrika, das auf Radio ORANGE ausgestrahlt wird. Dort hostet er die Show The Black Experience. Die Idee dazu kam ihm, als die Polizei ihn als einzige Person in einer U-Bahn-Station kontrollierte. «Das ist mir schon öfter passiert, aber dieses Mal hat es mich wirklich verletzt.» Wenn ihm soetwas passiert, dann geht es sicher anderen Schwarzen Menschen auch so, war sein Gedanke. In seiner Sendung bietet er Platz für verschiedene Erfahrungen: «Ich will nicht immer über Rassismus sprechen, sondern auch die Geschichten von Menschen mit afrikanischem Hintergrund erzählen. Was können diese Menschen? Welche Expertise haben sie? Darüber wird zu selten geredet. Es ist wichtig, über Rassismus zu reden. Aber es gibt mehr. Ich will die Vielfalt in der Black Community zeigen.»
Trotz Ablehnung sich den eigenen Weg ebnen, etwas erschaffen, Platz einnehmen – das verbindet Mogaji und Ntwa. Sie hat sich fest vorgenommen, die Kunstszene aufzumischen, «denn die ist white as fuck». Ihre Zukunft sieht Ntwa klar: «Es kann mir niemand sagen, dass ich in Österreich keine erfolgreiche Schauspielerin sein kann. Und wenn ich dafür meine eigenen Geschichten drehen und schreiben muss, dann sei es so.»
Beide haben auch die nächste Generation im Blick. Ntwa wünscht sich, «dass man das Selbstvertrauen der Kids stärkt, damit sie an sich glauben, dass sie Ärztinnen, Politikerinnen und so weiter werden können. Niemand soll dir das Gefühl geben können, dass du nichts wert bist.» Die Schwarze Community spielt dafür, so ist sie überzeugt, eine wichtige Rolle. Dass es inzwischen viele Gruppen und Vereine gibt, empfindet sie als positiv: «Für mich ist die Community ein Safe Space. Es ist ein anderes Feeling, wenn man unter sich ist. Man muss sich nicht beweisen, muss sich nicht anpassen und kann auf eine andere Art und Weise man selbst sein.»
Dass diesbezüglich so viel passiere, freut auch Mogaji: «Ich sehe eine Dynamik in Richtung mehr Zusammenarbeit, mehr Austausch, mehr Unterstützung, und extrem viel Potenzial für die Zukunft.» Seit Ende letzten Jahres ist er Teil der African Diaspora in Europe, ein Projekt von Afrikanischer Union und EU für junge Menschen afrikanischer Abstammung um Projekte in der Diaspora oder in Afrika zu planen. «Ich liebe Menschen, die anpacken und Lösungen finden wollen.» Er findet, dass jetzt die Zeit ist, sich zu engagieren. Und zwar für alle Büger und Bürgerinnen.

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